„Die Freiheit begann in Ungarn“: Zehntausende Ostdeutsche flohen vor 35 Jahren in den Westen
Vor 35 Jahren, am 11. September 1989, öffnete Ungarn seine Grenze zu Österreich für die Bürger der DDR. Durch das entstandene Loch im Eisernen Vorhang strömten die Menschen aus der DDR in den Westen. Innerhalb von drei Tagen gelangten so Tausende in die Bundesrepublik.
„Guten Abend, meine Damen und Herren, zur Sondersendung des Aktuellen Dienstes. Die ungarische Regierung hat heute beschlossen, dass ab Mitternacht, also in etwas weniger als zwei Stunden, die DDR-Flüchtlinge ausreisen dürfen. Um 24 Uhr gehen die Balken hoch“, gab der österreichische Rundfunk am Abend des 10. September in einer Sondersendung bekannt.
Die Entscheidung der ungarischen Regierung stellte einen Meilenstein im Prozess des Regimewechsels in Osteuropa dar. Ungarn war das erste Land des gesamten sozialistischen Blocks, das in einer riskanten Entscheidung seine Westgrenzen geöffnet hatte.
Zum Gedenken an dieses zentrale Ereignis organisierte das Deutsch-Ungarische Institut für Europäische Zusammenarbeit gemeinsam mit der Deutsch-Ungarischen Gesellschaft eine Festveranstaltung zum 35. Jubiläum der Grenzöffnung. An der Veranstaltung nahmen auch Zeitzeugen teil, die selbst aus Ostdeutschland geflohen waren und die neu geöffnete Grenze überquerten.
Der besondere Tag
An der ungarisch-österreichischen Grenze standen die Pkw aufgereiht, bevor sich die Grenze öffnete. Einer der ersten Grenzgänger an dem historischen Tag war der 39-jährige Gerhard Meyer. Er berichtete später, dass er mit seiner Familie um Mitternacht in einem Konvoi von zehn oder zwanzig Autos losgefahren waren. Die Flüchtlinge aus Ostdeutschland bekamen westdeutsche Pässe und Geld für Benzin und Lebensmittel an der Grenze.
„Diesen historischen Moment miterleben zu dürfen, war schlichtweg göttlich und berauschend zugleich“, so Meyer über die Nacht vom 10. zum 11. September 1989 in seinem Buch „Der schnelle Meyer – Mit Vollgas durchs Leben“.
Der Mann, der auch in der Presse als „Schneller Meyer“ bekannt wurde, fuhr damals in einem auf dem Schwarzmarkt gekauften Toyota Corolla GT mit teils 200 Kilometern pro Stunde durch Österreich, um schnellstmöglich in die BRD zu gelangen. Er erreichte als Erster das westdeutsche Passau.
Meyer hatte damals, wie so viele andere DDR-Flüchtlinge, sein Leben in Ostdeutschland zurückgelassen. In seinem Buch schreibt er: „Ja, wir haben uns spontan entschlossen, alles stehen und liegenzulassen, weil – wenn der Mensch an der Grenze ankommt, wo es nicht mehr weitergeht, muss man halt alles stehen und liegen lassen.“
In den ersten paar Stunden flohen mehr als 10.000 Menschen
Einem Artikel in der ungarischen Zeitung „Demokrata“ zufolge reisten allein in den ersten paar Stunden mehr als 10.000 Menschen aus. Ende November waren es dann etwa 60.000 ostdeutsche Bürger, die in die BRD flohen. Damals gingen Aufnahmen von Menschen, die in ihren Trabis und Wartburgs die Grenze überquerten, durch die Weltpresse.
Bundeskanzler Helmut Kohl bedankte sich bei der ungarischen Regierung und den ungarischen Behörden:
Es ist eine Entscheidung der Menschlichkeit, es ist eine Entscheidung der europäischen Solidarität.“
Die sowjetische Presse, laut „Demokrata“, „berichtete sachlich über die Ereignisse“, während die Regierungen der DDR, Tschechoslowakei und Rumänien „heftig protestierten“.
In Ost-Berlin sprach man von „Einmischung in die inneren Angelegenheiten der DDR“ sowie von von der BRD verführten DDR-Bürgern, die von Ungarn verkauft wurden.
Der historische Balaton-Urlaub der Ostdeutschen 1989 und die Vorgeschichte der Grenzöffnung
Nach dem Bau der Berliner Mauer wurde Ungarn zu einem zentralen Teil des deutschen Schicksals. Im Sommer durften sowohl Ost- als auch Westdeutsche das Land besuchen. Hier konnten sich Freunde und Verwandte am Ufer des Plattensees treffen.
1989 kam es jedoch zu historischen Ereignissen. Diese führten dazu, dass die Ostdeutschen, die am Plattensee Urlaub machten, nicht mehr an die Rückkehr in ihre Heimat dachten, sondern an die Flucht in den Westen, erzählt der Historiker Zoltán Holmár in einem Artikel, der in der ungarischen Presse veröffentlicht wurde.
