Der Präsident ist tot: Wie geht es im Iran weiter?
Mit dem Tod von Präsident Ebrahim Raisi und Außenminister Hussein Amirabdollahian verliert die Staatsspitze des Iran zwei Persönlichkeiten, die die Außen- und Innenpolitik der Islamischen Republik geprägt haben. Bei dichtem Nebel verschwand ihr Hubschrauber am Sonntagnachmittag vom Radar. Am Morgen bestätigten Staatsmedien dann den Tod der beiden. Zur Unfallursache gab es zunächst keine genauen Informationen.
Aufgrund von Protesten, militärischen Spannungen im Nahen Osten und einer schweren Wirtschaftskrise befindet sich der Iran in einem anhaltenden Krisenzustand. Was bedeutet der Tod des Präsidenten für das Land?
Wer übernimmt vorübergehend die Amtsgeschäfte?
Irans erster Vizepräsident Mohammed Mochber leitete bereits zwei Notsitzungen des Kabinetts. Er würde Raisi im Todesfall gemäß Protokoll ablösen. Laut Verfassung muss ein Rat dann innerhalb von 50 Tagen Neuwahlen organisieren. Anders als in vielen Ländern ist der Präsident im Iran nicht Staatsoberhaupt, sondern Regierungschef.
Die eigentliche Macht konzentriert sich auf die Staatsführung mit Religionsführer Ajatollah Ali Chamenei an der Spitze. Auch Irans Elitestreitkräfte, die Revolutionsgarden, sind in den vergangenen Jahrzehnten zu einem Wirtschaftsimperium mit großer Macht aufgestiegen.
Welche unmittelbaren politischen Folgen hat der Tod?
Mit Raisis Tod dürfte ein heftiger Machtkampf ausbrechen, schrieb der Iran-Experte Arash Azizi in einer Analyse für die US-Zeitschrift „The Atlantic“. Raisis Passivität habe Herausforderer unter den Hardlinern ermutigt. Sie würden seine schwache Präsidentschaft als Chance sehen. „Der Tod von Raisi würde das Machtgleichgewicht zwischen den Fraktionen innerhalb der Islamischen Republik verändern“, hieß es noch bevor iranische Staatsmedien Raisis Tod bestätigten.
Bei den Parlamentswahlen im März hat sich zudem erneut ein Lager fundamentalistischer und konservativ-religiöser Politiker durchgesetzt, die auch Raisi nahestehen. Diese bisher eher unbekannten Abgeordneten könnten versuchen, mehr politischen Einfluss zu gewinnen.
Moderate Politiker des Reformlagers wurden jüngst immer schwächer, auch weil der Wächterrat – ein mächtiges Kontrollgremium besetzt mit erzkonservativen Gelehrten – ihre Kandidaturen immer stärker einschränkte.
Ambitionen auf das Präsidentenamt
Der amtierende Parlamentspräsident Mohammed Bagher Ghalibaf, der bei der Parlamentswahl zwar schlecht abgeschnitten hat, hat bereits seit langem Ambitionen auf das Präsidentenamt. Viele Menschen sind nach gescheiterten Reformversuchen der vergangenen Jahrzehnte ohnehin desillusioniert und blieben bei der Abstimmung über das Parlament aus Protest fern.
Azizi zufolge haben viele Beobachter erst mit einem heftigen Machtkampf gerechnet, wenn das Staatsoberhaupt Chamenei stirbt. Der Religionsführer, der in allen strategischen Belangen das letzte Wort hat, war im April 85 Jahre alt geworden. Raisi galt als ein potenzieller Nachfolger. „Jetzt werden wir wahrscheinlich zumindest eine Generalprobe erleben, bei der die verschiedenen Fraktionen ihre Stärke demonstrieren werden“, schrieb Azizi.
Hamidreza Azizi, Gastwissenschaftler an der Berliner Stiftung für Wissenschaft und Politik, sieht keine gravierenden Veränderungen im politischen System Irans, da die wichtigen Entscheidungen ohnehin von Chamenei und den mächtigen Revolutionsgarden getroffen werden.
Insgesamt seien die Auswirkungen von Raisis Tod „weder grundlegend noch ein entscheidender Schlag für das System“, schrieb Azizi auf X. „Er wird den Wettbewerb zwischen den Hardlinern beeinflussen, aber nicht die strategische Ausrichtung der Islamischen Republik in der Außen- oder Innenpolitik.“
Wie reagiert die iranische Bevölkerung auf die Nachricht?
Tausende Regierungsanhänger strömten in der Nacht zum Montag in die religiösen Zentren und Moscheen Irans, beteten für den Präsidenten und fürchteten das Schlimmste. Staatsmedien würdigten Raisis Amtszeit, die überschattet von Vorwürfen der Misswirtschaft und starker Repression war. In seiner früheren Funktion als Staatsanwalt soll er im Jahr 1988 für zahlreiche Verhaftungen und Hinrichtungen politischer Dissidenten verantwortlich gewesen sein, weshalb seine Gegner ihm den Beinamen „Schlächter von Teheran“ verpassten.
EU drückt ihr „aufrichtiges Beileid“ aus
Währenddessen brachte der EU-Ratsvorsitzende Charles Michel das „aufrichtige Beileid“ der Europäischen Union zum Ausdruck. „Die EU drückt ihr aufrichtiges Beileid zum Tod von Präsident Raisi und Außenminister Abdollahian sowie weiteren Mitgliedern ihrer Delegation und der Besatzung bei einem Hubschrauberabsturz aus“, erklärte Michel am Montag im Onlinedienst X. „Unsere Gedanken sind bei ihren Familien.“
FDP-Generalsekretär fordert neue Iran-Strategie
In Bezug auf die deutsche Iran-Politik fordert FDP-Generalsekretär Bijan Djir-Sarai eine Neuausrichtung. Der Tod Raisis werde an der politischen Ausrichtung der Islamischen Republik nichts ändern, sagte Djir-Sarai der „Rheinischen Post“ (Dienstagsausgabe).
„Deswegen bleiben für die deutsche und europäische Politik die Herausforderungen dieselben: Wir brauchen eine neue Iran-Strategie.“ Djir-Sarai ergänzte: „Das alleinige Fokussieren auf das Atomabkommen war ein großer Fehler und naiv.“ So sei ignoriert worden, „dass die Iraner daneben ein eigenes Raketenprogramm aufgebaut und die gesamte Region destabilisiert haben“.
Der Iran stand zuletzt verstärkt in den Schlagzeilen, auch weil ein regionaler Krieg mit dem Erzfeind Israel zu drohen schien. Während Raisis Amtszeit vertiefte die Islamische Republik ihre wirtschaftliche und militärische Kooperation mit China und Russland, die Beziehung zum Westen kühlte unter anderem wegen des Streits über das iranische Atomprogramm ab.
Außerdem warf der Westen der Führung in Teheran schwerwiegende Menschenrechtsverletzungen vor. Trotzdem gab es erst vor wenigen Tagen wieder Berichte über neue, indirekte Gespräche mit den USA im Golfstaat Oman.
(dpa/afp/dts/dl)
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