Die Rabenkinder der EU: Polen und Ungarn

Viktor Orbán geht auf Distanz zu Russland, der Ukraine, der EU und den USA. Den Wählern gefällt es – seine Werte steigen in den Umfragen seit dem Ausbruch des Ukraine-Krieges. Für Polen ist das jedoch nicht genug – sie gehen auf Distanz zu Ungarn.
Titelbild
Flüchtlinge aus der Ukraine in Záhony, Ungarn, am 12. März 2022.Foto: Christopher Furlong/Getty Images)
Von 28. März 2022

Mitte März stieg die Unterstützung für den ungarischen Premierminister Viktor Orbán deutlich: 61 Prozent der aktiven ungarischen Wähler gaben an, dass sie ihn gerne als Premierminister sehen würden. Vor dem Ukraine-Krieg lag die Zahl bei 52 Prozent. Dies bestätigen mehrere Umfragen in Ungarn. 

Als Grund geben sie an, die Opposition hätte viele Fehler gemacht und das hat die Wähler verunsichert. Orbáns Herausforderer Péter Márki-Zay wollte ungarische Soldaten und Waffen in die Ukraine schicken. Márki-Zay beschuldigte zudem die Ungarn in den Unterkarpaten, pro-russisch zu sein und damit ihre Sicherheit zu gefährden.

Orbán stellt klar – und das ungarische Volk scheint einig mit ihm zu sein –, dass er auf keinen Fall Soldaten und Waffen in das Kriegsgebiet bringen wird. Kriegsflüchtlinge nimmt er jedoch bereitwillig auf.

Orbán: Distanz zu Russland, der Ukraine, der EU, den USA

Am 15. März feierte Ungarn den Jahrestag seines Kampfes um die Souveränität im Jahr 1848. Zu diesem Anlass hielt Viktor Orbán eine Rede, in der er betonte, wie wichtig es sei, die „vorherrschende Hysterie“ nicht zu verstärken und eine ausreichende Distanz zu Russland, der Ukraine, der Europäischen Union und den Vereinigten Staaten zu wahren.

Es gebe Länder, die ihre Ziele durch Kriege erreichen wollen, doch man wisse, der beste Krieg sei der, den es zu vermeiden gelingt, so der Premierminister. Russland und die Ukraine würden nur auf ihre eigenen Interessen blicken. „Weder die Vereinigten Staaten noch Brüssel werden mit einem ungarischen Kopf denken und mit einem ungarischen Herzen fühlen.“ Daher sollen Ungarn ihre eigenen Interessen vertreten – „besonnen und mutig“.

In dem Krieg könne man nichts gewinnen, jedoch alles verlieren. Daher wird Ungarn dem Krieg weiterhin fernbleiben: „Kein einziger Ungar darf zwischen den ukrainischen Amboss und den russischen Hammer geraten“, deshalb werden weder Soldaten noch Waffen in die Kampfgebiete gesendet.

Die Opposition des Landes, die eine einheitliche westliche Reaktion auf den Konflikt gefordert hat, bezeichnete er als „Kriegstreiber“. „Die Linke hat ihren Verstand verloren und taumelt wie ein Schlafwandler in einen erbarmungslosen, sich hinziehenden und blutigen Krieg hinein.“ Die Linke wolle ungarische Soldaten und ungarische Waffen in die Frontlinie entsenden. „Das werden wir nicht zulassen“, so Orbán.

Der ungarische Premier hat den Krieg nicht direkt verurteilt, er betont allerdings: „Dieser Krieg hätte nicht geschehen dürfen“. 

Polnische und ungarische Opposition arbeitet zusammen

Am selben Tag sprach der polnische Oppositionsführer Donald Tusk auf einer von der ungarischen Opposition organisierten Kundgebung in Budapest.

Tusk verurteilte die Verbindungen von Orbán zu Wladimir Putin. Er verglich den Krieg in der Ukraine mit dem Kampf für Demokratie in Polen und Ungarn. Der Krieg gegen Russland sei „nicht nur ein Kampf um die Unabhängigkeit der Ukraine“, so Tusk. Es stehe noch mehr auf dem Spiel: „Es ist auch ein Krieg für unsere Zukunft, für Polen, Ungarn und ganz Europa.“

„Deshalb sind diese Wahlen in Ungarn so wichtig für Sie, aber auch für ganz Europa und für die Träume der Ukrainer“, zitiert ihn der Nachrichtendienst „300Polityka“.

Zuvor hatte sich Tusk mit Péter Márki-Zay getroffen, dem gemeinsamen Kandidaten der Opposition, der bei den Parlamentswahlen am 3. April gegen Orbán antritt. Tusk äußerte die Hoffnung, dass das von Márki-Zay geführte Bündnis in Zukunft zu einer politischen Partei wird, die der Europäischen Volkspartei beitreten kann.

Im Anschluss an das Treffen verglich der polnische Oppositionsführer die Situation in den beiden Ländern und erklärte, dass die Regierungen der beiden Länder die Rechtsstaatlichkeit, die Demokratie und die Medienfreiheit ausgehöhlt hätten. „All dies verbindet die ungarische Opposition und die Opposition in Polen“, sagte Tusk. „Wir werden zusammenarbeiten.“

Die polnisch-ungarischen Beziehungen wackeln (leicht)

Die einst engen Beziehungen zwischen Polen und Ungarn steht auf wackligen Beinen, weil die regierende Fidesz-Partei in ihre bilateralen Beziehungen zu Russland in den letzten zwölf Jahren viel investiert hat.