Am 27. Juni 1989 durchschnitten der ungarische Außenminister Gyula Horn und der österreichische Außenminister Alois Mock den „Eisernen Vorhang“ – einen doppelten Stacheldrahtzaun – entlang der Grenze. Kurz darauf, am 19. August 1989, fand eine Friedensdemonstration, das sogenannte Paneuropäische Picknick, an der österreichisch-ungarischen Grenze statt. Während dieser vorübergehenden Öffnung der Grenze kamen Hunderte DDR-Bürger nach Österreich.
Daraufhin versammelten sich in der Hoffnung auf eine Flucht in den Westen Tausende DDR-Bürger in Ungarn, was den Druck auf die Regierung erhöhte.
Nach langwierigen diplomatischen Verhandlungen informierte Ungarn die ostdeutsche Staatsführung am 1. September 1989 über die Entscheidung. Der Brief an die SED wurde damals von Péter Györkös verfasst. Györkös ist seit dem Jahr 2015 Ungarns Botschafter in Deutschland.
Als er Ostberlin mitteilte, dass die Grenze ab dem 11. September geöffnet werde, „begriff der DDR-Botschafter sofort das Ausmaß“, sagte Györkös dem „RedaktionsNetzwerk Deutschland“.
„Als wir ihm die diplomatische Note aushändigten: ‚Lieber Peter‘, sagte er, ‚du weißt, was jetzt geschehen wird: Die Mauer ist weg und die DDR wird ausbluten‘“, erinnerte sich Györkös an die Worte des Botschafters.
Die Vorhersage ging tatsächlich in Erfüllung: Zwei Monate später fiel die Berliner Mauer.
Gedenkveranstaltung in Budapest verknüpft Vergangenheit und Gegenwart
Botschafter Györkös war auch zu der Gedenkfeier am 11. September in Budapest eingeladen, die vom Mathias Corvinus Collegium, einem regierungsnahen Thinktank, organisiert wurde. An der Veranstaltung selbst konnte er jedoch nicht teilnehmen. Dafür hielt Gerhard Papke, der Präsident der Deutsch-Ungarischen Gesellschaft, eine Rede.
Papke erklärte, dass wir nicht vergessen dürfen, wie die Ungarn zur Wiedervereinigung Europas und Deutschlands beigetragen haben. Die Ungarn hätten einen Zaun abgerissen, um Menschen, die zuvor eingesperrt waren, die Freiheit zu ermöglichen, aber jetzt müssten sie einen Zaun bauen, um Massenmigration zu verhindern, betonte er.
In seiner Rede, in der er Vergangenheit und Gegenwart miteinander verband, bezog sich Papke auch auf die sogenannte Friedensmission von Ministerpräsident Viktor Orbán. Er sagte, dass das, was Orbán getan hat, eigentlich Bundeskanzler Olaf Scholz hätte tun sollen. Der Krieg in der Ukraine – so Papke weiter – muss beendet werden.
Miklós Panyi, Staatssekretär im Büro des ungarischen Ministerpräsidenten, betonte, dass der 11. September 1989 auch deshalb ein Grund zum Feiern sei, weil damit eine historische Kettenreaktion in Bewegung gesetzt wurde, bei der der Kommunismus beendet wurde, die Berliner Mauer fiel und die Wiedervereinigung Europas begann.
Der Staatssekretär betonte, dass Deutschland seitdem zum wichtigsten Wirtschaftspartner Ungarns geworden sei. Allerdings erwähnte er auch, dass es zwischen den beiden Ländern derzeit Streitigkeiten über Souveränität, Christentum, Migration und Frieden gebe. „Bei diesen Debatten sollten wir aber nicht vergessen, dass es um unser gemeinsames europäisches Kulturerbe geht“, betonte Panyi.
Der „Schnelle Meyer“ im Jahr 2024: Niemals die Freiheit vergessen
An der Veranstaltung nahmen neben ungarischen Regierungsvertretern auch Beteiligte der Ereignisse von 1989 teil.
In einem Interview mit der Epoch Times erklärte der „Schnelle Meyer“, der als Erster die Grenze überquerte, warum es ihm besonders wichtig war, an der Veranstaltung teilzunehmen.
„Die Welt hat sich in ganz großen Kategorien geändert. […] Damals sind wir geflüchtet, weil wir nicht die Freiheit hatten, unsere Worte zu artikulieren.“
„Heute ist es in Deutschland wieder schon so schlimm […] man wird schon wieder zensiert durch die Worte: Bist du heute unbequem, wirst du morgen rechtsextrem.“
Deswegen sei er hier:
Dass die Freiheit immer aufrechterhalten werden muss, damit wir das niemals vergessen.“
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