Der unnachgiebige „Bürger Kemal“ – Ein ernsthafter Rivale Erdogans

Der türkische Oppositionsführer Kemal Kilicdaroglu ist zu einem ernsthaften Rivalen des türkischen Staatschefs Erdogan geworden. Kilicdaroglu versucht nun, mit einem "Kongress für Gerechtigkeit" inmitten der geschichtsträchtigen Schlachtfelder der Dardanellen den Druck auf die Regierung aufrechtzuerhalten.
Titelbild
Kemal KilicdarogluFoto: Chris McGrath/Getty Images
Epoch Times26. August 2017

Lange galt der türkische Oppositionsführer Kemal Kilicdaroglu als farblos, zögerlich und unentschlossen. Doch mit seinem „Marsch für Gerechtigkeit“, der Anfang Juli mit einer Großkundgebung in Istanbul seinen Abschluss fand, hat der Vorsitzende der Republikanischen Volkspartei (CHP) deutlich an Statur gewonnen.

Nun versucht er, mit einem „Kongress für Gerechtigkeit“ inmitten der geschichtsträchtigen Schlachtfelder der Dardanellen den Druck auf die Regierung aufrechtzuerhalten.

Inzwischen scheint ihn auch Präsident Recep Tayyip Erdogan als ernsthaften Rivalen wahrzunehmen und reagiert zunehmend aggressiv auf ihn. Als die Zeitung „Hürriyet“ kürzlich unter dem Titel „Bürger Kemal“ ein Bild von Kilicdaroglu veröffentlichte, das ihn während des Marschs in seinem Wohnwagen im Unterhemd beim Essen zeigte, attackierte ihn Erdogan scharf und bezeichnete das Bild als „Beleidigung für meine Bürger“.

Anfang August drohte der Präsident dem CHP-Chef sogar indirekt mit seiner Festnahme. Er solle sich nicht wundern, wenn er wegen der Spionageaffäre um den CHP-Abgeordneten Enis Berberoglu Probleme erhalte, warnte Erdogan. Berberoglu war im Juni wegen eines „Cumhuriyet“-Berichts über Waffenlieferungen des türkischen Geheimdiensts an islamistische Rebellen in Syrien inhaftiert worden.

Seine Verurteilung zu 25 Jahren Haft war für Kilicdaroglu der Auslöser, um seinen „Marsch für Gerechtigkeit“ zu starten. Berberoglu war der erste CHP-Abgeordnete, der unter Erdogan im Gefängnis landete. Die Festnahme des Parteichefs und Oppositionsführers wäre freilich noch etwas ganz anderes. Erdogans AKP bestritt denn auch, dass es einen Plan zur Festnahme Kilicdaroglus gebe.

Der heute 68-Jährige hatte im Mai 2010 die Führung der CHP übernommen, nachdem sein Vorgänger über eine Sexaffäre gestolpert war. Lange stand der grauhaarige Herr mit der randlosen Brille und dem grauen Schnauzbart im Ruf, zu sanft für die türkische Politik zu sein. Auch in der Partei warfen viele dem langjährigen Leiter der Sozialversicherung vor, kein Charisma und zu wenig Courage zu besitzen.

Auch wenn der CHP-Chef in Parlamentsdebatten durchaus überzeugt, kann er dem Volkstribun Erdogan als Redner nicht das Wasser reichen. Seine Gesten sind sparsam, Poltern, Polemik und populistische Rhetorik liegen ihm nicht. Während Erdogan als Wahlkämpfer ganz in seinem Element ist und die Menge mühelos zum Toben bringt, fällt es Kilicdaroglu schwer, seine Zuhörer mitzureißen.

Nichtsdestotrotz gelang es ihm zuletzt, seine Position als Oppositionsführer zu festigen. Vor dem Referendum über die Ausweitung der Macht des Präsidenten im April sparte er nicht mit Kritik an Erdogan. Dass am Ende fast die Hälfte der Türken bei der Volksbefragung gegen die umstrittene Verfassungsreform stimmten, wurde in der Öffentlichkeit auch als Erfolg von Kilicdaroglu gewertet.

Mit dem „Marsch für Gerechtigkeit“ gelang Kilicdaroglu dann ein unerwarteter Triumph. Hatte zunächst kaum jemand seine Ankündigung ernst genommen, die 420 Kilometer von Ankara nach Istanbul zu marschieren, folgten ihm am Ende Zehntausende über die Landstraße. Zur Abschlusskundgebung in der Nähe von Berberoglus Gefängnis in Istanbul kamen sogar mehrere hunderttausende Menschen.

„Gandi Kemal“, wie er wegen seiner Ähnlichkeit zu Mahatma Gandhi bisweilen genannt wird, gelang es mit dem Marsch erstmals, die politische Agenda zu bestimmen. An diesen Erfolg will er nun mit seinem „Gerechtigkeitskongress“ in Canakkale anknüpfen. Er findet auf den Schlachtfeldern statt, auf den einst Mustafa Kemal Atatürk im Ersten Weltkrieg die Invasionstruppen der westlichen Alliierten zurückschlug.

Zweifellos will sich Kilicdaroglu damit als Erben des Kriegshelden und Republikgründers darstellen, dessen Partei er heute führt. Ob es ihm aber gelingt, Erdogan bei der nächsten Präsidentenwahl 2019 ernsthaft gefährlich zu werden, muss sich noch herausstellen. Wie der Marsch gezeigt hat, ist das Thema Gerechtigkeit in der Türkei aber durchaus geeignet, die Menschen zu mobilisieren. (afp)

 



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