Dritter Premier 2022: Rishi Sunak soll beruhigen

Die Wahl von Rishi Sunak ist ein historischer Akt – und erfreut Indien. Auf ihm lasten große Hoffnungen. Eine Analyse.
Großbritannien hat wieder einen neuen Regierungschef - zum dritten Mal in zwei Monaten. Rishi Sunak übernimmt von der glücklosen Liz Truss. Auf den Neuen in der Downing Street kommen erhebliche Herausforderungen zu.
Großbritannien hat wieder einen neuen Regierungschef - zum dritten Mal in zwei Monaten. Rishi Sunak übernimmt von der glücklosen Liz Truss. Auf den Neuen in der Downing Street kommen erhebliche Herausforderungen zu.Foto: Gareth Fuller/PA Wire/dpa
Von 30. Oktober 2022

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Die Turbulenzen der letzten Monate und Tage waren den britischen Konservativen zu schrill, zu farbig – zur Beruhigung machten sie jetzt erstmals in der Geschichte einen Nichtweißen, einen Farbigen zum Regierungschef Großbritanniens. Von der „Politics of Color“ zu den „People of Color“. Der Sprung von Rishi Sunak an die Spitze ist zweifellos ein historischer, ähnlich wie es in den USA die Wahl von Barack Obama gewesen ist, des Sohnes eines afrikanischen Vaters und einer weißen Amerikanerin. 

Zugleich verbinden die von tiefen inneren Konflikten zerrissenen Tories mit Sunaks Wahl und dem Verzicht aller potenziellen Gegenkandidaten, deren Antreten einen neuen zermürbenden Wahlkampf ausgelöst hätte, die Hoffnung auf Beruhigung. Diese Hoffnung prägt ebenso das ganze Land – und die Märkte. Zumindest in der ersten Reaktion hat das Pfund auch wieder an Wert gewonnen.

Finanzmärkte erzwangen Wechsel

Ähnlich historisch wie die Einkehr eines Inders in die Downing Street ist die Rolle dieser Märkte. Sie sind Hauptdarsteller in einem Drama mit Shakespeare-artigen Dimensionen geworden. Sie haben der Kurzzeit-Vorgängerin Liz Truss den Job gekostet. Erstmals haben die Finanzmärkte damit einen sofortigen Wechsel des politischen Personals erzwungen.

Die Märkte haben den Kurs von Liz Truss für katastrophal gehalten. Diese hatte Steuersenkungen versprochen und gleichzeitig massive Hilfen im Kampf gegen die Teuerung. Zwar ist das eine gut, um die Wirtschaft anzukurbeln, und zweifellos schreien die Briten nach Hilfe im Kampf gegen die Inflation. Jedoch: Beides zugleich geht nicht. Und es geht dann schon gar nicht, wenn Truss überdies auf nennenswerte Einsparungen verzichten wollte. Das war Populismus pur: Es wird nur das unternommen, was kurzfristig populär ist, aber nichts von dem, was notwendig ist. 

Die Märkte, also alle jene, die Großbritannien Geld geliehen haben oder die das in Zukunft tun könnten, bangten daher, dass eine solche Finanzpolitik Londons zu Zahlungsproblemen führen könnte, bevor der erwartete Wachstumsschub eintritt. Die Kurse der Staatsanleihen verfielen, und die Zinsen stiegen steil, die London bei neuen Kreditaufnahmen zahlen muss.

Steigende Zinsen sind aber nicht nur eine Sache zwischen Banken und Schatzkanzler. Sie treffen auch alle anderen Schuldner. In Großbritannien haben viele Familien ihre Häuser durch Kredite finanziert. Sie mussten fürchten, ihre Rückzahlungen nicht mehr schaffen zu können. Ihre Furcht löste wiederum den Absturz der Konservativen bei allen Umfragen aus.

Massive Wechselstimmung überall

Sunak hatte in seinem Wahlkampf genau das prophezeit, was dann das Truss-Programm tatsächlich ausgelöst hat. Das stärkt nun seine Position ungemein. Ein durch die Wirklichkeit bestätigter Prophet gewinnt enorm an Glaubwürdigkeit. Und die ist die wichtigste Währung eines Politikers.

