Das Afghanische Dreieck

Entschlusskraft, Zeit und Geld könnten Afghanistan befreien
Titelbild
Ein afghanischer Opiumbauer bei der Ernte. (Foto: Paula Bronstein/Getty Images)
Von 12. September 2007

Der Wiederaufbau der afghanischen Gesellschaft während der vergangenen Jahre war eine Geschichte des Fortschritts, dann der Rückschläge. Jetzt stockt er wegen der pakistanischen Grenzstreitigkeiten, der neu aufgetauchten Talibanführer und eines gewaltigen Drogenhandelsproblems.

Die Hauptakteure, die USA, die NATO und die afghanische Regierung, haben offenbar vieles versucht, um die Situation zu verbessern. Die harten Fakten sprechen eine eindeutige Sprache: Es ist ein holpriger Weg mit vielen logisti
schen Schwierigkeiten.

Politische Beobachter glauben in Anbetracht der gegenwärtigen politischen Situation in Afghanistan, dass, wenn nicht schnell notwendige Schritte zur Belebung der afghanischen Wirtschaft getan werden, das Land in einen noch tieferen Zustand der Instabilität und des Chaos fallen wird.

Die kürzlich in Kabul abgehaltene Friedens-Jirga (Friedensrat) zwischen pakistanischen und afghanischen Stammesführern sowie anderen Regierungsbehörden brachte eine gewisse Hoffnung, die terroristischen Zellen einzudämmen.

Den Fokus der Friedens-Jirga bildeten die aufkeimenden Aktivitäten von Anführern und Elementen des Al-Qaida-Netzwerkes an den Grenzen beider Länder, und wie man dagegen ankämpfen könne. Besonders schwierig stellt sich dieser Kampf für Afghanistan dar, angesichts sich verschlechternder öffentlicher Sicherheit, schlecht ausgerüsteter und unterbezahlter Polizei, Selbstmordattentätern, einer Drogenproblematik und eines nur langsam voranschreitenden Wiederaufbauprozesses.

Was muss also getan werden, um die Instabilität in Afghanistan zu beseitigen? Wird es helfen, die Truppenstärke des US-Militärs und der NATO-Kräfte zu erhöhen? Die Antwort versuchen zwei Afghanistan-Experten zu geben.

NATO und die US-Armee

Professor Tom Barfield ist der Vorsitzende des anthropologischen Institutes der Universität Boston. Momentan arbeitet er an der Forschung über den Nachkriegswiederaufbau und die wirtschaftliche Entwicklung in Afghanistan. Seine Antwort: „Wir hatten noch nie genug US- und NATO-Truppen in Afghanistan. Es braucht mehr Bodentruppen, um die talibanischen Bollwerke zu bewältigen“.
Jim Phillips ist wissenschaftlicher Mitarbeiter für den mittleren Osten am Douglas und Sarah Allison Zentrum (Heritage Foundation) für auswärtige Studien, einer konservativen, in Washington D.C. angesiedelten Denkfabrik. Er sieht die NATO als treibende Kraft für die Stabilität in Afghanistan. „Ich denke, die NATO muss die Einsätze verstärken. Sie müssen besser und einheitlich koordiniert werden“, sagte er.

Nach Phillips gibt es zu viele politische Einschränkungen und Vorbehalte für Militäroperationen der verschiedenen NATO-Kontingente, der Internationalen Sicherheitsunterstützungstruppe (ISAF). Die Rolle der ISAF ist es, die afghanische Regierung bei der Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit in ihrem Einsatzgebiet zu unterstützen. Außerdem hilft die ISAF der Regierung in Afghanistan dabei, ihren Einfluss, den Rechtsstaat und die Wiederaufbauarbeiten auf das ganze Land ausweiten zu können.
Phillips weiter: „Diese Vorbehalte müssen aufgehoben werden. Außerdem müssen wir die zivilen Verluste verringern, speziell während der Luftoperationen“.

Als kürzlich am 24. August 2007 ein US-Kampfjet eine Bombe gegen talibanische Anführer zu nah an einem Kampfschauplatz in der südlichen afghanischen Provinz Helamand abwarf, kamen drei britische Soldaten ums Leben und zwei wurden schwer verletzt. Wie wird in fünf Jahren Afghanistan aussehen, wenn die politische Situation stagniert oder nur kleine Veränderungen in der politischen Landschaft stattfinden?

