Der „kalte Tropfen“ forderte 95 Tote, 1.200 Menschen sitzen noch in Fahrzeugen fest

Haben Behörden zu spät vor dem jahreszeittypischen „Gota Fría“ gewarnt? Nach dem Unwetter in Spanien müssen die Einsatzkräfte nicht nur nach Opfern und Vermissten suchen, sondern auch Tausende aus misslichen Lagen befreien. Etwa auf Autobahnen.
Titelbild
Autos stapeln sich auf der Straße mit anderem Schutt, nachdem Sturzfluten die Region am 30. Oktober 2024 im Gebiet Sedaví in Valencia, Spanien, verwüsteten.Foto: David Ramos/Getty Images
Epoch Times31. Oktober 2024

Nach der Unwetterkatastrophe mit mindestens 95 Toten wird in Spanien die Suche nach Leichen, Vermissten und von der Außenwelt abgeschnittenen Menschen in der Nacht fortgesetzt.

„Wegen der Dunkelheit müssen allerdings viele Aktivitäten bis Tagesanbruch unterbrochen werden“, sagte der Leiter der Notfallabteilung des spanischen Roten Kreuzes, Iñigo Vila, am Abend dem staatlichen Fernsehsender RTVE.

Unter den Toten sind laut spanischen Medienberichten mindestens vier Kinder und sechs alte Menschen in einem Pflegeheim. Befürchtet wird, dass die Opferzahl weiter ansteigt. Eine offizielle Gesamtzahl der Vermissten lag nicht vor. Hilfe benötigten auch Tausende Menschen, die in Fahrzeugen, Häusern und Dörfern ausharrten.

Dreitägige Staatstrauer ab Donnerstag

Besonders schlimm ist die Lage in der bei Urlaubern sehr beliebten Region Valencia, wo 92 der insgesamt 95 bislang bestätigten Todesopfern geborgen wurden.

Die Aufräumarbeiten in den betroffenen Regionen gegen weiter (Foto aktuell).

Die Aufräumarbeiten in den betroffenen Regionen haben begonnen. Foto: Manu Fernandez/AP/dpa

Schwer betroffen sind aber auch andere Regionen am Mittelmeer wie Andalusien und Murcia sowie Kastilien-La Mancha. Die Zentralregierung in Madrid rief eine dreitägige Staatstrauer ab Donnerstag aus. Sie sicherte den Betroffenen auch schnelle Hilfe beim Wiederaufbau zu.

In der Nacht waren zahlreiche Autobahnen und Landstraßen weiter unbefahrbar. Auch der Bahnverkehr wurde erheblich beeinträchtigt. Rund 115.000 Haushalte waren ohne Strom, zudem gab es weiter Probleme mit den Handyverbindungen.

Rund 1.200 Menschen sitzen seit Stunden in Fahrzeugen fest

Ein Sprecher der Polizeieinheit Guardia Civil schätzte am Abend, dass auf den Autobahnen A3 und A7 noch 1.200 Menschen in Autos, Bussen oder Lastwagen gefangen seien. Es gebe aber auch viele, die ihre Fahrzeuge nicht verlassen wollten, hieß es. Demnach steckten in Valencia 5.000 – teils von Fahrern und Passagieren verlassene – Fahrzeuge fest.

Viele Menschen wollen ihre Fahrzeuge nicht verlassen.

Viele Menschen wollen ihre Fahrzeuge nicht verlassen. Foto: Jorge Gil/EUROPA PRESS/dpa

Auch in Zügen, Häusern, Büros, Schulen und Einkaufszentren sind seit Dienstagabend viele Tausende Menschen eingeschlossen. Andere suchten auf Dächern von Autos oder Häusern Schutz. Sie wurden am Mittwoch von Tausenden Einsatzkräften des Militärs, des Zivildienstes, der Feuerwehr und der Polizei zum Teil unter Einsatz von Hubschraubern und Booten in Sicherheit gebracht.

