Der traurige Rekord: Ungarns Alkoholproblem

„Was ist Brot und Wasser? Gieß Wein in den kühlen Becher“, sagt der Ungar. Die historischen Wurzeln sind tief, der Zahn des Kommunismus hat wohl die stärksten Spuren hinterlassen: Ungarn führt die Weltrangliste der Alkoholiker an.
Titelbild
Alkoholismus ist besonders in den ehemaligen Ostblockländern weit verbreitet. Bild ist illustrativ.Foto: iStock
Von 10. April 2023

In Russland wird bekanntlich viel getrunken. Es ist kein Zufall, dass das beliebte russische alkoholische Getränk „Wodka“ übersetzt „Wässerchen“ heißt. Dieses Wässerchen fließt oft die Kehle eines jeden in Russland hinunter. Dennoch hat ein Land Russland überholt: Ungarn hat den höchsten Anteil an Alkoholikern in der Welt.

Laut dem ungarischen Wissenschaftsportal „Qubit“ bestätigt die neueste Untersuchung, dass 21,2 Prozent der ungarischen Bevölkerung über 18 Jahren als Alkoholiker gelten. In Russland, dem zweitplatzierten Land der Welt, sind es 20,9 Prozent und in Weißrussland, dem Drittplatzierten, sind es 18,8 Prozent. Deutschland kam bei der gleichen Messung auf Platz 54 mit 6,8 Prozent.

Nach Geschlechtern aufgeschlüsselt ist demnach mehr als jeder dritte ungarische Mann von Alkoholismus betroffen. Rund 37 Prozent der ungarischen Männer werden medizinisch als Alkoholiker eingestuft. Warum trinken die Ungarn?

„Der Ungar feiert weinend“

Das Trinkproblem ist tief im Herzen der Ungarn verwurzelt. Man sagt auch, dass der Ungar ein Typ ist, der es genießt, über große nationale Tragödien und Ähnliches zu trauern, und der genauso gern in seiner Fröhlichkeit schwelgt. Am liebsten kombiniert er jedoch beides miteinander. Wie das berühmte ungarische Sprichwort sagt, „der Ungar feiert weinend“.

Csaba Szabó Sz. Schriftsteller und Musiker im Familienmagazin „NLC.hu“, schreibt:

Im Idealfall singt er in der einen Minute mit dem Zimbel und zerbricht Gläser, in der nächsten schluchzt er auf dem Tisch. Das zeigt, was für ein unfassbares und kompliziertes Volk das Karpatenbecken bewohnt.“

Seit Jahrzehnten wurden Studien durchgeführt, um den Alkoholismus in Ungarn zu hinterfragen. János Fekete stellte bereits in den 1970er-Jahren fest: „In allen Schichten der ungarischen Kultur finden wir seit Jahrhunderten eine positive Wertschätzung des Trinkens und sogar des Betrinkens.“ Das ist in den Volksliedern und ungarischen Legenden sowie literarischen Werken auch der Fall.

Das Phänomen war vor tausend Jahren schon bekannt. Von König Béla II. von Ungarn ist beispielsweise überliefert, dass er schon in den frühen 1100er-Jahren „dem Weintrinken zugeneigt“ war. In ungarischen Schriften aus dem 16. Jahrhundert wurde vor den Gefahren des Alkohols bereits gewarnt.

Ungarn hat zudem eine lange Tradition in der Weinproduktion. Es gibt Weinkeller sowohl am „ungarischen Meer“ und im Hochland des Plattensees als auch in anderen Weinanbaugebieten – obwohl laut Untersuchungen die meisten Männer eher Bier bevorzugen. Es gibt auch eine lange Tradition des Herstellens von Pálinka. Pálinka bezeichnet verschiedene edle Obstbrände, die jeder steuerfrei in kleinen Mengen selbst brennen kann.

Einheimische Bauern brennen Pálinka aus Äpfeln in einer selbstgebauten Destille. Foto: iStock

Zwar haben viele Menschen im Land Alkoholprobleme, aber sie trinken nicht unbedingt viel. Untersuchungen zeigen, dass die Ungarn pro Kopf keineswegs den meisten Alkohol trinken.

„Während der durchschnittliche Ungar etwa 11 Liter reinen Alkohol pro Person trinkt, leben die Spitzenreiter in der Tschechischen Republik (14,2 Liter pro Person und Jahr), Lettland (13,2 Liter pro Person und Jahr), Moldawien (12,85 Liter pro Person und Jahr) und Deutschland (12,8 Liter pro Person und Jahr)“, berichtet „Qubit“.

Der rote Fluch

Neben der überlieferten Tradition und einem großen Aufschwung des Alkoholkonsums nach dem Ersten Weltkrieg sollte vor allem noch der Einfluss des Sozialismus benannt werden. Innerhalb der EU haben Länder mit einer kommunistischen Vergangenheit den höchsten Alkoholverbrauch.

