„Das ist der Big Tobacco-Moment von Facebook“
Ähnlich wie die Tabakindustrie, die jahrzehntelang Erkenntnisse darüber verheimlichte, dass Rauchen Krebs verursachen kann, versuchte auch Facebook, unliebsame Studien zurückzuhalten.
Nun deckte eine Whistleblowerin, die ehemalige Facebook-Produktmanagerin Frances Haugen, Erkenntnisse daraus auf. Die Führung von Facebook stelle „Profite vor Menschen“, sagt Frances Haugen. Sie fordert die Abgeordneten auf, einzugreifen.
In einer seltenen Demonstration von Überparteilichkeit forderten Republikaner und Demokraten in einer Anhörung des US-Senats gemeinsam ein staatliches Vorgehen gegen den Tech-Giganten.
Einladung in einen Ausschuss des US-Senats
Facebook ist bei eigenen Untersuchungen zu dem Ergebnis gekommen, dass insbesondere die Konzern-Tochter Instagram beispielsweise durch Vermittlung von Schönheitsidealen der psychischen Gesundheit schaden könne. Die Untersuchungen werden aktuell unter Verschluss gehalten.
Die Enthüllungen von Haugen und des „Wall Street Journal“ über die Praktiken von Facebook, Kinder und Jugendliche an sich zu binden, schlug große Wellen. Der US-Senat lud die ehemalige Facebook-Produktmanagerin zu einer Anhörung ein, sie stand drei Stunden einem Unterausschuss des US-Senats Rede und Antwort.
Zwischen Demokraten und Republikanern gibt es einen breiten Konsens darüber, dass die Vorschriften für Social-Media-Plattformen verschärft werden sollten. Es gab aber auch Differenzen.
Einigkeit zwischen Demokraten und Republikanern herrschte über die Abwesenheit von Facebook-CEO Mark Zuckerberg, der nicht erschienen war und es vorgezogen hatte, segeln zu gehen, anstatt Verantwortung zu übernehmen. Der demokratische Senator Richard Blumenthal behauptete, Zuckerbergs „neuer Modus Operandi lautet: keine Entschuldigung, kein Eingeständnis, keine Aktion, hier gibt es nichts zu sehen.“
Blumenthal verglich das Zurückhalten der Untersuchungsergebnisse durch den Internetriesen mit dem „Big Tobacco Moment“. Die Dokumente zeigten, dass die Facebook-Führungskräfte „ihren Profit mehr schätzen als den Schmerz, den sie Kindern und ihren Familien zufügen“.
Facebook nimmt Kinder ins Visier
Haugen erklärte, sie habe interne Unternehmensdokumente gesehen, in denen betont werde, wie wichtig es sei, „Tweens“ – Kinder zwischen 8 und 12 Jahren – auf die Plattform zu bringen. Diese Kinder könnten helfen, ihre Eltern auf die Plattform zu bringen. „Sie verstehen den Wert der jüngeren Nutzer für den langfristigen Erfolg von Facebook“, sagte sie.
Das übergeordnete Ziel von Facebook bestehe darin, mehr Menschen länger auf der Plattform zu halten, da dies die Werbeeinnahmen maximiert. Dafür, so Haugen, seien Kinder die idealen Konsumenten. Fernsehwerbung sei ein Beispiel. Sie glaubt, dass bei Kunden, die noch keine Vorlieben oder Gewohnheiten haben, die Werbeeinnahmen viel höher sind.
Blumenthals Aussagen zufolge hat Facebook die Bemühungen um Kinder verdoppelt. Konkret sagte der Senator, dass sich das Unternehmen schuldig gemacht habe, „Produkte an Kinder – nicht nur an Teenager, sondern an Kinder – zu verkaufen, von denen es weiß, dass sie der geistigen Gesundheit und dem Wohlbefinden unserer Kinder schaden“.
Er berichtete von einem Experiment, das er und sein Team durchgeführt hätten. Sie richteten ein Konto auf Instagram ein, das sich als Teenager-Mädchen mit einer Essstörung ausgab. Er sagte, dass der Algorithmus von Instagram dies schnell aufgriff und Inhalte anzeigte, die Krankheiten wie Magersucht und Bulimie verherrlichten und förderten.
