Corona-Politik: Polen scheut die Diskussionen nicht

Der Historiker Prof. Dr. David Engels lebt und arbeitet in Polen. Was die generelle Corona-Stimmung betrifft, sei man in Polen viel entspannter als in Deutschland oder Frankreich, sagt er im Interview mit Epoch Times.
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Polen-Flagge.Foto: iStock
Von 28. September 2021

Prof. Dr. David Engels hat Geschichte, Philosophie und Volkswirtschaft an der RWTH Aachen studiert. Er war dort bis 2008 Assistent am Lehrstuhl für alte Geschichte und folgte 2008 dem Ruf an die Universität Brüssel, an der er zehn Jahre den Lehrstuhl für römische Geschichte innehatte. Seit 2018 lebt er in Polen und arbeitet am Instytut Zachodni in Posen, wo er verantwortlich ist für Fragen abendländischer Geistesgeschichte, europäischer Identität und polnisch-west-europäischer Beziehungen. Epoch Times sprach mit ihm über das aktuelle Corona-Geschehen in Polen.

Epoch Times: Herr Prof. Engels, Sie leben und arbeiten in Polen, gegenwärtig in Warschau. Wie nehmen Sie dort die Lage rund um das Virusgeschehen wahr?

David Engels: Was die generelle Corona-Stimmung in Polen betrifft, ist man weit entfernt von dem, was wir aus Deutschland oder Frankreich kennen. Es wird alles etwas lockerer genommen. Man sieht wenige Menschen, die aus lauter Angst vor Corona auf offener Straße Maske tragen. Trotzdem ist es so, dass sich die generelle Linie der polnischen Regierung nur unwesentlich von der in Deutschland oder Frankreich unterscheidet. Das liegt sicher daran, dass die Wählerschaft der gegenwärtigen Regierung teils aus Kreisen der älteren Menschen kommt mit einer gewissen Angst vor Corona. Sie besteht aber eben auch aus Bürgern aus dem eher konservativen Spektrum mit einer gewissen Grundskepsis gegenüber freiheitsbeschneidenden Maßnahmen. Natürlich, die Hoffnung auf Coronafonds angesichts der ja aufgrund des Lockdowns sehr stark angeschlagenen Wirtschaft ist auch ein Aspekt, der erklärt, wieso man gerade in Polen nicht den dänischen oder schwedischen Weg gegangen ist. Aber wie gesagt, insgesamt ist es noch so halbwegs erträglich.

ET: Wie wird in Polen mit Kritikern des Regierungskurses umgegangen?

Engels: Generell ist die Diskussionsbereitschaft größer als in Frankreich oder Deutschland. Vor allen Dingen sind die Fronten zwischen Corona- oder Impfskeptikern auf der einen Seite und denen, die die Maßnahmen eher unterstützen, sehr diffus, gerade im Regierungslager. Nicht nur innerhalb der PiS-Wähler, sondern auch der hohen Verantwortlichen der PiS-Regierung gibt es großen Dissens. Und gerade der konservative Flügel der PiS-Anhänger ist doch gegen Impfpflicht und sehr stark für eine möglichst maximale Freiheit des Einzelnen. Da kann sich die Regierung keinen so ganz harten Kurs gegen Impfskeptiker erlauben wie zum Beispiel in Deutschland oder Frankreich, wo die Reihen viel geschlossener scheinen. Zu bedenken ist auch, dass die Regierung gerade dabei ist, ihre Parlamentsmehrheit zu verlieren, teil- weise sogar schon verloren hat. Gerade in dieser Situation kann sie sich nicht erlauben, jetzt auch noch die eigene Wählerschaft massiv zu drangsalieren durch überzogene Corona-Maßnahmen.

ET: Wie steht es um eine Impfpflicht?

Engels: Es wird oft von Impfpflicht gesprochen, vor allem im Gesundheits- oder Schulbereich, aber bisher ist es noch nicht so weit gekommen wie in Frankreich. Vielleicht liegt das auch daran, dass hier in Polen ohnehin eine generelle Impfskepsis vorherrscht, nicht nur, was das Corona-Virus betrifft. Die Durchimpfungsrate stagniert bei ungefähr 50 Prozent. Wir sind also noch weit entfernt von den erheblich höheren Zahlen wie etwa in Deutschland. Die polnische Regierung, die angesichts der Destabilisierungsversuche aus Brüssel nicht gerade auf festen Beinen steht, muss da schon sehr vorsichtig sein, die eigenen Wähler nicht zu verprellen. Diskussionen gibt es – teilweise auch mit harten Bandagen –, aber sie sind wie in vielen Bereichen generell ergebnisoffener und flexibler als in Deutschland oder Frankreich.

ET: Medial wird die polnische Regierung immer wieder als „autoritär“ oder „nationalkonservativ“ bezeichnet. Ist da was dran?

