Die KP Chinas und Interpol – Zwei riskante Personen an der Spitze

Bei Interpol wurde gewählt – und in der Welt wird wieder über den von Peking verhafteten früheren Interpol-Chef Meng Hongmei gesprochen.
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Interpol.Foto: OZAN KOSE/AFP via Getty Images
Von 5. Dezember 2021
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Ende November tagte die internationale Polizeiorganisation in Istanbul, auf der Generalversammlung von Interpol wurde gewählt. Gleichzeitig wurde protestiert – doch Proteste von Menschenrechtsorganisationen, Politikern und Ex-Häftlingen haben die Wahl von zwei umstrittenen Kandidaten nicht verhindern können. Interpol ist die zweitgrößte internationale Organisation nach der UNO.

Einer der Umstrittenen ist der Generalinspektor des Innenministeriums der Vereinigten Arabischen Emirate, Ahmed Naser Al-Raisi. Ihm wird Beteiligung an Folter vorgeworfen. In fünf Ländern laufen aus diesem Grund Klagen gegen ihn, darunter in Frankreich, wo Interpol seinen Sitz hat und in der Türkei, wo die Generalversammlung tagte.

Interpol wählte ihn am 25. November mit Zweidrittelmehrheit zu seinem neuen Präsidenten, die Amtszeit dauert vier Jahre.

Der andere neue Mandatsträger kommt aus China. Hu Binchen ist ein hochrangiger Sicherheitsbeamter. Er leitet eine Abteilung im chinesischen Ministerium für öffentliche Sicherheit, bei der es eine seiner Hauptaufgaben ist, Kritiker und politische Gegner auf der ganzen Welt zu jagen. Auch er ist an die Spitze von Interpol aufgestiegen. Nach seiner Wahl erhält er nun einen wichtigen Posten im Exekutivkomitee, dem Aufsichtsrat von Interpol.

Kritiker befürchten, dass das chinesische Regime dadurch seinen Einfluss auf die internationale Polizeiorganisation weiter ausbaut und sie damit weiter missbrauchen würde, um Dissidenten zu verfolgen.

Interpol hat derzeit 195 Mitgliedstaaten, der Hauptsitz ist in Lyon. Das Exekutivkomitee ist ein wichtiges Organ innerhalb von Interpol und soll die Arbeit des Generalsekretariats beaufsichtigen, das unter anderem über den Erlass internationaler Haftgesuche entscheidet.

Der frühere Interpol-Chef verschwand in China

Hu Binchen ist nicht der erste chinesische Sicherheitsbeamte, der an der Spitze von Interpol steht.

Von 2016 bis 2018 war Meng, sein Vorgesetzter, der erste chinesische Präsident von Interpol, er hielt sich hauptsächlich in Frankreich auf. In Mengs Zeit hat China die meisten Gesuche gestellt (red notice, wie es bei Interpol heißt). Doch dann passierte etwas Unglaubliches: Der hochrangige Beamte Meng verschwand im Oktober 2018 über Nacht.

Interpol wusste nicht einmal davon, dass der eigene Präsident verwunden war, bis die Ehefrau von Meng die Polizei informierte.

Der frühere Interpol-Chef flog im September 2018 auf Anweisung aus Peking nach China zurück. Aus Peking sandte er eines Tages eine SMS an seine Frau Grace, er schrieb ihr: Warte auf meinen Anruf. Vier Minuten später bekam seine Frau keinen Anruf, sondern ein Emoji auf ihr Handy. Es war ein außergewöhnliches Symbol – nämlich kein Smiley, sondern ein Messer. Dieses Messer war das letzte Lebenszeichen, das Grace Meng von ihrem Mann erhielt.

Einige Wochen später teilte das Ministerium für öffentliche Sicherheit mit, dass gegen den damaligen Interpol-Chef Meng ermittelt werde, und zwar wegen Verdachts auf Korruption – glaubt das jemand?

Ob China durch diese Aktion das Gesicht vor der Welt verlieren würde, war der chinesischen Führung in Peking in diesem Fall wohl ganz egal. Im Januar 2020 wurde Meng Hongwei wegen der Annahme von Bestechungsgeldern in Höhe von mehr als zwei Millionen US-Dollar zu 13 Jahren Gefängnis verurteilt. Bei seiner Freilassung wird er über 80 sein. Ob er das Gefängnisleben überleben wird, ist eine andere Frage.

Seine Frau Grace und seine zwei Kinder leben weiterhin in Frankreich mit der Angst, jeden Moment durch Pekings Beamte der Kommunistischen Partei entführt werden zu können. Kurz vor der Generalversammlung von Interpol zeigte sich Grace Meng erstmals seit der Festnahme ihres Mannes vor der Kamera, als sie der US-Nachrichtenagentur AP ein exklusives Interview gab.

Hochrangige Familie

Grace Meng gehörte zu Chinas Machteliten. Sie war ständiges Mitglied der Politischen Konsultativkonferenz der Provinz Shandong. Nachdem sie drei Jahre lang die ungezügelte Macht und unbegrenzte Willkür der chinesischen Führung am eigenen Leib erlebt hat, nennt sie das chinesische Regime heute ein Monster, das seine Kinder frisst: „For today’s China, in my eyes, I think, they are the monster now, because they eat their children.“

Als stellvertretender Minister des Ministeriums für öffentliche Sicherheit war ihr Mann einst einer der mächtigsten Männer in China. Meng Hongwei stand einst direkt neben Chinas Staatspräsident Xi Jinping. Ist er damit ein enger Vertrauter von Xi? Die späteren Ereignisse werden das Gegenteil beweisen.

