Die Jugend Ägyptens kann die Revolution noch gewinnen

Titelbild
Tausende Ägypter kamen zu der Kundgebung auf dem Tahirplatz; einige halten eine riesige Nationalflagge hoch mit der Aufschrift: „Hallo Tantawi, die Armee hat keinen Platz in der Verfassung.“ Tantawi ist der Chef des Militärs, welches Ägypten in der Zeit bis zur Präsidentenwahl im Mai regiert.Foto: Khaled Desouki/Getty Images
Von 10. Mai 2012

Für die revolutionäre Jugend Ägyptens wurde in den letzten Wochen ein schlimmer Alptraum wahr: sie wurden mitten im chaotischen ägyptischen Alltag in einen erbitterten Kampf zwischen dem alten Regime und den Islamisten verwickelt.

Vor dem Ende der Übergangsperiode am 30. Juni 2012 Jahres streitet die Muslimbruderschaft mit dem regierenden Obersten Rat der Streitkräfte (SCAF) um die Oberhand für die Zeit nach dem Übergang. Währenddessen verlieren sich die säkularen Kräfte in Diskussionen um politische Themenbereiche. Und das in einer wirtschaftlichen Umgebung, die den Bankrott für den Staat bedeuten könnte.

Es geht um nichts weniger als um das Überleben der Revolution. Die ägyptische Jugend sollte wieder die Führung übernehmen (wie sie es mutig im Januar 2011 tat): Eine einheitliche Front bilden und den Übergangsprozess des Landes wieder übernehmen, um die zentralen Ziele „Essen, Freiheit und soziale Gerechtigkeit“ auch tatsächlich zu erreichen.

Offensichtlich von ihrem letzten Wahlsieg beflügelt, hat die Muslimische Bruderschaft ihr Versprechen gebrochen, den politischen Prozess nicht zu monopolisieren. Sie versuchten, die Zusammensetzung der konstitutionellen Versammlung zu diktieren und nominierten für die im nächsten Monat stattfindenden Wahlen einen Kandidaten für das Präsidentenamt.

Der Oberste Gerichtshof, der verdächtigt wird, unter Einfluss des SCAF zu stehen, disqualifizierte sowohl die konstitutionelle Versammlung als auch Khairat El-Shater, den Präsidentschaftskanditaten der Muslimischen Bruderschaft. Disqualifiziert wurden auch andere Kandidaten, darunter der ehemalige Geheimdienstchef Omar Suleiman, dessen Kandidatur für die Muslimbrüder und großer Teile der Bevölkerung ein Dorn im Auge gewesen war.

Die Muslimische Bruderschaft hat mit Dr. Mohamed Morsy bereits einen Alternativkandidaten aufgestellt, von dem angenommen wird, dass er den Sieg jedes anderen als „Fälschung“ bezeichnen wird. Inzwischen kommuniziert die SCAF stillschweigend, dass sie bereit sei, das Parlament aufzulösen oder die Präsidentschaftswahlen aufzuschieben, wenn in der Verfassungsformulierung keine Übereinstimmung darüber erzielt werden kann, dass die Entscheidungsfreiheit des Militärs und sein Budget gewährleistet ist.

Gespaltene säkulare Kräfte

Während des Kampfes der beiden Titanen wirken die weltlichen Kräfte völlig wirr und gespaltener denn je. Der Lieblingskandidat der Liberalen, Mohamed Al-Baradei, hat sich aus der Wahlschlacht zurückgezogen. Die Anstrengungen des Komitees der 100, die selbsternannte Gruppe der prominenten ägyptischen Elite, die nicht aus dem alten Regime stammenden Präsidentschaftskandidaten zur Bildung einer Einheit zu bewegen, sind gescheitert, und andere Kräfte der Revolution rufen gar dazu auf, die Präsidentenwahl überhaupt zu boykottieren.

