Klimaschutz: Die Kritik am selbsternannten Klima-Musterschüler Deutschland wächst
Im Kampf gegen den Treibhauseffekt sieht sich Deutschland gern als Musterschüler. Klimaschützer warnen allerdings vor gefährlicher Selbstgefälligkeit und nachlassendem Elan. Kurz vor der UN-Klimakonferenz im marokkanischen Marrakesch, die am Montag beginnt, zeigt sich dies deutlich im Streit um den sogenannten Klimaschutzplan 2050 der Bundesregierung.
Angesichts tiefgreifender Differenzen im Kabinett ist weiter unklar, ob das wichtige Strategiedokument rechtzeitig zum Gipfel fertig wird. Für Kritiker ist das nur ein neuer Tiefpunkt. Schon der Entwurf des Plans hatte sie bitter enttäuscht.
In der Tat wird trotz Anstrengungen in Sachen Energiewende allmählich die Zeit dafür knapp, die von der Bundesregierung vorgegebenen Ziele zur Treibhausgasreduktion zu schaffen. Bis 2020 soll der nationale Ausstoß eigentlich um 40 Prozent gegenüber 1990 gesunken sein. Nach einer aktuellen Regierungsprojektion ist das aber nur „bei zügiger und anspruchsvoller Umsetzung“ aller schon angeschobenen Maßnahmen gerade noch erreichbar.
„Schon die Klimaziele für 2020 wird die Bundesrepublik nach jetzigem Stand verfehlen“, sagt Viviane Raddatz, Klimaexpertin der Umweltschutzorganisation WWF. In den nächsten drei Jahren müssten demnach noch weitere 158 Millionen Tonnen Treibhausgasemissionen eingespart werden, um den Misserfolg abzuwenden. Das sei eine „enorme Menge“. Und es ist nur ein Zwischenschritt: Bis 2050 will und muss Deutschland nach den Vorgaben des 2015 in Paris beschlossenen UN-Klimavertrags 80 bis 95 Prozent weniger CO2 ausstoßen.
„Falls nötig wird die Bundesregierung rechtzeitig nachsteuern müssen“, mahnte auch Bundesumweltministerin Barbara Hendricks (SPD) Anfang Oktober bei der Vorstellung der neuen Klimaprojektion. Notwendig seien weitere Klimaschutzschritte in sämtlichen Bereichen.
Das aber ist alles andere als leicht. Es geht um tiefe Eingriffe in ökonomische und gesellschaftliche Strukturen – und um Geld und Chancen. In der Frage des Ausstiegs aus der klimaschädlichen Kohleverstromung etwa prallen die Positionen schon seit Monaten hart aufeinander. Klimaschützer, Parteien wie die Grünen, aber auch Regierungsberater wie der Sachverständigenrat für Umweltfragen (SRU) halten den Ausstieg für unumgänglich.
Und das nicht irgendwann. Es gehe um „kurzfristige Maßnahmen“ noch vor 2020, mahnten zumindest die vier Umweltverbände Greenpeace, WWF, BUND und Nabu kürzlich in einem Brandbrief. „Bis 2035 muss die Kohleverstromung in Deutschland ganz beendet sein.“
Dagegen formieren sich Energiekonzerne, Gewerkschaften, Wirtschaftsverbände und wirtschaftsnahe Politiker. Sie warnen vor Arbeitsplatzverlusten, steigenden Stromkosten und Wettbewerbsproblemen für die Industrie. Denn: Im vergangenen Jahr stammten immerhin 40 Prozent der deutschen Bruttostromerzeugung aus Kohlekraftwerken.
Derzeit ringt die Regierung weiter um ihren Klimaschutzplan 2050 – ein Katalog, der detailliert aufschlüsseln soll, wie annähernde Treibhausgasneutralität bis dahin erreicht wird. Eigentlich sollte er bis zum UN-Klimagipfel in Marrakesch vorliegen, doch der Kabinettsbeschluss dazu wurde verschoben. Wie es weitergeht, ist ungewiss.
Dabei war der Entwurf für den Klimaschutzplan innerhalb der Regierung bereits vor dem Beginn der Ressortabstimmung abgeschwächt worden – nicht nur mit Blick auf die Kohle. Hendricks sieht sich mit Widerstand aus dem Verkehrs- und Landwirtschaftsministerium konfrontiert. Es geht um die Frage, welche Sektoren wie viel CO2 einsparen müssen.
Für die Umweltschutzverbände brachte das Gezerre das Fass bereits vor der jüngsten Zuspitzung zum Überlaufen. Der Klimaschutzplan verdiene den Namen nicht, erklärten sie.
Sollte Deutschland nun sogar ganz ohne Plan nach Marrakesch kommen, wäre die Blamage für sie vollkommen. Selbst in Sachen Klimaschutz traditionell viel zurückhaltendere Staaten wie die USA und Kanada würden dort Klimaschutzpläne vorlegen. „Während andere Länder auf die Überholspur wechseln, steht Deutschland im Klimaschutz derzeit auf dem Standstreifen“, sagt Raddatz. Christoph Bals von der Organisation Germanwatch pflichtet ihr bei. Ausgerechnet die Bundesrepublik stehe „als Kaiser ohne Kleider da“. (afp)
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