Obwohl die Nutzung von Facebook und seiner Tochtergesellschaft Instagram für Kinder unter 12 Jahren gemäß den Nutzungsbedingungen verboten ist, können sie sich auf beiden Plattformen oft unbemerkt bewegen. Nach Aussage Haugens arbeiteten die Algorithmen der Websites dann so, dass sie anhand der über sie gesammelten Informationen trotzdem gezielt Werbung erhielten.
Gemeinsames Handeln gegen Abschnitt 230
Nach einem US-Gesetz aus den 1990er-Jahren – dem Abschnitt 230 – sind Techunternehmen nicht für die Inhalte verantwortlich, die ihre Nutzer auf ihren Plattformen teilen.
Traditionelle und online Medienunternehmen genießen hingegen nicht den gleichen Schutz. Sie können für die von ihnen veröffentlichten Inhalte verklagt werden. Ex-US-Präsident Donald Trump forderte im Jahr 2020, den Schutz aufheben zu lassen. Es folgten aber keine legislativen Maßnahmen.
Bei der jetzigen Anhörung sprachen sich jedoch beide Parteien gemeinsam dafür aus, die Schutzbestimmungen des Abschnitts 230 für Social-Media-Plattformen aufzuheben oder erheblich zu reformieren.
Haugen ermutigte die Abgeordneten, die Initiative voranzutreiben. Sie gab jedoch zu bedenken, dass die Probleme der Plattformen nicht allein durch eine Reform von Abschnitt 230 gelöst werden könnten. „Ein Unternehmen mit einem so erschreckenden Einfluss auf so viele Menschen braucht eine echte Aufsicht“, sagte sie.
Haugen schloss mit eindringlichen Worten: „Der Kongress kann die Regeln, nach denen Facebook spielt, ändern und die vielen Schäden, die es jetzt verursacht, stoppen. Wir kennen jetzt die Wahrheit über die zerstörerischen Auswirkungen von Facebook … wir müssen jetzt handeln. Ich fordere Sie, unsere gewählten Vertreter, auf, tätig zu werden.“
Demokraten und Republikaner sehen unterschiedliche Probleme durch Facebook entstehen
Demokraten und Republikaner setzen sich parteiübergreifend für eine Lösung ein. Über die Art der Probleme, die durch Facebook verursacht werden, gibt es unterschiedliche Einschätzungen.
Demokraten kritisieren Social-Media-Plattformen für ihre Rolle bei der Verbreitung von Fake News. Sie würden zu wenig dagegen tun. Diese Nachlässigkeit habe ihrer Einschätzung nach zur Erstürmung des Kapitols am 6. Januar beigetragen.
Die demokratische Senatorin Amy Klobuchar sagte dazu: Facebook habe zwar festgestellt, dass seine Algorithmen „Polarisierung, Fehlinformationen und Hass fördern“, es habe aber „99 Prozent der gewalttätigen Inhalte auf seiner Plattform unkontrolliert gelassen (…), einschließlich der Vorbereitungen für den Aufstand am 6. Januar“.
Auf der republikanischen Seite wird seit Jahren beklagt, dass die Stimmen Konservativer von den Unternehmen zu Unrecht zensiert würden. Senator Ted Cruz sprach sogar von „politischen Zensur“ durch Facebook und anderen Social-Media-Plattformen. Dazu gehörten die vollständige Sperrung eines Kontos, die Löschung von Tweets oder Beiträgen oder die „Schattensperrung“ eines Kontos.
Die drakonische Zensur gipfelte für viele in der Löschung des Twitter-Accounts des damaligen US-Präsidenten Donald Trump Anfang Januar. Sogar Trump-Kritiker wie der zum linken Flügel der Demokraten gehörende Bernie Sanders sagten, dass sie sich mit diesem Schritt „unwohl fühlen“.
Facebook nicht mit Kartellrecht auflösen
Senatoren beider Parteien diskutierten über eine mögliche Zerschlagung des Social-Media-Riesen. Eine Trennung von Facebook und Instagram war im Gespräch. Für Haugen führt diese kartellrechtliche Maßnahme an den eigentlichen Problemen vorbei. Diese lägen vielmehr in der künstlichen Intelligenz, mit der Facebooks leistungsstarker Algorithmus arbeitet.