Überlebende berichteten von erschütternden Erlebnissen. Ein 57-jähriger Mann erzählte der Zeitung „El País“, er habe in Paiporta nahe der Provinzhauptstadt Valencia auf einem Bauwagen Zuflucht gesucht und von dort aus mehreren Menschen im Wasser helfen wollen. „Ich hielt sie an der Hand fest, aber die Strömung war so brutal und so schnell, dass wir getrennt wurden und sie von der Flut fortgerissen wurden.“

Der „Gota Fría“

Was war der Auslöser des Unwetters? Insbesondere im westlichen Mittelmeerraum und insbesondere im Herbst tritt der „Kalte Tropfen“ auf. Auf Spanisch „Gota Fría“ oder „DANA“ (Depresión Aislada en Niveles Altos) genannt, sorgt das Wetterphänomen oft für heftige Unwetter. Er entsteht, wenn kalte Luft in der Höhe auf das noch warme Mittelmeer trifft und sich die ersten atlantischen Tiefausläufer mit feuchtkalter Luft über das warme Mittelmeer schieben.

Es ist ein Höhentief in der oberen Troposphäre, das sich von der nördlichen Höhenströmung abkoppelt und als isolierter „Tropfen“ kalter Luft südwärts wandert. Der Wetterdienst Aemet sprach von einem „historischen Unwetter“, dem schlimmsten solcher Art in diesem Jahrhundert in der Region Valencia.

In 10 der 17 Autonomen Gemeinschaften Spaniens gelten inzwischen Unwetterwarnungen.

In 10 der 17 Autonomen Gemeinschaften Spaniens galten inzwischen Unwetterwarnungen. Foto: Víctor Fernández/EUROPA PRESS/dpa

Der „Gota Fría“ kann extreme Niederschlagsmengen in kurzer Zeit bringen, in der Vergangenheit wurden Regenmengen von bis zu 400 Liter pro Quadratmeter gemessen. Gewitter, Überschwemmungen, Erdrutsche sind typische Begleiter. Zudem begünstigen bestimmte geografische Faktoren, wie die Pyrenäen als nördliche Begrenzung die Unwettern.

Unzählige Straßen verwandelten sich blitzschnell in reißende Ströme. Gebäude und Felder wurden unter Wasser gesetzt. Straßen, Häuser und kleinere Brücken brachen weg. Bäume, Container, Autos, Lastwagen und Menschen wurden vom Wasser wie Spielzeug mitgerissen. Fahrzeuge wurden ineinander geschoben und zu Schrottbergen aufgetürmt.

Kamen die Warnungen zu spät?

Obwohl das ganze Ausmaß der Tragödie noch nicht bekannt ist und die Such- und Rettungsarbeiten noch länger anhalten werden, hat in Spanien bereits eine Debatte über mögliche Schuldige begonnen. In den Medien und im Internet wurde diskutiert, ob die Behörden die Bürger früher oder besser hätten warnen müssen.

Entsprechende Kritik gab es etwa von mehreren Rathaus-Chefs. Schließlich wisse man, dass das Wetterphänomen der „Dana“ oder des „kalten Tropfens“ gefährlich sei.

Kamen die Warnungen zu spät?

Kamen die Warnungen zu spät? Foto: Alberto Saiz/AP

Regionalregierung und auch Fachleute wiesen die Vorwürfe zurück. Man könne solche „brutalen Folgen“ nicht vorhersagen, weil diese von verschiedenen Faktoren abhängig seien, sagte etwa der angesehene Meteorologe Francisco Martín León der Nachrichtenagentur „Europa Press“.

Der Wetterdienst Aemet habe mit Unwetterwarnungen der Stufen drei (Gelb), zwei (Orange) und eins (Rot) ausreichend und rechtzeitig informiert.

Am Donnerstag soll das Wetter besser werden. Unwetterwarnungen gelten noch für Teile von Andalusien und Extremadura im Westen und für Teile von Katalonien im Nordosten des Landes. Die vorausgesagten Niederschlagsmengen halten sich in Grenzen. Die Katastrophe ist trotzdem noch längst nicht überstanden, wie die Behörden immer wieder warnen. (dpa/red)



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