Deutsche in „Geiselhaft“ in der Türkei
Die Inhaftierung mehrerer Deutscher in der Türkei unter dem Vorwurf der „Terrorunterstützung“ belastet die deutsch-türkischen Beziehungen seit Monaten.
Bundesaußenminister Sigmar Gabriel (SPD) kündigte wegen der offenbar politisch motivierten Festnahmen eine „Neuausrichtung“ der deutschen Türkei-Politik an und warf Präsident Recep Tayyip Erdogan kürzlich vor, die Häftlinge als „Geiseln“ zu benutzen.
Derzeit sitzen laut dem Auswärtigen Amt neun Deutsche aus mutmaßlich politischen Gründen im Gefängnis. Kürzlich wurde zudem eine deutsch-türkische Anwältin in Polizeigewahrsam genommen. Namentlich bekannt sind lediglich die Häftlinge Deniz Yücel, Mesale Tolu und Peter Steudtner, die der deutsche Botschafter in Ankara, Martin Erdmann, diese Woche in ihren Istanbuler Gefängnissen besuchen will.
DENIZ YÜCEL
Der „Welt“-Korrespondent geriet Ende vergangenen Jahres vermutlich wegen Berichten über Erdogans Schwiegersohn Berat Albayrak ins Visier der Justiz. Nachdem er mehrere Wochen im deutschen Kulturinstitut in Istanbul Zuflucht gesucht hatte, stellte er sich am 14. Februar freiwillig der Polizei. Die Justiz nahm ihn nach zwei Wochen in Polizeigewahrsam wegen „Volksverhetzung“ und „Terrorpropaganda“ in Untersuchungshaft.
Grund für die Vorwürfe sind Yücels Berichterstattung über den gescheiterten Militärputsch von Juli 2016 und den Kurdenkonflikt. Zur Last gelegt wird dem deutsch-türkischen Journalisten insbesondere ein Interview mit dem PKK-Führer Cemil Bayik in den irakischen Kandil-Bergen. In Deutschland stieß Yücels Inhaftierung auf scharfe Kritik und die Bundesregierung setzt sich seit Monaten mit Nachdruck für seine Freilassung ein.
Erdogan verwies angesichts der Kritik auf die Unabhängigkeit der Justiz, bezeichnete Yücel zugleich aber als deutschen „Spion“ und „Agenten“ der PKK. Erst nach langem Drängen erlangten deutsche Diplomaten Zugang zu Yücel in Haft. Er sitzt im Gefängnis Silivri ein und verbrachte dort lange Zeit in Einzelhaft. Im April heiratete der 43-Jährige seine Freundin Dilek Mayatürk, damit sie ihn besuchen kann.
MESALE TOLU
Die deutsche Journalistin und Übersetzerin wurde am 30. April in ihrer Wohnung in Istanbul festgenommen und sitzt seitdem mit ihrem zweijährigen Sohn im Istanbuler Frauengefängnis Bakirköy. Einige Wochen zuvor war bereits ihr türkischer Ehemann in Haft genommen worden. Die 1984 in Ulm geborene Tolu soll als Übersetzerin für die linke Nachrichtenagentur ETHA gearbeitet haben.
Ihr wird Mitgliedschaft in der Marxistisch-Leninistischen Kommunistischen Partei (MLKP) vorgeworfen. Die Staatsanwaltschaft fordert 15 Jahre Haft wegen „Propaganda und Mitgliedschaft in einer Terrororganisation“. Ihr Prozess soll am 11. Oktober beginnen. In Deutschland fand ihr Fall weniger Beachtung als der Fall Yücels, doch setzt sich die Bundesregierung auch für ihre Freilassung ein.
PETER STEUDTNER
Der Berliner Menschenrechtler war als Seminarleiter eines Workshops für türkische Menschenrechtsaktivisten zu IT-Sicherheit und Stressbewältigung in der Türkei, als er am 5. Juli auf einer Insel bei Istanbul festgenommen wurde. Neben Steudtner wurden der schwedische IT-Experte Ali Gharavi und acht türkische Menschenrechtsaktivisten festgenommen, darunter die türkische Direktorin der Menschenrechtsorganisation Amnesty International, Idil Eser.
Die Justiz wirft ihnen die Unterstützung einer nicht genannten „Terrororganisation“ vor, Erdogan bezeichnete Steudtner als „Spion“, der sein Land „zerteilen“ wolle. International stießen die Festnahmen auf scharfe Kritik und die Bundesregierung forderte die Freilassung Steudtners. Gabriel kündigte angesichts der Inhaftierung Steudtners zudem an, die deutsche Wirtschaftspolitik gegenüber der Türkei zu überprüfen. (afp)
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