Deshalb wurde eine neue Datenschutzpolitik diskutiert. Die Menschen sollen selbst entscheiden, ob sie die Weitergabe ihrer Online-Daten zulassen, erklärte Amy Klobuchar. Zugleich sollten die Datenschutzgesetze für Kinder und ihre Wettbewerbspolitik aktualisiert werden. Technologieunternehmen sollten ihre Algorithmen transparenter gestalten, so Klobuchar.
Zuckerberg reagiert
In einer Reaktion auf die Anhörung stellte Facebook die Glaubwürdigkeit Haugens infrage. Haugen habe lediglich zwei Jahre im Unternehmen gearbeitet und nie an Entscheidungsbesprechungen mit Führungskräften teilgenommen.
Lena Pietsch, Leiterin der politischen Kommunikation des Unternehmens, erklärte: „Wir stimmen mit den Darstellungen ihrer Aussagen zu vielen Themen nicht überein. Trotzdem sind wir uns in einem Punkt einig: Es ist an der Zeit, einheitliche Regeln für das Internet zu schaffen.“ Und dazu stehe der Kongress in der Pflicht.
Zuckerberg reagierte zeitnah auf die Anschuldigungen und wies sie als falsche Darstellungen von sich. Der CEO erklärte in einem Facebook-Post, dass die internen Untersuchungen des Unternehmens zu Instagram ergeben hätten, dass die Plattform Teenagern „hilft“, wenn sie Probleme haben. „Themen wie Sicherheit, Wohlbefinden und psychische Gesundheit liegen uns sehr am Herzen“, schrieb er.
Dem Profit Vorrang vor Sicherheit und Wohlbefinden einzuräumen, sei nicht wahr. Und das Argument, absichtlich Inhalte zu pushen, die Menschen aus Profitgründen wütend machten, sei „zutiefst unlogisch“.
Für Minderjährige habe man den 2017 auf den Markt gebrachten Messenger geschaffen. Dieser entspräche den Bedürfnissen und sorge gleichzeitig für Sicherheit. Man arbeite auch an einer App mit Kindersicherung für Instagram für Kinder unter 13 Jahren. Laut Zuckerberg wurde das Projekt pausiert, „um uns mehr Zeit für den Austausch mit Experten zu nehmen und sicherzustellen, dass alles, was wir tun, hilfreich ist“.
Das ist nicht die ganze Wahrheit: Das Unternehmen hat die Pläne derzeit auf Eis gelegt, nachdem es von 44 Generalstaatsanwälten aus beiden großen Parteien dazu aufgefordert wurde.
Facebook reagiert
Nick Clegg, Facebooks Vizepräsident für globale Angelegenheiten, sagte am Sonntag, dass das Unternehmen neue Maßnahmen in seinen Apps einführen werde, um Jugendliche von schädlichen Inhalten fernzuhalten. „Wenn unsere Systeme erkennen, dass ein Teenager immer wieder dieselben Inhalte ansieht, die für sein Wohlbefinden möglicherweise nicht förderlich sind, werden wir ihn dazu bringen, sich andere Inhalte anzusehen“, sagte Clegg gegenüber CNN.
Darüber hinaus habe man vor, etwas einzuführen, das sich ‚Mach mal Pause‘ nennt. Damit wolle man Jugendliche dazu auffordern, „einfach mal eine Pause von Instagram zu machen“. Außerdem zeigte er sich offen für die Idee, den Regulierungsbehörden Zugang zu den Facebook-Algorithmen zu gewähren, die zur Verstärkung von Inhalten verwendet werden.
Whistleblowerin nach Europa eingeladen
Frances Haugen wurde für den 8. November in das Europäische Parlament eingeladen. Das EU-Parlament erklärte, eine öffentliche Anhörung über „Aussagen von Informanten über die negativen Auswirkungen der Produkte großer Technologieunternehmen auf die Nutzer“ abhalten zu wollen.
Alle Anschuldigungen gegenüber Facebook sollen untersucht werden. Zuständig ist der Ausschuss für Binnenmarkt und Verbraucherschutz, der derzeit auch an zwei Gesetzesentwürfen zu digitalen Dienstleistungen und digitalen Märkten arbeitet.
Am 25. Oktober wird Haugen bereits im britischen Parlament erwartet und an einer Anhörung des Ausschusses für Online-Sicherheit des Parlaments teilnehmen.
(mit Material der Epoch Times USA und Reuters)
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