So war es Fakt, dass interne Querelen das Charakteristikum des Millionen-Menschen-Protestes auf dem Tahrier-Platz am 20. April waren, wo die Forderungen auf den Transparenten an den verschiedenen Ständen unterschiedlicher nicht sein konnten. Das unausweichliche Resultat dieser Spaltungen und Entfremdungen der liberalen und säkularen Jugend, die hinter der vielversprechenden Revolution gestanden war, ist der anhaltende Zustand von Verunsicherung mit Chaos und Gewalt im Gefolge.

Um diese Entwicklungen daran zu hindern, zur Würgeschlange zu werden, die die Revolution ersticken könnte, muss die ägyptische Jugend wieder die Initiative ergreifen und alle ihre Energien und Ressourcen aufbringen, um eine Partei zu bilden. Eine Partei, die aus einer Koalition gebildet wird von denen, die keine Islamisten und keine Anhänger des Altregimes sind, die die jungen Revolutionäre repräsentiert und für ihre Bestrebungen steht.

Liberale politische Führer und Intellektuelle erkennen die Tatsache an, dass es ihre demokratische und bürgerliche Natur (weder theokratisch noch militärisch) ist, welche die revolutionären Kräfte vom ganzen Rest unterscheidet. So sehr sie sich auch in ihren
Absichten einig sind, benötigen sie dringend eine strukturell organisierte politische Partei.

Hoffnung

Kürzlich kam ein Hoffnungsschimmer auf, als Mohamed El-Baradei erklärte, die al-Thawra (Revolutions-) Partei gründen zu wollen. Sie solle als Koalition für alle bürgerlichen politischen Parteien fungieren. Wenn sich die liberalen politischen Führer solchen Anstrengungen nicht anschließen, riskieren sie die vielleicht letzte Chance zu verlieren, die ursprünglichen Ziele der ägyptischen Revolution zu erreichen.

Säkulare revolutionäre Präsidentschaftskandidaten müssen für die nationalen Interessen tätig sein und als Team antreten (Präsident und Vizepräsident), um von einem bedeutsamen Wählerblock unterstützt zu werden.

In der Vorbereitungsphase für diese ehrgeizige politische Einheit sollte sich die ägyptische Jugend organisieren und die Massen mobilisieren (so wie in der Vorbereitungsphase zur Revolution), millionenfach auf die Straße gehen und rufen: „Rettet die Revolution!“

Wenn es das verschanzte Mubarak-Regime nicht schaffte, einem achtzehn Tage dauernden Millionenprotest zu widerstehen, so wird keine Regierung oder politische Bewegung imstande sein – ganz egal wie mächtig diese auch sein mag – die legitimen Forderungen einer massiven, beharrlichen und gewaltlosen Protestbewegung zurückzuweisen. Für dieses Ziel muss die Jugendbewegung auf Folgendem bestehen:

Die konstitutionelle Versammlung muss das gesamte ägyptische politische Spektrum abdecken und darf nicht vom Parlament diktiert werden, selbst wenn dieses demokratisch gewählt wurde (d.h. es soll keine Diktatur der Mehrheit geben – um die bürgerliche Natur des Staates zu gewährleisten).

Damit die Wähler unbeeinflusst wählen können, sollten die SCAF und die Regierung das in der gegenwärtigen konstitutionellen Deklaration formulierte Verbot von religiösen Verweisen im Wahlkampf durchsetzen. Der Präsidentschaftskandidat der Muslimbrüder, Mohamed Morsy, hat ironischerweise explizit gesagt, dass er unter der Maxime „Islam ist die Lösung“ kandidieren wird.

Eine sofortige Restrukturierung und Umbildung des Innenministeriums und seines Geheimdienstes, dem Nationalen Sicherheitsdienst. Diese Maßnahme soll die vollständige Beachtung der Menschenrechte sichern. Diese Behörden haben sich auf die ernsten Sicherheitsgefährdungen und antidemokratischen Kräfte zu konzentrieren und müssen NGOs und Jugendbewegungen schützen.

