Die syrischen Kurden müssen ihre Rechte geltend machen

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Der oppositionelle Syrische Nationalrat bat die Arabische Liga, sofort Beobachter in die belagerte Stadt Homs und andere Krisenherde zu schicken, in denen scharf gegen Andersdenkende vorgegangen wird.Foto: Anwar Amro/AFP/Getty Images
Von 11. April 2012

Unabhängig davon, was aus Kofi Annans Friedensplan werden kann und was auch immer die Arabische Liga bei ihrem Treffen beschließt, bietet die Aussicht auf Assads Absetzung der kurdischen Minderheit in Syrien eine historische Gelegenheit, Gleichberechtigung bei politischen und bürgerlichen Rechten zu erlangen.

In Anbetracht der totalitären Herrschaft der Baathisten unter Assad wird der Fall des Regimes in Syrien das ganze Herrschaftssystem außer Kraft setzen, wie es auch in Saddams Irak 2003 der Fall war. Aber anders als Iraks Kurden, die seit 1991wirklich autonom sind, als die Vereinigten Staaten eine Flugverbotszone über den nördlichen Irak verhängten, sind Syriens Kurden weniger organisiert und tiefer gespalten. Die syrischen Kurden müssen ihre Reihen schließen, sich bei ihrem Streben nach Freiheit vollständig dem syrischen Volk anschließen und dürfen nicht zulassen, dass diese historische Gelegenheit verpasst wird.

Wenn sie nicht gerade über ein geteiltes Syrien herrschen möchte, wobei die Kurden zu anhaltender Instabilität beitragen könnten, muss sich jede gewählte Regierung in Syrien nach dem Rücktritt Assads zur Gleichberechtigung aller syrischen Bürger unabhängig von ihrem ethnischen Hintergrund verpflichten.

Die Straße zur Freiheit

Die kurdische Nation setzt sich aus mehr als 40 Millionen Menschen zusammen, die mehrheitlich in einem zusammenliegenden Gebiet leben, das den Irak, den Iran, die Türkei und Syrien umfasst. Die Kurden sind die größte Minderheitengruppe in der Welt, die staatenlos bleibt. Die Gleichberechtigung bei politischen und bürgerlichen Rechten für Kurden wurde fast ein Jahrhundert lang verweigert und wird in diesen vier Ländern bei allen kurdischen Minderheiten kontrovers diskutiert. Denn das kurdische Territorium wurde nach dem Ersten Weltkrieg zwischen dem Irak, dem Iran, der Türkei und Syrien aufgeteilt; die einzige Ausnahme war das kurzlebige Königreich von Kurdistan von September 1922 bis Juli 1924, als die Kurden politische Unabhängigkeit genossen.

Obwohl die Kurden in allen Gastländern unterschiedlich stark diskriminiert werden, sind ihre Lebensbedingungen in Syrien noch schlechter, denn vielen von ihnen werden Staatsbürgerschaft, Landbesitz und sogar die Bewegungsfreiheit innerhalb des Landes verweigert.

Um vom Volksaufstand zu profitieren und zusammen mit dem Rest des syrischen Volkes Gleichberechtigung zu erreichen, müssen Syriens Kurden fünf wichtige Schritte machen und konsequent und standhaft bleiben, unabhängig davon, wie tückisch die Straße zur Freiheit sein kann.

Erstens müssen sie sich organisieren und ein geeignetes Programm entwickeln, mit dem sie die Revolution voranbringen können, bis Präsident Assad abgesetzt wird und sich das Land eindeutig auf Reformen zubewegt.

Die syrischen Kurden müssen sich als ein integraler Bestandteil der syrischen Bevölkerung betrachten und sich mit dem gerechten und gewaltlosen Kampf des syrischen Volkes identifizieren. Sie müssen das Regime absetzen und eine Regierung wählen, die sich zur Einhaltung allgemeingültiger Werte wie Freiheit, Menschenrechte und Demokratie verpflichtet.

Die syrischen Kurden sollten unter diesen Umständen weder ein föderales System aufbauen noch um ein autonomes Gebiet kämpfen. Stattdessen sollten sie sich für Syriens Einheit und seine Staatsrechte einsetzen, die von einem neuen Parlament gemeinsam erlassen werden.

Die Einheit ist erforderlich

Zweitens müssen konkurrierende kurdische Gruppen ihre tiefen Meinungsverschiedenheiten beenden und gemeinsam eine Lösung vorstellen, wenn sie anerkannt und ernst genommen werden wollen. Die Kurdische Demokratische Partei Syriens (KDPS) unterstützt die Absetzung des Assad-Regimes. Doch die Demokratische Vereinigungspartei (Democratic Union Party – PYD), die enge Verbindungen zur türkischen PKK unterhält, befürchtet, dass die Absetzung von Assad zur Überlegenheit der von der Türkei unterstützten Muslimbruderschaft führen wird, die kurdenfeindlich eingestellt ist.