Genau das braucht er jetzt in hohem Maße. Denn wenn er in seiner Antrittsansprache „schwierige Entscheidungen“ ankündigt, dann heißt das: Er muss den Briten etliches an Sparmaßnahmen antun. Was genauso wenig populär ist wie steigende Kreditzinsen.

Sunak wird daher nach der Freude über den Einzug in die Downing Street sehr bald entdecken: Die gegenwärtige Wirtschaftslage ist in keinem Land Europas günstig für Regierungen. Fast alle müssen derzeit fürchten, abgewählt zu werden. Fast überall hat die Inflation die höchsten Werte seit den frühen Fünfzigerjahren erreicht. Fast überall ist mit weiter wachsenden Energieproblemen – sowohl in Hinblick auf die Preise als auch die Versorgungssicherheit – zu rechnen. Fast überall sorgt der Ukraine-Krieg für Probleme.

Die britischen Konservativen haben noch mit einem zusätzlichen Problem umzugehen: In der Bevölkerung herrscht massive Wechselstimmung. Die Tories sind schon zwölf Jahre an der Macht. Sie sind innerlich in vielen Fragen zerstritten. Seit dem Brexit geht ein Spalt durch die Partei. Jeder der allzu vielen und raschen Wechsel an der Partei- und damit Regierungsspitze – Cameron, May, Johnson, Truss und nun Sunak – hat Schrammen und Verwundungen zurückgelassen. Sunak gilt überdies vielen als charakterloser Johnson-Killer.

Rishi Sunak wurde am 25. Oktober 2022 zum dritten britischen Premierminister in diesem Jahr ernannt, nachdem Staatschefin Liz Truss ihren Rücktritt bei König Charles III. eingereicht hatte. Foto: JUSTIN TALLIS/AFP über Getty Images

Sunak orientiert sich an Stabilität

Auch die Herausforderung durch die Opposition wird gefährlicher. Erstmals seit Tony Blair wird Labour nicht von einem Radikalen, sondern einem Gemäßigten geführt. Keir Starmer will im Gegensatz zu den Vorgängern am Brexit festhalten. Und er hat zumindest gegen Truss sehr konservativ argumentiert: Labour würde Mäßigung und Stabilität bringen.

Umgekehrt hat das Truss-Lager im Sommer Sunak wegen seines Neins zu Steuersenkungen als „Sozialist“ verteufelt. Dabei steht der Truss-Nachfolger mit seiner Stabilitätsorientierung in der direkten geistigen Nachfolge der Margaret Thatcher, also der obersten Heiligen in der Tory-Kathedrale. 

Sunak ist ganz sicher alles andere als ein Linker. Er war selbst Banker und ist Ehemann einer der reichsten Frauen Indiens, die ihre Dividendeneinkünfte allerdings nicht in Großbritannien versteuert. Beides wird ihm wieder von seinen Kritikern vorgehalten: Sunak könne nicht wissen, wie es den schlechtverdienenden Menschen wirklich geht.

Indien ist begeistert

Die größte Begeisterung hat das Avancement des gläubigen Hindu ausgerechnet am Tag des indischen Lichterfestes Diwali aber eindeutig in Indien ausgelöst. Damit ist der ehemaligen Kolonie vor aller Welt die volle und endgültige Gleichberechtigung bestätigt worden. Das ist psychologisch ungemein wichtig für die Inder. 

Enge Bande zwischen Indien und England bedeuten umgekehrt eine schlechte Nachricht für Moskau: Denn viel deutet darauf hin, dass sich die indische Schaukelpolitik zwischen Ost und West – vor allem in Hinblick auf den Ukraine-Krieg – jetzt Richtung Westen neigen wird.

Über den Autor:

Andreas Unterberger war 14 Jahre Chefredakteur von „Presse“ bzw. „Wiener Zeitung“. Er schreibt unter www.andreas-unterberger.at sein „nicht ganz unpolitisches Tagebuch“, das Österreichs meistgelesener Internet-Blog ist.

Dieser Artikel erschien zuerst in der Epoch Times Wochenzeitung, Ausgabe Nr. 68, vom 29. Oktober 2022.



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