Das Abschiebungs-Dilemma
Die Zahl illegaler Einwanderer wächst. Viele reisen ohne Dokumente zu Fuß, auf den Ladeflächen von Lastwagen oder in klapprigen Booten an; andere überschreiten die Gültigkeit ihrer Visa und wieder andere haben das Problem, dass ihre Asylanträge abgelehnt wurden. So kämpfen Länder von Angola bis Australien, von Israel bis Italien und von Großbritannien bis zu den Vereinigten Staaten mit diesem schwierigen Problem.
Wie sich bei der juristischen Auseinandersetzung zwischen der US-Regierung und dem Staat Arizona zeigt, geht es bei der Diskussion um illegale Einwanderung im Endeffekt darum, ob man diejenigen, die sich illegal in einem Land aufhalten, abschieben sollte oder nicht.
Aufgrund der globalen Rezession und einer so hohen Arbeitslosigkeit, wie es sie seit der Großen Depression nicht mehr gab, nahm das Abschiebungs-Dilemma immer größere Ausmaße an. Aus diesen und anderen Gründen entsteht in ganz Europa, Nordamerika und anderswo folgende Situation: Millionen von einheimischen Arbeitern ohne Arbeitsplätze und Millionen von Arbeitsplätzen ohne einheimische Arbeitskräfte.
Während es weltweit sehr viele illegale Einwanderer – schätzungsweise rund 50 Millionen – gibt, werden aber tatsächlich deutlich weniger von ihnen abgeschoben. In den Vereinigten Staaten wurden im Jahr 2008 zum Beispiel weniger als vier Prozent oder 358.886 der schätzungsweise elf Millionen illegalen Einwanderer deportiert. Während die Anzahl der Ausweisungen in einigen Ländern wie Deutschland, Griechenland und Italien zurückging, stieg die Zahl der Abgeschobenen in anderen Ländern wie Kanada, Frankreich, Großbritannien und den Vereinigten Staaten erheblich an.
Es fehlt eine einheitliche Strategie
Die Regierungen und ein Großteil der Öffentlichkeit sind sich weitgehend darüber einig, dass die illegale Einwanderung unerwünscht ist, vor allem, wenn sie mit Menschenschmuggel und Menschenhandel verbunden ist. In der Tat betonen die Regierungen auf zwischenstaatlichen Versammlungen – wie den Sitzungen der Vereinten Nationen – ihre nationale Souveränität und ihr Recht, die Grenzen zu überwachen, die Einwanderung zu bewältigen und Gesetze zur Abschreckung illegaler Einwanderer zu verabschieden.
Allerdings, und dies ist der Kern des Problems, weichen die Ansichten und Strategien der Länder, die Abschiebungen vornehmen, und derjenigen, die die Ausgewiesenen aufnehmen – wie zum Beispiel Mexiko und die Vereinigten Staaten – erheblich voneinander ab. Auch innerhalb von Ländern wie Israel, Italien, Spanien, Großbritannien und den Vereinigten Staaten ist man sich darüber nicht einig, wie man mit Millionen von Männern, Frauen und Kindern umgehen soll, die in vielen Ländern der ganzen Welt illegal leben.
Hier zwei konträre Ansätze:
1. Das eine Extrem vertreten diejenigen, die behaupten, dass Abschiebung die geeignete und erforderliche Lösung ist: Da illegale Einwanderer Gesetzesbrecher sind, sollten sie nicht mit Amnestie oder Legalisierung belohnt werden.
Wichtige Gesetze in Bezug auf die illegale Einwanderung sollten von den zuständigen Behörden nicht ignoriert oder nur halbherzig umgesetzt werden. Illegale Einwanderer müssen wieder ausreisen und die Einwanderung in ihren Heimatländern beantragen – genauso wie es legale Einwanderer getan haben.
Die Gewährung von Amnestie für illegale Einwanderer untergräbt nicht nur den Rechtsstaat, sondern auch das Vertrauen der Öffentlichkeit und stellt einen Schlag ins Gesicht all derjenigen dar, die legal eingewandert sind. Diese Sichtweise besteht, aber sie fördert die illegale Einwanderung auch zukünftig.