Das Regime von Assad nutzt zurzeit die kurdische Uneinigkeit aus, indem es die Rückkehr der PYD-Führung aus dem Exil sowie die Eröffnung kurdischsprachiger Schulen, kultureller Zentren und Parteibüros in syrischen Städten erlaubt. Wenn die syrischen Kurden wirkliche Gleichberechtigung erreichen möchten, müssen sie sich vereinen und während der Umwälzungen vereint bleiben.

Die PYD-Führung muss daran erinnert werden, dass ihre Pro-Assad-Lösung in jedem Fall eine Verliererstrategie ist: Wenn das Regime überlebt, was aber unwahrscheinlich ist, wird es alle Zugeständnisse widerrufen, die es in der Zeit der Krise gemacht hat. Wenn es fällt, was wahrscheinlicher ist, wird die neue Regierung vermutlich die Rechnung (für die Unterstützung Assads) bei der PYD und den Kurden bezahlen.

Drittens muss die Führung der Kurden fordern, innerhalb des Syrischen Nationalrats (Syrian National Council – SNC) angemessen vertreten zu werden. Zurzeit gibt es nur einen Delegierten, der aber kaum alle Kurden in Syrien vertreten kann. Deren Anteil an Syriens Gesamtbevölkerung liegt bei zehn bis zwölf Prozent (oder fast zwei Millionen Menschen).

Die KDPS, der Hauptbestandteil des SNC, sollte sich stärker dafür einsetzen, andere Parteien, besonders die PYD, zur Zusammenarbeit zu bewegen. Der SNC sollte sich darüber bewusst sein, dass auch er von einer stärkeren kurdischen Vertretung profitieren könnte, wenn er die Syrer wirklich politisch, ethnisch und religiös vertreten will.

Die Kurden zu übergehen, wird zweifellos dazu führen, dass auch andere Minderheiten innerhalb des Landes wie die Armenier, die Drusen und andere Gruppen befürchten würden, in ähnlicher Weise innerhalb des neuen Syriens an den Rand gedrängt zu werden.

Die Beziehungen zur Türkei

Viertens sollte sich die kurdische Führung der Türkei vorsichtig annähern. Da der SNC seinen Hauptsitz in Istanbul hat, wird er sicherlich von der Regierung Erdogan beeinflusst, die föderalistische oder autonome Lösungen für die Kurden aus offensichtlichen Gründen nicht fördern will.

Syriens Kurden haben jeden Grund, die Absichten der Türkei infrage zu stellen, weil Ankara offensichtlich die Muslimbruderschaft in Damaskus an der Macht sehen möchte. Außerdem schließen die Kurden ein militärisches Eingreifen der Türkei in Syrien zur Sicherung der Stabilität nicht aus, wodurch auch die Vorherrschaft der Muslimbruderschaft gefestigt werden könnte.

Trotzdem sollten die Führer der syrischen Kurden zusammenarbeiten und ihre Beziehungen mit der Türkei verbessern, nicht nur, weil es für Syriens Kurden an der Zeit ist, den Plan der Türkei infrage zu stellen, sondern auch, weil die einzige Alternative für die Kurden ein Trauma wäre: Ein Assad-Regime, das näher als jemals zuvor zum Iran steht.

Schließlich sollten die syrischen Kurden von ihren Brüdern im Irak lernen und sie um Unterstützung bitten. Denn sie profitierten sehr von Saddam Husseins Fall und machen Kurdistan zurzeit zu einer blühenden Insel der Stabilität innerhalb eines konfliktzerrissenen Irak. Da die Sympathie unter den Kurden (unabhängig vom Land ihres Wohnsitzes) stärker ist als die Sympathie zu ihren unterschiedlichen Gastgeberstaaten, ist Iraks Kurdistan natürlich ein Verbündeter und im Gegensatz zur irakischen Regierung, die stillschweigend Assad unterstützt, bereit, der Sache der Kurden in Syrien zu helfen.

Syriens Kurden können von der Erfahrung ihrer irakischen Brüder profitieren. Dies gilt für die Versöhnung zwischen der rivalisierenden Talabani-Splittergruppe Patriotische Union Kurdistans und der Barzani-Splittergruppe Kurdische Demokratische Partei sowie für das Ziel, allmählich und auf friedlichem Weg Autonomie innerhalb eines Nationalstaates zu erlangen, falls der Versuch, volle Integration zu erreichen, scheitern sollte.

Schließlich es ist Zeit für Syriens Kurden, ihre Reihen zu schließen, sich dem Marsch des syrischen Volkes für die Freiheit anzuschließen und ihre eigenen Grundrechte von einer zukünftigen syrischen Regierung zu fordern, an deren Zusammensetzung sie sich beteiligen müssen. Die arabischen Revolutionen sind ebenso historisch außergewöhnlich und einmalig wie der Sieg des Kurdisch-Arabischen Saladin über die europäischen Kreuzfahrer im 12. Jahrhundert. Und auch dieses Mal können Araber und Kurden ihre Kräfte vereinen, um Ungerechtigkeiten zu beseitigen, unter denen sie leiden mussten.

Alon Ben-Meir ist Professor für internationale Beziehungen am Center for Global Affairs an der New York University.

Artikel auf Englisch: Syrian Kurds Need to Assert Their Rights

 



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