„Die politische Mitte pulverisiert“: Kritik an Macron nach erster Wahlrunde

In Deutschland erheben Politik und Medien nach der ersten Runde der Parlamentswahlen in Frankreich schwere Vorwürfe gegen Präsident Macron. Dieser habe den Aufstieg der extremen Rechten durch die Neuwahlen begünstigt. Einige wenige Beobachter sehen dies anders.
Präsident Macron ruft zum Zusammenschluss gegen RN auf
Präsident Macron ruft zum Zusammenschluss gegen RN auf.Foto: Yara Nardi/Reuters Pool/AP/dpa
Von 1. Juli 2024

Die erste Runde der vorgezogenen Wahlen zur Großen Nationalversammlung am Sonntag, 30. Juni, in Frankreich wurde auch in Deutschland mit großem Interesse verfolgt. Präsident Emmanuel Macron hatte diese unmittelbar nach der EU-Wahl angesetzt. Nach dem vorläufigen Endergebnis kam der Rassemblement National (RN) auf 29,25 Prozent der abgegebenen Stimmen – bereits jetzt sind 37 seiner Kandidaten gewählt.

Auf dem zweiten Platz landete mit 27,99 Prozent das Linksbündnis Neue Volksfront unter der Führung des Politikers Jean-Luc Mélenchon. Von ihren Kandidaten sind 33 im ersten Anlauf gewählt worden – die meisten davon aus den Reihen von Mélenchons Partei La France Insoumise. Abgeschlagen auf Platz drei landete das „Zusammen“-Bündnis von Präsident Emmanuel Macron mit 20,04 Prozent. Nur zwei seiner Kandidaten wurden im ersten Wahlgang gewählt. Sicher im Parlament sind außerdem noch jeweils zwei unabhängige Kandidaten der gemäß Zuordnung durch das Innenministerium moderaten und der extremen Rechten sowie ein Vertreter der konservativen Republikaner.

Stichwahlen am Sonntag

In 500 französischen Stimmkreisen kommt es am kommenden Sonntag zu Stichwahlen. Derzeit verhandeln Kandidaten der Linken und des Macron-Lagers über taktische Rückzüge der jeweils weniger aussichtsreichen Bewerber, um RN-Erfolge zu verhindern. Dennoch gehen Wahlforscher davon aus, dass die Partei von Marine Le Pen und Spitzenkandidat Jordan Bardella am Ende bis zu 270 Sitze erlangen kann. Eine absolute Mehrheit gilt jedoch als wenig wahrscheinlich.

In Deutschland ist die vorherrschende Meinung unter Politikern und Analysten, dass sich Macron mit seiner kurzfristigen Ansetzung von Parlamentswahlen „verzockt“ habe. Auch im eigenen Lager hatte es Kritik an der Entscheidung gegeben, die der Präsident als Konsequenz aus dem katastrophalen EU-Wahlergebnis gezogen hat.

Macron wollte die Wahl zur Richtungsentscheidung zwischen „Progressiven“ machen, an deren Spitze er selbst stehe – und Populisten von links und rechts. Für den weiteren Weg, den das Land gehe, seien dann alle Franzosen gemeinsam verantwortlich.

Schmid: „Niederlage mit Ansage“

Der außenpolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, Nils Schmid, erklärte gegenüber dem „Tagesspiegel“, Macron habe sich „definitiv verzockt“. Es sei „eine Niederlage mit Ansage und es ist bis heute unerklärlich, warum er das Parlament vorzeitig aufgelöst hat“. Der französische Präsident habe damit „die Türen der Macht für die Rechtsextremen weit aufgemacht“.

Macron überschätze seine Kräfte, wenn er meine, den RN „entzaubern“ zu können. Nun trage er – trotz seiner Verdienste in der Europapolitik – „eine schwere Verantwortung für diese Fehlentwicklung“.

In ähnlicher Weise äußerte sich Grünen-Bundessprecherin Ricarda Lang. Gegenüber „Politico“ erklärte sie, Macron habe sich mit seiner Veranlassung von Neuwahlen „verrechnet und jetzt wahrscheinlich eher zu einer Stärkung der Rechtsextremen beigetragen“.

Sie glaube, dass „kurzsichtige Entscheidungen nicht weit tragen können“. Deshalb sei gerade auch in der deutschen Politik Besonnenheit gefragt und man müsse dort „immer noch den nächsten Schritt überlegen“, so Lang.

Blome: „Macron hat die politische Mitte pulverisiert“

SPD-Außenpolitiker Michael Roth hofft auf X nun darauf, dass sich die Linken um Mélenchon „verantwortungsvoll“ verhalten. Wenig Hoffnung machen ihm dabei Follower, die auf die apologetischen Positionen hinwiesen, die der Linkspolitiker und eine Vielzahl seiner Anhänger mit Blick auf die terroristische Hamas vertreten.

Auch „RTL/ntv“-Politikredakteur Nikolaus Blome macht Macron schwere Vorwürfe. Dieser habe „die politische Mitte pulverisiert“ und dafür gesorgt, dass das Frankreich de Gaulles und Mitterands aufhöre zu existieren.

„Konservative fürchten den Faschismus nicht und Linke haben Lust am Autoritarismus“

Der AfD-Bundestagsabgeordnete Götz Frömming begrüßt hingegen das Wahlergebnis und sieht darin einen Ausdruck dessen, dass „Europa beginnt, sich zu wehren“. Wogegen genau, lässt er offen.

Im Kommentarbereich macht ein anderer X-Nutzer den Politiker hingegen darauf aufmerksam, dass „Le Pen von abgrundtiefem Deutschenhass getrieben ist und eine deutschlandfeindliche Politik plant“. Das hätte man auch „ahnen können, als sie die AfD nicht in der Brüsseler ID-Fraktion mitspielen lassen wollte“.

Der wissenschaftliche Leiter des Instituts für Sozialökologie gGmbH in Siegburg, Michael Opielka, macht konservative, aber auch linke Wähler für den Rechtsruck verantwortlich. Auf die Frage nach dem „Warum“ des Wahlergebnisses äußert er:

„Weil die Konservativen schwach sind und ihre Wähler den Faschismus nicht fürchten. Sie opfern ihre Kinder gerne an der Front. Sie denken flach und schließen ihr Studium ungern ab. Aber auch Wähler der Linken wählen die Rechtsextremen, die Hufeisentheorie hat nicht ausgedient. Auch sie haben Lust am dumpfen Autoritarismus, an Fremdenfeindlichkeit und die Juden gefallen ihnen nicht.“

Wiener Historiker attestiert Macron politische Weitsicht

Einen gelungenen Schachzug des französischen Präsidenten mag hingegen der Wiener Historiker Muamer Bećirović in Macrons Neuwahlentscheidung erkennen. Dieser wolle „die Extreme die kommenden Jahre ermüden“. Hätte er weitergemacht, als wäre nichts gewesen, hätten diese 2027 die Macht erobert.

Mit den Neuwahlen würden sie hingegen jetzt schon an die Macht kommen. Sie würden sich „im täglichen parlamentarischen Hickhack zermürben“. Derweil könne Macron ihnen als Präsident „bis 2027 zusätzlich Steine in den Weg legen und einen geeigneten Präsidentschaftskandidaten vorbereiten“.



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