Diplomatische Treffen in Budapest: Ungarn will den Orient erreichen, die Türkei den Westen
Am 20. August wurde in Budapest gefeiert: Zum ungarischen Nationalfeiertag gab es nicht nur eine Kavalkade von traditionellen Staatsfeiern und Feuerwerken zum Jahrestag der Staatsgründung. Gleichzeitig begannen auch die Leichtathletik-Weltmeisterschaften.
Beachtenswert ist, wer nicht zu den groß angelegten Feierlichkeiten eingeladen wurde: die Staats- und Regierungschefs der EU und der NATO.
Viktor Orbán hatte unter anderem den türkischen Präsident Recep Tayyip Erdogan zu Gast. Zur Eröffnungszeremonie der Leichtathletik-WM saßen auch der früheren Bundeskanzler von Österreich, Sebastian Kurz und der ehemalige tschechische Ministerpräsident Andrej Babiš, mit in der VIP-Loge. Neben dem serbischen Präsidenten Aleksandar Vucic waren auch der Premierminister der Republika Srpska, Milorad Dodik, und die Staatsoberhäupter von Aserbaidschan, Kirgisistan, Usbekistan und Turkmenistan eingeladen.
Orbán bietet für die Türkei eine Brücke zum Westen
Welche potenzielle Bedeutung haben die Gespräche, welche die Staatsmänner an diesem Wochenende in dieser Zusammensetzung führten? Der in Ungarn lebende Türkei-Experte Tarik Demirkan analysierte im Gespräch mit „euronews“ die nicht-öffentlichen Treffen.
Die Freundschaft zwischen der ungarischen und türkischen Regierung beruhe nicht auf wirtschaftlichen Gründen, so Demirkan. Tatsächlich seien die wirtschaftlichen Import-Export-Beziehungen zwischen den beiden Ländern vernachlässigbar.
Doch dennoch können die beiden Regierungen sowohl Unterstützung in Richtung Westen und Osten anbieten. Während Orbán mit seiner Politik der Öffnung nach Osten den Orient erreichen will, verfolgt die türkische Wirtschaft das Ziel, ihre Beziehungen zum Westen zu stärken.
In dieser Hinsicht kann Ungarns Präsident eine Brücke für Erdogan sein und jener eine, der Orbán näher an die türkischen Nationen heranführt.
Demirkan zufolge exportiert die türkische Wirtschaft bereits 40 Prozent ihrer Waren in den Westen, zwei Drittel ihrer Importe kommen aus der EU. Es sei daher in Erdogans Interesse, sich der EU anzunähern, um die türkische Wirtschaft zu stärken.
Nach Angaben des ungarischen Außenministers Péter Szijjártó haben sich beide Länder am Wochenende auf eine hochrangige strategische Partnerschaft geeinigt. Die Details der Gespräche sind nicht öffentlich, Szijjártó äußerte sich nur zu den Themen.
Neben der gegenseitigen politischen Unterstützung standen demnach die Migrationskrise sowie Energiefragen auf der Agenda. Für Ungarn sind die Energiefragen wichtig, da ein bedeutender Teil der Erdgaslieferungen ins Land durch die Türkei fließen. Zudem ging es um die Ratifizierung der schwedischen NATO-Mitgliedschaft. Weitere Details dazu folgen erst nach der parlamentarischen Sommerpause im September.
Erdogan wolle – so Demirkan – mit der Reise nach Budapest auch eine wichtige und eindeutige Botschaft übermitteln: „Wir stehen zu Ungarn“.
Ähnlich postete der ungarische Außenminister nach dem Treffen in den sozialen Medien: „Ungarn-Türken: zwei gute Freunde“.
Kritik und das Bad in der Menge
Aus Sicht türkischer Medien sei das Treffen mit Viktor Orbán eine „Ehre“ für die Ungarn und der Beginn eines größeren Entwicklungsprozesses.
Während des Besuchs des türkischen Präsidenten traf sich Erdogan auch mit ungarischen Passanten. In einem Fall blieb er nur durch ein Markierungsband von den Menschen getrennt. Viele begrüßten ihn, doch es gab auch kritische Kommentare.
Beispielsweise präsentierte ein Mann dem Politiker aus nächster Nähe seine Hände auf eine unhöfliche Art und Weise. Daraufhin stießen Medienberichten zufolge türkische Sicherheitsleute den Mann zu Boden. Er wurde von der ungarischen Polizei und Anti-Terror-Beamten in einem Auto vom Tatort „gerettet“. Der Vorfall wurde von linken Oppositionsparteien heftig kritisiert. Sie forderten den ungarischen Außenminister auf, den türkischen Konsul einzuschalten.
Auch liberale Oppositionsparteien beäugen den Besuch kritisch. Richárd Barabás, Sprecher der „Párbeszéd-Zöldek“ (Grüne Partei) und stellvertretender Bürgermeister von Újbuda, sagte, Orbán habe mit der Einladung des türkischen Präsidenten einen Fehler gemacht.
„Der Besuch sendet ein sehr schlechtes Signal. Denn Orbán zeigt, dass seine Vorstellungen über den Staat dem sehr ähnlich sind, was der türkische Präsident Erdogan vorhat und in der Türkei umsetzt“, erklärte Barabás in einem Video. Und weiter: Erdogan „betreibt eine sehr ernste Staatspropaganda, spaltet das Land und die Städte, inhaftiert Journalisten, löst Demonstrationen auf und misshandelt die LGBTQ-Gemeinschaft schwer“.
Barabás weist zudem darauf hin, dass nur Ungarn und die Türkei den Beitritt Schwedens zur NATO noch nicht ratifiziert haben.
Erdogans diplomatischer Fahrplan
Der Besuch von Präsident Erdogan in Ungarn dürfte der Auftakt zu mehreren diplomatischen Reisen sein, so die türkische Presse. Ende August plant er, den russischen Präsidenten Wladimir Putin zu besuchen.
Laut türkischen Medien könnte das Treffen zwischen Putin und Erdogan „historisch“ und ein wichtiger Durchbruch für die Getreidekrise sein. Die ukrainischen Märkte haben nach wie vor Schwierigkeiten, ihre Produkte auszuliefern. Dies könne durch Erdogan gelöst werden – und er als Einziger in der Lage sein, ein solches Abkommen mit Russland zu schließen.
Nach Russland folgt ein Besuch in Indien, wo Erdogan beim G-20-Gipfel am 9. und 10. September erwartet wird. Vom 17. bis 21. September wird der türkische Präsident in den Vereinigten Staaten vor der UN-Generalversammlung sprechen. Auch die Möglichkeit eines Gipfeltreffens zwischen Präsident Biden und Erdogan wird nicht ausgeschlossen. Bisher seien Treffen mit amerikanischen Wirtschaftsführern vereinbart.
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