Zu guter Letzt muss das festgelegte Ende der Übergangszeit zum 30. Juni 2012 eingehalten werden. Das wird das Vertrauen der Welt in das neue Ägypten bewirken und ausländische Investoren wieder ins Land bringen.

Basisbewegung

Manche meinen vielleicht, dass die Jugend nicht in der Lage sei, eine solche Kampagne auf die Beine zu stellen, die die Grundsätze der Revolution wieder auferstehen lässt und die Öffentlichkeit mobilisieren soll. Und das auch noch in einer Zeit, in der der durchschnittliche Ägypter von der drückenden Wirtschaftskrise, dem Sicherheitsvakuum und der grassierenden Arbeitslosigkeit entkräftet ist (derzeit fünfundzwanzig Prozent).

Niemand kann diese bedrückende Realität infrage stellen und die täglichen Sorgen bezweifeln, aber der Aufruf der revolutionären Jugend kann immer noch funktionieren, wenn: a) sie ihrer nationalen Inspiration treu bleiben und b) sie die Tatsache akzeptieren, dass jede Revolution eine chaotische Übergangszeit nach sich zieht und es nur ärger wird, wenn keiner kommt, um sie zu beenden.

Einheit in den Zielen, eine einheitliche politische Struktur und die Mobilisierung der Massen sind die kurzfristigen Aufgaben. Mittelfristig allerdings ist die Jugend vor die Herausforderung gestellt, von einer Elitebewegung zu einer Basisbewegung zu werden. Das ist die Lehre, die sie aus ihrem Fehler in den Parlamentswahlen 2011 gezogen haben sollten, bei denen die Islamisten gewonnen haben.

Die größte Herausforderung für die ägyptische Jugend ist jedoch, die Armen zu erreichen, die ganze vierzig Prozent der Bevölkerung ausmachen. Die meisten der jungen Männer und Frauen sind für dieses Vorhaben recht gut qualifiziert. Viele betätigen sich bereits in freiwilligen Arbeiten, was schnell umdirigiert werden könnte, um den Analphabeten zu helfen, Gesundheitsdienste und Arbeitstrainings bereitzustellen oder bei der Mikrokreditvergabe zu helfen. Alle diese Tätigkeiten würden den Revolutionären einen stabilen Wählerblock für alle künftigen Wahlen sichern.

Die einzigen Verlierer des Kampfes zwischen der Muslimischen Bruderschaft und der SCAF sind die ägyptischen Jugendlichen und wofür ihre Revolution stand. Die revolutionären liberalen Führer und die Jugend teilen die Verantwortung, das zu retten, was von der revolutionären Begeisterung übrig geblieben ist, indem sie sich zusammentun, einen gemeinsamen Weg gehen und eine mächtige Kampagne auf den Weg bringen, um die demokratische und bürgerliche Natur des neuen Ägypten zu schützen, indem sie die große Mehrheit des ägyptischen Volkes mitreißen.

Ihr, die Jugend der großartigen Nation Ägypten, erinnert euch, dass ihr nicht nur für euer Land, sondern für die gesamte arabische Welt steht. Was ihr tut, und die Art und Weise, wie ihr die Revolution weitertragt, hat einen direkten Einfluss auf jeden arabischen Staat und auf die Hoffnung von mehr als 200 Millionen arabischer Jugendlicher, die nach einem Leben in Freiheit und Würde streben.

Wenn ihr euch dieser schicksalhaften Mission nicht schnell annehmt, wird Ägypten in eine Periode des Chaos und der Instabilität verfallen, die ganz sicher von einer militärischen Diktatur oder einem theokratischen Tyrannen abgelöst wird. Dann wird der arabische Frühling in einen grausamen Winter übergehen.

Alon Ben-Meir ist Professor für internationale Beziehungen am Center for Global Affairs an der New York University. Er gibt Kurse über internationale Verhandlungen und Studien des mittleren Ostens.

Artikel auf Englisch: Die Jugend Ägyptens kann die Revolution noch gewinnen

 



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