Der Posten „Präsident von Interpol“ ist in erster Linie ein Ehrenamt. Meng Hongwei bestand jedoch darauf, mit Ehefrau und Kindern nach Lyon zu ziehen. Die Familie beim Diensteinsatz im Ausland bei sich zu haben, ist etwas ganz Normales für Menschen aus freien demokratischen Ländern. Doch in China wird die Parteiführung sofort hellhörig, wenn jemand versucht, die ganze Familie in ein Land zu bringen, wo der lange Arm der KP schwer hinreichen kann.

Als langjähriger Sicherheitsbeamter, der sich im inneren Kreis der politischen Machtkämpfe befand, wäre Meng viel zu naiv, wenn er nicht wüsste, dass seine Familie jederzeit als Druckmittel gegen ihn genutzt werden könnte. Und nur, wenn seine Frau in einem sicheren Land untergebracht ist – womöglich mit ihr anvertrauten geheimen Informationen – hätte er einen Schutz für sich selbst, wenn er in Gefahr geriete.

Tatsächlich wurde er im Februar 2018 vom Parteikomitee des Ministeriums der öffentlichen Sicherheit aufgefordert, die Familie zurück nach China zu bringen. Anstatt der Aufforderung zu folgen, versuchte er den Umzug seiner Familie hinauszuzögern. Im September 2018 wurde er darum gebeten, für eine wichtige Besprechung nach China zu fliegen. Diesmal konnte er nicht mehr ausweichen, auch wenn er ahnte, dass es eine Falle sein könnte. In der Tat war der Jäger diesmal ein Gejagter. Kaum war er in Peking gelandet, wurde er schon festgenommen.

Für die KP Chinas ist es keine schwierige Sache, seine Frau und Kinder zu entführen und nach China zu bringen. Und das haben sie auch versucht. Grace Meng sagte in einem Interview mit „France 24“, chinesische Agenten hätten versucht, sie und ihre beide Söhne zu entführen.

Verfolgt in Frankreich

Fünf Tage nachdem ihr Mann verschwunden war, bekam sie Anrufe von Fremden, sie wurde verfolgt, ihr Auto wurde beschädigt, der Alarm ihrer Wohnung läutete mehrmals. Sogar die Nachbarn hätten Angst bekommen. „They can do anything, they don’t have a bottom line“ – Sie können alles tun, sie haben keine moralische Grenze, sagt sie.

Grace Meng und ihre Kinder leben in Angst. Bei einem Live-Interview mit einer CNN-Reporterin klingelte ihr Handy dreimal hintereinander. Die Frau am anderen Ende der Leitung sagte klar und deutlich, sie sei die stellvertretende Konsulin. Die chinesische Konsulin verlangte von ihr, dass sie nicht mehr mit den Medien sprechen sollte.

Die französische Polizei hatte die Familie einmal in ein Hotel in Lyon umquartiert, um sie besser schützen zu können. Die Mitarbeiter des chinesischen Konsulats folgten ihr bis zum Hotel und verlangten von der Rezeption Schüssel zu ihrem Zimmer. 2019 haben Grace Meng und ihre Kinder in Frankreich politisches Asyl bekommen. Seitdem ist sie aus dem Blickfeld der Öffentlichkeit verschwunden.

Wieso wendet sie sich jetzt an die Öffentlichkeit?

Warum tritt sie jetzt wieder an die Öffentlichkeit und gibt der US-Nachrichtenagentur AP ein Interview?

Es könnte drei Gründe geben. Erstens hat sie womöglich festgestellt, dass – obwohl sie die Geheimnisse ihres Mannes bewahrt und nichts an die Öffentlichkeit gebracht hat – sich nichts an der Situation ihres Mannes änderte.

Zweitens macht sie sich weiterhin Sorgen um die Sicherheit, vor allem über die Sicherheit ihrer Söhne. Die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit bietet ihr einen gewissen Schutz.

Drittens hat sie womöglich Unterstützung von Außen bekommen.

Warum wurde Meng Hongwei ausgeschaltet?

Nach Aussagen von Grace Meng habe ihr Mann seine ranghohe Position genutzt, um auf Reformen in China hinzuwirken. Ihr Mann sei ein Opfer des Machtkampfes innerhalb der KP Chinas geworden.

Meng Hongwei war ein wichtiger Akteur im Machtzentrum der KP Chinas. Die chinesischen Medien bezeichnen ihn offen als Anhänger des ehemaligen Sicherheitszaren Zhou Yongkang, der später gestürzt und 2015 zu lebenslanger Haft verurteilt wurde. 2003 wurde Zhou Yongkang Minister des Ministeriums für öffentliche Sicherheit. Ein Jahr später bestellte er Meng als seinen Stellvertreter. Für die KP Chinas ist das Ministerium für öffentliche Sicherheit das Messer in der Hand.

Zweifelsohne ist er ein Verlierer in diesem erbitterten Machtkampf zwischen zwei Interessengruppen – ein Opfer politischer Säuberungen. Doch auch an Mengs Hand klebt viel Blut, denn in seiner Amtszeit wurden viele Dissidenten, Uiguren, und Falun-Gong-Praktizierende verhaftet und verfolgt.



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