„Die Afghanen wollen Stabilität in ihrem Land und sie sehen die ausländische Präsenz als einen Weg, der dorthin führt“, meint Professor Barfield. „Es muss mehr Wert auf einen Wiederaufbau auch in den abgelegenen ländlichen Gebieten gelegt werden. Das wird bestimmt heftig ausfallen, aber langfristig lohnend sein.“

„Am Ende können nur die Afghanen selbst und keine Ausländer die Taliban besiegen“, sagte Jim Phillips von der Heritage Foundation.
Er glaubt, dass die Vereinigten Staaten und ihre Alliierten die afghanische Regierung und ihre Fähigkeit, das Land zu regieren, unterstützen müssen, oder es bestünde die Gefahr, dass die Taliban ihre politische Macht ausbauen könnten. Viel davon bestimme aber auch die Situation in Pakistan. So lange die pakistanische Regierung die grenzüberschreitenden subversiven Aktivitäten der Taliban nicht bekämpfe, blieben diese eine Gefahr.

Warum nicht gleich mit den Taliban-Geldgebern in Pakistan reden?

Die Anstrengungen der Vereinigten Staaten, Großbritanniens, des deutschen Bundesnachrichtendienstes (BND) und Präsident Karzais, mit den sogenannten gemäßigten Talibanführern zu verhandeln, haben in den vergangenen Jahren sehr wenig Ergebnisse gebracht. Das Problem liege laut Professor Barfield darin, „dass die Taliban keine geschlossene politische Macht sind, mit der man in Verhandlungen treten kann. Es ist wenig sinnvoll, mit den Taliban zu verhandeln, wenn man gleich mit deren pakistanischen Geldgebern reden kann“.

Barfield betonte, dass Verhandlungen mit lokalen Gruppen, die mit den Taliban kooperieren, sinnvoll seien, weil diese wenigstens autonom entscheiden könnten. Trotzdem fügt der Professor hinzu: „Ich glaube nicht, dass die Taliban zurückgekommen sind, weil sie diplomatisch gescheitert sind. Vielmehr wurden sie von Pakistan dorthin gedrängt, weil die sich dort später selber ansiedeln wollen“.

„Taliban wird am Ende verlieren“

Selbst wenn es ein Potential für einen politischen Kompromiss gäbe, bemerkt Professor Barfield: „Da ich die Taliban als eine Satellitenmacht Pakistans sehe, sehe ich wenig Chancen für einen politischen Kompromiss. Politisches Entgegenkommen kann mit denen, die beim Prozess dabei sein möchten oder bei Repräsentanten lokaler Gemeinschaften stattfinden.“ Barfield sagt weiter: „Ich glaube nicht wirklich an gemäßigte Taliban. Diejenigen, die dem politischen Prozess angehören möchten, können dies tun, aber die wissen auch, dass sie dann nicht mehr die nötige Unterstützung bekämen. Diejenigen, die nach Afghanistan gehen, tun dies nicht aus ideologischen Gründen, sondern aus Eigennutz“. Barfield betont: „Wir müssen deutlich klarmachen, dass die Taliban am Ende verlieren werden“.

„Die Taliban sind eine schwache militärische Kraft, trotzdem können sie die wirtschaftliche Entwicklung stören, die afghanische Bevölkerung terrorisieren und die Regierung sowie die ISAF-Truppen belästigen“, sagt Jim Phillips von der Heritage Foundation.
Phillips denkt, dass Washington und Kabul nicht mit den fundamentalistischen Taliban verhandeln sollten, zumal viele von ihnen schon vor dem 11. September Kriegsverbrechen gegen die afghanische Bevölkerung begangen hatten. „Den gemäßigten Taliban, die der Organisation abschwören, könnte man eine friedliche Rückkehr gestatten. Aber nur wenn die afghanische Regierung zustimmt“, sagt Phillips. Dabei betont er noch einmal, dass die Taliban in Pakistan viel mehr Unterstützung hätten als in Afghanistan. Dies war auch ein heißes Thema bei der Friedens-Jirga in Kabul zwischen Pakistan und Afghanistan und hat auch gewisse Spannungen und Unstimmigkeiten auf pakistanischer Seite hinterlassen.

