„Defense Bonds“: Scholz gegen europäische Kriegsanleihe – doch die Idee findet Fürsprecher

Bei ihrem Besuch in Berlin hat Lettlands Regierungschefin Siliņa gefordert, auf EU-Ebene Kriegsanleihen, sogenannte Defense Bonds, aufzulegen. Bundeskanzler Scholz zeigte sich zurückhaltend. In der EU hat die Idee jedoch einige einflussreiche Befürworter.
EU-Binnenmarktkommissar Thierry Breton.
Binnenmarkt- und Industriekommissar der EU, Thierry Breton, hat eine „Strategie für die europäische Verteidigungsindustrie“ präsentiert, die zur Vorstufe der Kriegsanleihe werden könnte.Foto: Virginia Mayo/Pool AP/dpa
Von 29. März 2024

Dass Russland für die EU eine „existenzielle Bedrohung“ sei, darob waren sich Lettlands Premierministerin Evika Siliņa und Deutschlands Bundeskanzler Olaf Scholz am Mittwoch, 27. März, in Berlin einig. Auch darüber, dass dieser einen angemessenen Prätext für europäische Hochrüstung darstellt. Wie das „Hochfahren der Produktion“ allerdings finanziert werden soll, darüber gehen die Meinungen noch auseinander. Im gegenüber Russland besonders konfrontativen Baltikum denkt man bereits an eine gesamteuropäische Lösung durch Kriegsanleihen – sogenannte „Defense Bonds“.

Ratspräsident Michel gilt als Befürworter der europäischen Kriegsanleihe

Siliņa schlug vor, auf den derzeit 1,2 Billionen Euro schweren Gemeinschaftshaushalt zurückzugreifen. Allerdings dürfe man auch die Idee einer gemeinsamen Schuldenaufnahme zu diesem Zweck nicht von vornherein ausblenden.

Zwar sehen die europäischen Verträge und bestehende Vereinbarungen eigentlich nicht vor, das selbst ernannte Friedensprojekt über den gemeinsamen Haushalt hochzurüsten. Wo die angebliche Gefahr aber gar so groß ist, wird der Ruf nach „kreativen Lösungen“ entsprechend lauter.

Bereits zuvor hatten mehrere EU-Politiker gemeinsame Schulden für die Hochrüstung nach dem Vorbild des Vorgehens bei der Corona-Pandemie angeregt. Die Reihe reicht von Estlands Premierministerin Kaja Kallas über den belgischen Regierungschef Alexander De Croo zu Frankreichs Präsident Emmanuel Macron. Auch Ratspräsident Charles Michel gilt als der Idee nicht abgeneigt.

Scholz mahnt: Schulden für Waffen würden auf Kosten des EU-Haushalts gehen

Bundeskanzler Scholz hatte hingegen bereits in der Vorwoche auf dem EU-Gipfel geäußert, „nicht unbedingt Fan solcher Ideen“ zu sein. Damit liegt er auch auf einer Linie mit Bundesfinanzminister Christian Lindner. Bereits im eigenen Land droht ab 2027, wenn das Bundeswehrsondervermögen ausläuft, eine Finanzierungslücke von etwa 50 Milliarden Euro.

Mit Ausnahme der FDP beteuern alle Ampelparteien, dass dennoch eine Aufrüstung der Bundeswehr ohne Einschnitte in anderen Bereichen möglich wäre. Auf EU-Ebene macht hingegen auch Scholz deutlich, dass für Finanzierungen dieser Art in anderen Bereichen des EU-Haushalts eingespart werden müsse.

Der Kanzler habe „nicht gehört, dass es sehr viele Mitgliedstaaten gibt, die davon überzeugt sind“, äußerte er in diesem Zusammenhang. Am 22. April steht in Luxemburg ein Gipfel der EU-Verteidigungsminister an. Dann dürfte das Thema erneut auf der Tagesordnung stehen.

Breton-Konzept könnte zur Vorstufe der Kriegsanleihe werden

Bereits zu Beginn des Monats hatte Industriekommissar Thierry Breton seine „Strategie für die europäische Verteidigungsindustrie“ präsentiert. Vorerst 1,5 Milliarden Euro sollen für ein sogenanntes „europäisches Verteidigungsinvestitionsprogramm“ zur Verfügung gestellt werden.

Perspektivisch steht Breton der Sinn nach deutlich mehr. Die Rede ist von „Hunderten Milliarden“ Euro, die Breton mobilisieren wolle – und dafür will er unter anderem die Europäische Investitionsbank (EIB) einbinden.

Auf politische, in der Vergangenheit als heikel geltende Projekte wie eine „EU-Armee“ will Breton bis auf Weiteres verzichten. Statt der – Anfang der 1950er-Jahre erstmals sondierten, aber an Frankreich selbst gescheiterten – Idee einer multinationalen Kampftruppe will man den eigenen militärisch-industriellen Komplex ausbauen.

Besondere Dringlichkeit sieht man angesichts der Möglichkeit einer erneuten Präsidentschaft von Donald Trump in den USA. Aber schon die zunehmenden Widerstände in den USA, den Krieg in der Ukraine weiter zu finanzieren, deuten an: Die Zeiten der Blankoschecks für die Europäer aus Washington sind vorbei.

Mitgliedstaaten fürchten Aneignung von Kompetenzen durch Brüssel

Brüssel will deshalb nun vorerst einmal EU-Haushaltsmittel für die Munitionsproduktion verwenden. Dazu sollen Anreize für eine gemeinsame Beschaffung auf Notfallbasis kommen. Dieses Prinzip will die Kommission jetzt auch langfristig verankern.

Dabei wird Breton mit einem gewissen Fingerspitzengefühl vorgehen müssen, meint ein hochrangiger EU-Diplomat gegenüber „Politico“. Die Mitgliedstaaten würden „nicht akzeptieren, dass ihnen Kompetenzen entzogen werden“. Dabei wäre „eine koordinierende Rolle der Kommission bei Militärverkäufen oder Industriekonsortien“ bereits ein möglicher Knackpunkt.

In diesem Kontext hatte Breton auch erklärt, dass es sich bei seinem Konzept um „keine Machtergreifung“ handele. Stattdessen solle es darum gehen, „im Rahmen der Verträge besser zusammenzuarbeiten“ und dazu auch den Binnenmarkt zu nutzen.

Rüstung über veränderte EU-Taxonomie für „nachhaltig“ erklären

Unter EU-Diplomaten ist man sich auch darüber im Klaren, dass Kriegsanleihen für EU-Länder mit strengerer Haushaltsdisziplin wie Deutschland, die Niederlande oder skandinavische Länder keine Option wären. Auch zusätzliches Geld für den EU-Haushalt werde es kaum geben.

Es sei denn, es käme zu einer „großen externen Krise“. In diesem Fall lägen schon viele Optionen auf dem Tisch. Dazu gehörten gemeinsame Kriegsanleihen einzelner Ländergruppen oder eine Änderung der EU-Taxonomie für nachhaltige Projekte. Und zwar dahin gehend, dass auch Rüstung künftig als „nachhaltig“ gelte.

 



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