Die Auswirkungen des Kommunismus auf den Alkoholkonsum wurden 2018 in einer Studie von Forschern der „School of Economics“ analysiert. Die Forscher untersuchten die Trinkgewohnheiten in den ehemaligen Ostblockländern. Ein ungarisches Gesundheitsportal schrieb über die Studie:

Die Ergebnisse zeigen deutlich, dass der Alkoholkonsum im Verhältnis zur Zeit des Kommunismus anstieg und sich die Auswirkungen 20 Jahre nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion weiter verschlimmerten.“

Die Folgen des Kommunismus sind so gravierend, dass die Forscher glauben, dass es sich auf zukünftige Generationen erstrecken könnte. Der Hintergrund dieses Phänomens ist komplex: ein schwindender Glaube an Gott, wachsende Verzweiflung, das Aushalten von Armut und Elend, der Bruch mit der Tradition und der Anstieg rebellischer Lebensstile.

Das Buch „Wie der Teufel die Welt beherrscht“ verdeutlicht dieses Lebensgefühl: „Sie schwelgen in ihrer verwirrten sexuellen Promiskuität, in Alkohol- und Drogenabhängigkeit. Ihre Sprache ist voll von Schimpfwörtern. Doch hinter ihrer Verachtung der weltlichen Gepflogenheiten stehen zerbrechliche Herzen und Seelen, die nicht in der Lage sind, den geringsten Schicksalsschlag oder gar einen Rückschlag auszuhalten, geschweige denn wirkliche Verantwortung zu übernehmen.“

Der Ostblock war stark vom Kommunismus geprägt. Das Bild zeigt eine Skulptur von Rabochiy i Kolkhoznitsa. Sie wurde ursprünglich geschaffen, um den sowjetischen Pavillon der Weltausstellung zu krönen. Foto: iStock

Das Unsichtbare sichtbar machen

Die Statistiken, auf denen die erwähnten Kommunismus-Alkohol-Untersuchungen basieren, sind größtenteils offizielle Statistiken, die von den einzelnen Ländern veröffentlicht werden. Das letzte Mal wurde eine solche nationale Erhebung in Ungarn 2016 durchgeführt, die Daten wurden 2019 veröffentlicht.

Vor allem ist es schwierig zu sagen, wo Alkoholismus beginnt. Laut einem ungarischen Suchtbehandlungsportal gilt der Konsum von zwei Pints Bier pro Tag für Männer oder ein Pint Bier beziehungsweise ein gleichwertiges alkoholisches Getränk pro Tag für Frauen noch als normal (ein ungarisches Pint kann bis 400 ml haben). Wenn man mehr trinkt, bedeutet das auch nicht unbedingt, dass man ein Alkoholiker ist.

Dann wird die Situation kompliziert. Experten führen eine Reihe von Definitionen an, sind sich aber einig, dass es schwierig ist, den Begriff genau zu definieren. Das wesentliche Element ist die Sucht selbst.

Alkoholkonsum und Alkoholprobleme können viele verschiedene Formen annehmen, die Zahlen spiegeln die Realität oft nicht vollständig wider. Es ist nicht so, dass die Alkoholiker einzig diejenigen sind, die sturzbetrunken auf der Straße oder jede Nacht bewusstlos zu Hause auf dem Sofa liegen und tagsüber ihre Familien verprügeln. Solche schweren Fälle sind nur die Spitze des Eisbergs. Das ungarische Suchtbehandlungsportal „VAVO“ schreibt:

Viele Alkoholiker sind elegante Geschäftsleute, fleißige Kollegen, liebevolle Eltern und vertraute Freunde, mit denen sie eine gute Zeit haben.“

Oft ein Tabuthema

Zudem gibt es in verschiedenen Ländern und Regionen unterschiedliche Trinkmuster und kulturelle Normen, und die Daten zum Alkoholkonsum werden auf unterschiedliche Weise erhoben und interpretiert. In vielen Fällen ist es ein absolutes Tabuthema, was dazu führt, dass die Menschen das Problem nicht melden oder keine Hilfe suchen.

Neben der statistischen Messung der Anzahl der Alkoholiker ist es jedoch wichtig, die Bandbreite der Betroffenen zu berücksichtigen. Sie ist viel größer als die Zahl der Menschen, die tatsächlich Alkohol trinken. Einfach ausgedrückt: Wer leidet, wenn jemand Alkoholiker ist? In der Regel ist die ganze Familie betroffen, vor allem die Kinder, aber auch Arbeitskollegen oder Freunde.

Jeder von uns ist in irgendeiner Weise betroffen, es ist kaum möglich, dieses Phänomen isoliert zu betrachten. Wird dieser Aspekt in der Definition und bei den Zahlen einbezogen, ergibt sich eine sehr bedenkliche Lage.

Wer leidet, wenn jemand Alkoholiker ist? Foto: iStock



Epoch TV
Epoch Vital
Kommentare
Liebe Leser,

vielen Dank, dass Sie unseren Kommentar-Bereich nutzen.

Bitte verzichten Sie auf Unterstellungen, Schimpfworte, aggressive Formulierungen und Werbe-Links. Solche Kommentare werden wir nicht veröffentlichen. Dies umfasst ebenso abschweifende Kommentare, die keinen konkreten Bezug zum jeweiligen Artikel haben. Viele Kommentare waren bisher schon anregend und auf die Themen bezogen. Wir bitten Sie um eine Qualität, die den Artikeln entspricht, so haben wir alle etwas davon.

Da wir die Verantwortung für jeden veröffentlichten Kommentar tragen, geben wir Kommentare erst nach einer Prüfung frei. Je nach Aufkommen kann es deswegen zu zeitlichen Verzögerungen kommen.


Ihre Epoch Times - Redaktion