Das europaweite Ergebnis: ein Rechtsruck
Rechte Parteien haben bei der Europawahl in mehreren Ländern große Erfolge erzielt. In Italien lag die Partei Fratelli d’Italia (Brüder Italiens) von Ministerpräsidentin Giorgia Meloni am Sonntag klar vorn. In Frankreich gewann die Partei Rassemblement National von Marine Le Pen. Präsident Emmanuel Macron setzte eine vorgezogene Neuwahl der Nationalversammlung an.
In Österreich wurde die FPÖ stärkste Kraft. In Deutschland erzielte die AfD ihr bislang bestes Ergebnis und kam hinter der Union auf Platz zwei.
Europaweit gewannen die zwei bisherigen Parteienbündnisse EKR und ID teils deutlich hinzu. Insgesamt bleibt das klar proeuropäische Lager im Europaparlament weiter das mit Abstand größte.
Sieger der Europawahl ist das Mitte-Rechts-Bündnis EVP mit der deutschen Spitzenkandidatin Ursula von der Leyen. Die CDU-Politikerin kann auf eine zweite Amtszeit als Präsidentin der EU-Kommission hoffen.
Italien: Meloni setzt sich durch
Melonis Partei kam in Italien nach einer Hochrechnung des Fernsehsenders Rai von Montagmorgen auf 28,9 Prozent – im Vergleich zur Europawahl 2019 ein Plus von mehr als 20 Punkten. Auf Platz zwei landete demnach ein linkes Bündnis um die sozialdemokratische PD mit 24,5 Prozent.
Meloni war bei der Wahl auch Spitzenkandidatin der Fratelli d’Italia. Sie will nicht ins Europaparlament wechseln, sondern als Ministerpräsidentin in Rom bleiben. Die 47-Jährige steht seit Oktober 2022 an der Spitze einer Koalition aus drei Rechtsparteien. Mit dem jetzigen Ergebnis dürfte ihr Einfluss auf europäischer Ebene zunehmen.
Deutschland: AfD vor allen Ampelparteien
In Deutschland war die Europawahl auch ein wichtiger Stimmungstest vor den drei Landtagswahlen in Thüringen, Sachsen und Brandenburg im September und der Bundestagswahl im kommenden Jahr. Dass die AfD in Ostdeutschland mit großem Vorsprung auf Platz eins liegt, ist da von besonderer Bedeutung.
Trotz der Kontroversen um ihren Spitzenkandidaten konnte die Partei bundesweit stark zulegen. Nach Angaben der Bundeswahlleiterin von Montagmorgen kommt sie auf 15,9 Prozent, ein Plus von fast fünf Punkten gegenüber 2019. Sie schneidet damit besser ab als alle Ampel-Parteien – die SPD kam auf 13,9 Prozent, die Grünen auf 11,9 Prozent und die FDP auf 5,2 Prozent. Mit großem Abstand auf Platz eins liegt die Union mit 30,0 Prozent.
Macrons Flucht nach vorn: Parlament wird neu gewählt
Frankreichs Präsident Emmanuel Macron wagt nach der krachenden Niederlage seines Mitte-Lagers bei der Europawahl die Flucht nach vorn. Die Partei Rassemblement National (RN) um Marine Le Pen holte nach Hochrechnungen an die 32 Prozent – mehr als doppelt so viel wie Macrons Lager. Der Staatschef kündigte als Konsequenz eine Neuwahl des Unterhauses an, die zwei Wahlgänge sind für 30. Juni und 7. Juli geplant. „Ich kann also am Ende dieses Tages nicht so tun, als ob nichts geschehen wäre“, sagte er.
Macrons Mitte-Lager war bereits geschwächt. Seit 2022 hat es in der Nationalversammlung keine absolute Mehrheit mehr. Das Regieren gestaltete sich seitdem mühselig. Der Blick richtet sich zudem auf die Präsidentenwahl in knapp drei Jahren.