Nein, sonst wäre ich auch nicht hier, muss ich ganz klar sagen. Was die politische Verortung der gegenwärtigen Regierung betrifft, so würde ich sie, wenn man nach einem Äquivalent in westeuropäischen Maßstäben sucht, im genauen Wortsinn als christlich-sozial bezeichnen. Sie ist in der Hinsicht christlich, als sie in ihrer täglichen Politik eben ganz bewusst versucht, auf das christliche Wertegefüge zurückzugreifen. Und sie ist eher sozial als liberal, weil sie versucht, die christliche Soziallehre zu verinnerlichen und aus der üblichen Kombination Konservatismus plus Liberalismus auszubrechen. Das unterscheidet sie von der ideologisch sehr schillernden und unbestimmten AfD auf der einen Seite und dem eher republikanisch-laizistischen Rassemblement National auf der anderen Seite.

Was den Rechtsruck betrifft, stellt sich natürlich die Frage, was „rechts“ denn überhaupt bedeutet. Was schwingt bei dem Wort mit? Mittlerweile ist die Assoziationskette eigentlich schon so, dass, wenn man „rechts“ hört, man sofort an „rechtsextrem“ denkt. Und dann ist der Weg bis zu irgendwelchen totalitären Fantasien natürlich auch in der Assoziation immer sehr nah. Sicherlich ist die gegenwärtige Regierung konservativ. Sie ist aber sicher nicht rechts im Sinne von dem, was in Deutschland bei diesen Worten meistens mitschwingt, also exklusiver Nationalismus, Selbstüberhöhung, Antieuropäertum und so weiter.

ET: Wie verhält es sich mit der Einschränkung der Pressefreiheit, die oft kritisiert wird?

Was ich in Polen wahrnehme, übrigens auch in Ungarn, ist eine sehr große Medienvielfalt – ein großer Gegensatz zu Deutschland, wo man den Eindruck hat, dass ein Großteil der Medien mehr oder weniger austauschbar geworden ist und man konservative Abweichler eher in irgendwelchen mehr oder weniger gut versteckten Online-Medien suchen muss. Wenn man allein schaut, was sich im Alltagsleben an Werbeplakaten für verschiedenste politische Aussagen findet, sieht man ein erstaunlich großes Spektrum abgebildet. Das zeigt, dass hier eben keinerlei Einheitsmeinung herrscht, wie es leider zunehmend im Westen der Fall ist, sondern ein sehr großes Angebot.

Dieses Angebot ist allerdings asymmetrisch. Ein Großteil der polnischen Medien befindet sich nicht in der Hand von polnischen, sondern vor allem von deutschen Aktionären. In dieser Hinsicht ist Polen sicherlich in Europa eine Ausnahme. Das beeinflusst natürlich auch inhaltlich den Kurs. Es bestand daher lange eine gewisse Meinungshoheit der linksliberalen Presse über die öffentliche Meinung, sodass die Regierung nur mittels verfassungsmäßig vorgesehener Neubesetzung und Supervisierung der öffentlich-rechtlichen Medien Einfluss auf die Gestaltung der öffentlichen Meinung nehmen konnte.

ET: Inwiefern zeigt sich das auch bei der Berichterstattung über Corona in Polen?

Mir scheint, dass die öffentlich-rechtlichen Medien sehr stark die Gefahr der Corona-Pandemie unterstreichen. Und während die konservativen Randmedien die Maßnahmen der Regierung als überzogen kritisieren, hört und liest man in den privaten linksliberalen Medien eher, dass die Maßnahmen nicht gut genug umgesetzt werden oder dass man seitens der Exekutive nicht genügend tut. Man bemüht sich also, die Regierung vor sich herzutreiben.

Und natürlich finden wir hier auch die regelmäßige Unterstellung, dass die Regierung die Corona-Maßnahmen benutzen würde, um unberechtigterweise die eigene Machtstellung zu zementieren; vor allem letztes Jahr angesichts des Vorschlags, in Polen die Wahlen um einige Wochen zu verschieben bzw. ganz auf Briefwahlen umzustellen, was sowohl in Polen als auch in Deutschland als Versuch einer autoritären Machtergreifung kritisiert worden ist. Gerne hat man dabei unterschlagen, dass so etwas mittlerweile auch in vielen anderen europäischen Ländern stattfindet. Polen ist zwar innerhalb der EU in mancher Hinsicht ein Ausreißer, wie etwa bei der Migrationsfrage, der Gender-Ideologie oder dem Wunsch nach Demokratisierung des Rechtssystems, aber im Bereich der Corona-Politik ist Polen ganz sicher keine Ausnahme, sondern folgt – wenn auch in etwas gemäßigter Form – dem Mainstream.

ET: Vielen Dank für das Gespräch. 



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