2. Das andere Extrem vertreten diejenigen, die auf die Legalisierung illegaler Einwanderer setzen. Die meisten dieser Einwanderer, die kämpfen müssen, um ihre elementarsten Bedürfnisse zu erfüllen, suchen einfach nach einer Erwerbstätigkeit, um sich gegenseitig zu unterstützen und das Leben ihrer Familien zu verbessern.
Die Identifizierung und Abschiebung unerlaubter Einwanderer in ihre Heimatländer ist kostspielig und logistisch schwierig. Darüber hinaus können Abschiebungen in großem Maßstab zu wirtschaftlichen Problemen, zum Zerfall von Familien und zu Verletzungen der grundlegenden bürgerlichen Freiheiten führen.
Illegale Einwanderer sollten die Möglichkeit haben, im Land legal zu wohnen und zu arbeiten sowie die Staatsbürgerschaft zu beantragen.
Zwischen diesen beiden Extremen liegen die vielen, deren Meinung von den jeweiligen Umständen abhängt: Wenn illegale Einwanderer – egal woher sie kommen – schwere Verbrechen begehen, sollten sie nach der Verbüßung von Gefängnisstrafen in ihre Heimatländer zurückgeschickt werden.
Im Gegensatz dazu sollten gesetzestreue illegale Einwanderer bleiben und die Staatsbürgerschaft beantragen dürfen. Vor allem solchen, die als Kinder einreisten, und solchen, die als Kinder illegaler Einwanderer im Einwanderungsland geboren wurden, sollte erlaubt werden, in diesem Land zu bleiben und dessen Staatsbürger zu werden.
Der politische Wille, der erforderlich ist, um breit angelegte Programme umzusetzen, fehlt in der Regel ganz oder ist bestenfalls nur schwach ausgeprägt. Politik, Wahlverhalten, wirtschaftliche Interessen und der Bedarf an Arbeitskräften machen die politischen Führer gegenüber der illegalen Einwanderung blind, sodass sie im Großen und Ganzen die knifflige Frage der Abschiebung umgehen. Dies zeigt sich besonders deutlich in Europa, Japan und den Vereinigten Staaten.
Darüber hinaus fallen erhebliche Kosten für Ermittlungen, Untersuchungshaft, Gerichtsverfahren und Abschiebungen an. So bezahlte zum Beispiel die Grenzüberwachungsbehörde von Großbritannien den Gegenwert von etwa 40 Millionen US-Dollar im Jahr 2009 für Charter- und Linienflüge, um illegale Einwanderer abzuschieben. In den Vereinigten Staaten kostet schon die Untersuchungshaft eines einzigen illegalen Einwanderers durchschnittlich etwa 100 US-Dollar pro Tag.
Humanitäre Bedenken
Abschiebeverfahren geben, sofern sie überhaupt stattfinden, häufig Anlass zu ethischen und humanitären Bedenken. Wenn illegale Einwanderer in ihre Heimatländer zurückgeschickt werden, in denen zum Beispiel politische Unruhen oder große Armut herrschen, könnten damit ihre grundlegenden Menschenrechte verletzt werden.
In einigen solcher Fälle – besonders in vom Krieg zerrütteten Ländern – könnten Militante und Aufständische ihr Leben gefährden. Darüber hinaus könnte die Abschiebung schwer kranker oder behinderter illegaler Einwanderer in ihre Herkunftsländer, vor allem, wenn sie nur schlecht entwickelt sind, deren Todesurteil bedeuten. Davon wären auch Menschen mit HIV/ AIDS, Herzkrankheiten oder Krebs sowie mit psychischen Erkrankungen oder körperlichen Behinderungen betroffen.
Selbst wenn die Abschiebung von den Gerichten entschieden und von den staatlichen Behörden befohlen wird, protestieren illegale Einwanderer, hauptsächlich in den EU-Ländern, zunehmend gegen diese Gerichtsentscheidungen, indem sie sie vehement anfechten. Dadurch kann es zu Hungerstreiks, Demonstrationen und Appellen an Menschenrechtsorganisationen kommen, was häufig zu langwierigen Pattsituationen führt.