Macron, der sich zweimal in der Stichwahl gegen Le Pen durchsetzte, darf nicht erneut kandidieren. Noch ist unklar, wen die Mitte-Kräfte ins Rennen schicken werden und wer eine Chance gegen Le Pen hätte.
Noch vor Beginn der Olympischen Spiele sind die Franzosen am 30. Juni und am 7. Juli in zwei Wahlgängen an die Urne gerufen. Frankreich steht vor drei Wochen Wahlkampf im Eiltempo. Unter Druck gesetzt hat das Ergebnis Macron vor allem, weil sein Regierungslager bereits geschwächt ist. Seit knapp zwei Jahren hat es in der Nationalversammlung keine absolute Mehrheit mehr.
Österreich: FPÖ vor der Parlamentswahl im Herbst im Aufwind
Österreich ist es das erste Mal, dass die FPÖ bei einer landesweiten Wahl auf Platz eins liegen. Die FPÖ kommt laut vorläufigem Ergebnis auf 25,5 Prozent der Stimmen. Die konservative ÖVP erreicht 24,7 Prozent. Die sozialdemokratische SPÖ folgt mit 23,3 Prozent.
Die FPÖ hatte im Wahlkampf unter dem Motto „EU-Wahnsinn stoppen“ vielfach ihre EU-Skepsis betont und die EU im Ukraine-Konflikt als kriegstreibende Kraft dargestellt. Für Parteichef Herbert Kickl scheint damit das Ziel, nächster Kanzler zu werden, näher zu rücken. Im Herbst wird in Österreich ein neues Parlament gewählt.
Das europaweite Ergebnis: Mitte-Rechts vorn
Im leicht vergrößerten Europaparlament bleibt die EVP mit den deutschen Parteien CDU und CSU nach einer europaweiten Hochrechnung vom frühen Montagmorgen stärkste Kraft. Sie kann demnach 184 der 720 Sitze besetzen (zuletzt 176 von 705).
Die Parteienbündnisse EKR (Europäische Konservative und Reformer) und die ID (Identität und Demokratie) kommen auf 73 (zuletzt 69) beziehungsweise 58 (zuletzt 49) Sitze. Nicht mitgezählt sind dabei die AfD-Abgeordneten, weil die AfD kurz vor der Wahl aus der ID-Fraktion ausgeschlossen worden war.
Zweitstärkstes Lager bleiben die Sozialdemokraten. Sie kommen auf 139 Mandate (zuletzt ebenfalls 139). Danach folgen die Liberalen, die auf 80 Sitze abrutschen (zuletzt 102). Ein großer Verlierer sind die Grünen. Sie kommen nur noch auf 52 Sitze (zuletzt 71).
Was bedeutet das für die Europapolitik?
Grundsätzlich könnte es sein, dass die Mehrheitsfindung im Europäischen Parlament schwieriger wird. Für die künftigen Machtverhältnisse ist auch relevant, ob sich eventuell Parteien aus EKR und ID zu einer neuen Allianz zusammentun. Die Französin Marine Le Pen hatte dafür zuletzt bei der italienischen Regierungschefin Meloni geworben.
Als wahrscheinlich gilt, dass das Mitte-Rechts-Bündnis EVP in den nächsten Tagen Gespräche mit Sozialdemokraten, Liberalen und Grünen führen wird, um eine lose Zusammenarbeit zu vereinbaren, die dann auch eine Mehrheit für die Wahl von der Leyens sichern könnte.
Theoretisch könnten auch noch Kooperationsmöglichkeiten mit einzelnen anderen Parteien ausgelotet werden. So hat die EVP eine Zusammenarbeit mit Meloni vor der Wahl nicht ausgeschlossen. Ihre Fratelli d’Italia gehören bislang zur EKR-Fraktion.
Ob die EU-Politik als Ganzes nach rechts rückt, hängt nicht nur von den Mehrheiten im Parlament ab. Entscheidend sind dabei auch die Kräfteverhältnisse im Rat der EU-Staaten. Eine wichtige Rolle dürfte dabei der Ausgang der Präsidentschaftswahl 2027 in Frankreich spielen. (dpa/red)
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