Phillips sagte: „Das von den Pashtuns (einer auch in Afghanistan stark vertretenen Volksgruppe) auf pakistanischer Seite der Grenze gewährte Schutzgebiet und die Unterstützung sind ein riesengroßer Auftrieb für die Taliban. Die Frage lautet: Wie viele der Herausforderungen für die US-Truppen beim Kampf gegen talibanische Zellen resultieren aus der pakistanischen Unterstützung?“
Barfield ergänzte dazu: „Pakistan ist ein ungeheueres Problem. Wenn die Taliban dort nicht so viele Stützpunkte und Rückzugsmöglichkeiten hätten, gäbe es, glaube ich, auch in Afghanistan nicht so viele Anführer.“

Er sagte weiter: „Pakistan spielt mit den Vereinigten Staaten und der NATO ein Doppelspiel. Pakistan erwartet einen baldigen Abzug der Amerikaner und der NATO und will dann über die Taliban-Stützpunkte in Afghanistan einmarschieren“. Der Professor: „Ich glaube, dass sich die Pakistani hier verkalkulieren, aber diese These hilft zu verstehen, warum sie beim Kampf gegen die Taliban so unkooperativ sind. Speziell die Gewährung der Stützpunkte für die Taliban wird damit klar“.

Das Drogenproblem

Nach dem Bericht des Büros der Vereinten Nationen für Drogen und Verbrechen (UNODC) waren die Anstrengungen der USA und anderer westlicher Länder, die Mohnplantagen zu bekämpfen, bislang uneffektiv gewesen.Der afghanische Präsident Hamid Karzai lehnte den amerikanischen Vorschlag, die Felder mit Chemikalien zu besprühen, ab, weil er dadurch Gefahren für Viehherden, andere Pflanzenkulturen und die Wasserreserven sehe. Die UNO stimmt in diesem Punkt mit dem afghanischen Präsidenten überein, aber glaubt dennoch, dass die Vernichtung der Ernte eine Hauptstrategie im Kampf gegen den Drogenhandel sei.
Afghanistan verdoppelte dem jährlichen UNODC-Bericht zufolge die Opiumproduktion während der vergangenen zwei Jahre und erbringt nun 93 Prozent der weltweiten Drogenproduktion. Die südliche Provinz Helamand allein wurde die größte Quelle illegaler Drogen der Welt.

Das Militär hat sich bislang aus dem Kampf gegen die Drogenproduktion herausgehalten. Professor Tom Barfield fügte hinzu: „Das durch den Drogenhandel verdiente Geld ist ein Problem, weil es die Talibanführer finanziert und einen Anreiz für die Drogendealer darstellt, die Regierung zu boykottieren.“ Phillips von der Heritage Foundation sagte: „Die Drogen stellen für die Afghanen ein größeres Problem dar als die Taliban.“ Sie glauben, die Drogen finanzieren nicht nur die Führer, sondern lähmen wegen der Korruption auch die afghanische Regierung.

Der Direktor der UNODC, Antonio Maria Costa, sagte laut einer AP-Meldung: „Die afghanische Drogen-Gesamtsituation stellt sich äußerst düster dar. Aber sie ist nicht aussichtslos.“ Er sagte weiter: „Es wird Zeit, Geld und Entschlusskraft brauchen – lohnende Investitionen, um Afghanistan und den Rest der Welt vor noch mehr Tragödien zu bewahren.“

Entschlusskraft, Zeit und Geld gegen Nachbarschaftsstreit, Taliban und Drogen

In der Tat lohnend: Zeit, Geld und Entschlusskraft scheinen taugliche Mittel für Afghanistan gegen das Dreieck Nachbarschaftsstreitigkeiten – Taliban-Anführer – Drogenhandel zu sein.
Man kann sagen, dass die Afghanen ein entschlusskräftiges Volk sind. Jetzt liegt es an der Weltgemeinschaft, Geld und Zeit zur Verfügung zu stellen, um aus dem lethargischen Zustand herauszukommen und den Wiederaufbau wiederanzukurbeln, bevor es zu spät ist.

*Shakila Khalje ist afghanisch-amerikanischstämmige freie Journalistin in Washington DC.



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