Manche illegalen Einwanderer suchen an Orten wie Kirchen und behelfsmäßigen Lagern Zuflucht. Sie fordern es an der Seite von sympathischen Unterstützern heraus, physisch entfernt zu werden und werden dabei oft von Reportern und Fernsehteams begleitet. Um weniger Aufsehen zu erregen und negative öffentliche Reaktionen auf ihr Wegschaffen zu vermeiden, schieben einige Regierungen wie Frankreich und Großbritannien illegale Einwanderer heimlich und spät in der Nacht ab.
Auch die Herkunftsländer wehren sich gegen Abschiebungen. So hat sich Mexiko gegen Abschiebungen der USA und das geltende Gesetz in Arizona ausgesprochen.
Einige Nationen wie China, Äthiopien, Eritrea, Indien, Iran, Jamaika, Laos und Vietnam weigern sich, viele der illegalen Einwanderer wieder einzugliedern. Auch sind die Herkunftsländer wie Kambodscha, El Salvador, Guatemala und Jamaika verständlicherweise nicht begeistert, deportierte Bürger aufzunehmen, die wegen Straftaten im Ausland verurteilt wurden oder in die organisierte Kriminalität verwickelt sind.
Und die Anzahl der deportierten Kriminellen ist nicht klein; alleine die Vereinigten Staaten deportierten im Jahr 2008 knapp 100.000 Kriminelle.
Zusätzlich zum Verlust von Überweisungen aus dem Ausland an ihre Heimat werden zurückkehrende illegale Einwanderer wahrscheinlich zur Arbeitslosigkeit, zu zusätzlichen Kosten und politischen Unruhen beitragen. Neben neuen und unsicheren wirtschaftlichen Rahmenbedingungen erwarten abgeschobene Einwanderer oft Schwierigkeiten bei der Wiedereingliederung, die sich auch in Stigmatisierung und Depressionen zeigen können.
Aufgrund ihrer Unfähigkeit oder ihres Widerwillens, illegale Migranten in ihre Heimatländer zurückzuschicken, haben einige Regierungen, vor allem der EU-Staaten wie Italien und Spanien, Hunderttausenden Regularisierungsprogramme angeboten.
Die Legalisierung ist oft mit Verpflichtungen verbunden, die Grenzen besser zu überwachen, die Lebensbedingungen im Inland zu verbessern und mehr Arbeitsplätze zu schaffen. Dazu zählen auch öffentliche Informationskampagnen, die illegale Einwanderer zukünftig abschrecken sollen.
Allerdings erkennen die Regierungen, dass das Angebot von „Last Chance“-Legalisierungs-Programmen wahrscheinlich andere ermutigen wird, in der Hoffnung auf die nächste Amnestie illegal einzureisen. So wie es 1986 unter Präsident Ronald Reagan nach der „letzten“ US-Amnestie der Fall war, von der fast drei Millionen illegale Einwanderer profitierten.
Politische Führer, vor allem in den entwickelten Ländern, werden Amnestie oder Legalisierung wahrscheinlich nicht in Erwägung ziehen, solange sich die Wirtschaft nicht wieder erholt und die Rekord-Arbeitslosenzahlen nicht sinken. Gleichzeitig bestehen die Befürworter der Legalisierung darauf, dass sich die staatlichen Behörden um die Not der nicht registrierten Einwanderer kümmern.
In absehbarer Zukunft müssen Regierungen und zwischenstaatliche Organisationen mit dem Abschiebungs-Dilemma kämpfen. Und bis es gelöst wird, hängt über den illegalen Einreisenden das Damoklesschwert der Abschiebung.
Joseph Chamie, ehemaliger Direktor der UNO-Bevölkerungsabteilung, ist Forschungschef am Center for Migration Studies. Mit Erlaubnis von YaleGlobal Online. Copyright © 2010, Yale Center für das Studium der Globalisierung der Yale University.
Originalartikel auf Englisch: Unwanted Immigrants: America’s Deportation Dilemma
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