Bisher wurde das laut „Euractiv“ von der polnischen Regierung nur mit einem „Augenrollen“ quittiert – der Ukraine-Krieg hat die Lage jedoch erheblich verändert.

Polen, das beträchtliche Mengen Kohle aus Russland importiert, ist bereit, diese Einfuhren einzustellen. „In den vergangenen fünf Jahren haben wir die baltische Gaspipeline nach Norwegen gebaut, und in sechs Monaten werden wir zum ersten Mal seit Jahrzehnten unabhängig von russischem Gas sein“, sagte Polens Premierminister Mateusz Morawiecki vor zwei Wochen.

Orbán hingegen hat sich nach dem Treffen mit anderen Ländern der Visegrád-Gruppe und dem Vereinigten Königreich gegen das Embargo für Gas und Öl aus Russland ausgesprochen.

„Obwohl wir die russische Offensive vollständig ablehnen und den Krieg verurteilen, werden wir nicht zulassen, dass die ungarischen Familien dafür bezahlen. Die Sanktionen dürfen nicht Öl und Gas betreffen“, sagte der ungarische Staatschef.

Der größte Teil der ungarischen Öl- und Gasimporte komme aus Russland, fügt Orbán hinzu. Neunzig Prozent der ungarischen Familien heizen mit Gas in ihren Häusern. „Die ungarische Wirtschaft kann ohne russische fossile Brennstoffe einfach nicht funktionieren.“

Auch die Festivitäten zum polnisch-ungarischen Freundschaftstag wurden verschoben, die Mitte März hätten stattfinden sollen, teilte das Büro des polnischen Präsidenten in einer Erklärung mit. „Wir waren gemeinsam der Meinung, dass dies nicht der richtige Zeitpunkt ist, um fröhlich zu feiern, während die Ukrainer heldenhaft für ihr besetztes Heimatland kämpfen“, heißt es.

Das ungarische Webportal „Azonnali.hu“ vermutet jedoch, dass aufgrund der pro-russischen Haltung Andrzej Duda, Polens Präsident, bei einer solchen protokollarischen Veranstaltung nicht in der Öffentlichkeit mit seinem ungarischen Amtskollegen, Staatspräsidenten János Áder, gesehen werden wollte.

Ungarn unterscheidet zwischen Flüchtlingen und Migranten

Seitdem der Krieg in der Ukraine begann, sind etwa drei Millionen Flüchtlinge (meist Frauen und Kinder) in die Nachbarländer geflohen. Vor allem nach Polen, das über eine Million Flüchtlinge aufgenommen hat – das entspricht etwa fünf Prozent seiner Bevölkerung. Ungarn hat bis jetzt etwa eine halbe Million Flüchtlinge aus der Ukraine aufgenommen und die Regierung rechnet damit, dass sich diese Zahl in der nächsten Zeit noch vervielfachen wird.

„Ungarn hilft den Flüchtlingen, weist aber die Migration nach wie vor zurück“, stellt der ungarische Premierminister klar. Jeder könne den Unterschied zwischen den Flüchtlingen aus der Nachbarschaft und den Migranten aus mehreren Tausend Kilometern Entfernung deutlich sehen. 

Erstere flohen vor den Kämpfen, es sind Kinder und verängstigte Frauen. Letztere würden nur die Grenzen zu Europa belagern.

Finanzielle Sanktionen der EU

Obwohl sie „am meisten gefährdet sind“, würden Ungarn und Polen jedoch nun mit finanziellen Sanktionen bestraft. Darauf weist das amerikanische Wochenmagazin „Newsweek“ hin.

Denn einen Tag, nachdem neue Sanktionen gegen Russland durch das Europäische Parlament angekündigt wurden, gab es auch weitere Regelungen gegen Polen und Ungarn.

Mit großer Mehrheit forderten die Abgeordneten sofortige finanzielle Sanktionen gegen Polen und Ungarn – wegen angeblicher Verstöße gegen die Rechtsstaatlichkeit. EU-Gremien und Menschenrechtsorganisationen werfen Orbán seit Langem den Abbau von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit vor. 

Das trifft in dieser Krisenzeit besonders hart. Viktor Orbán habe sich daraufhin brieflich an die Präsidentin der Europäischen Kommission, Ursula von der Leyen, gewandt, informiert die regierungsfreundliche Zeitung „Magyar Nemzet“.

Sanierungspläne zügig genehmigen

„An Ungarns Grenzen tobt ein Krieg, und die außergewöhnlichen Umstände erfordern außergewöhnliche Maßnahmen“, so der Premier. 

Angesichts der aktuellen Wirtschaftsentwicklung werden dreißig Prozent der bis Ende 2026 für den Aufschwung gedachten EU-Mittel neu zugewiesen. Das soll spätestens bis zum 30. Juni 2022 geschehen. 

Orbán bat nun in seinem Brief darum, dass sie die Sanierungspläne der Mitgliedstaaten, die die Ostgrenzen der EU schützen, so schnell wie möglich genehmigt. Die Gelder sind für die Verteidigung, den Grenzschutz, humanitäre und andere akute Krisenmanagementaufgaben gedacht. 

Gleichzeitig fordert der Premier eine Überprüfung des Umverteilungssystems. Alle Mitgliedstaaten, die ihre Ostgrenzen schützen, würden Verluste erleiden. In manchen Fällen könnte es bis zu 16 Prozent der verfügbaren Mittel ausmachen. Das sei inakzeptabel. 

Zudem möchte Viktor Orbán eine Garantie, dass diejenigen, die die Hauptlast der Kriegskrise tragen und wesentlich zum Wirtschaftswachstum in der EU beigetragen haben, keine EU-Ressourcen verlieren. (sza)



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