Corona: Darum ist die Zahl der Toten in Frankreich erheblich höher als in Deutschland – trotz ähnlicher Fallzahlen

Deutschland und Frankreich weisen ähnliche Strukturen, ähnliche Fallzahlen und ähnliche Voraussetzungen in der Corona-Krise auf. Das Nachbarland hat jedoch eine deutlich schlechtere Bilanz, was die Zahl der Todesopfer betrifft. Analysten suchen nach dem Grund.
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Die Champs Elysees in Paris am 4. Mai 2020.Foto: LUDOVIC MARIN/AFP via Getty Images
Von 5. Mai 2020

Was die Zahl der festgestellten Infektionen mit COVID-19 anbelangt, liegen Deutschland und Frankreich nicht weit voneinander entfernt: Aktuell sind im Nachbarland westlich des Rheins 168.693 Fälle von Corona-Infizierten gemeldet, in Deutschland selbst sind es 165.745. Die Differenz zwischen aktiven und abgeschlossenen Fällen ist jedoch erheblich, vor allem aber die Todeszahlen weichen stark voneinander ab: In Deutschland starben bislang 6.866 Personen, die Träger des Virus waren, in Frankreich 24.895 (Stand 4.5.).

War Frankreich zu langsam im Kampf gegen Corona?

Nun rätseln Experten und Medien, wo die Gründe für diese verhältnismäßige starke Abweichung liegen könnten. Immerhin verlief die Infektion im Nachbarland mehr als viermal so häufig tödlich wie hier – und das, obwohl Größe, Einwohnerzahl, Bruttoinlandsprodukt und Ausstattung des Gesundheitssystems nicht wesentlich voneinander abweichen.

Alex Ward macht in seiner Analyse für das Portal „Vox“ teils glückliche Fügungen, teils aber auch schnellere und konsequentere Reaktionen, die das föderal aufgebaute Deutschland vom zentralistisch geprägten Frankreich getroffen habe, für die unterschiedlichen Bilanzen verantwortlich. Was in der Analyse nicht erwähnt wird, aber am Rande eine erhebliche Rolle gespielt haben dürfte: Deutschlands Nachbarländer Tschechien und Österreich waren im März mit einem ehrgeizigen Corona-Bekämpfungsprogramm vorgeprescht und hatten auf diese Weise ihrerseits Handlungsdruck in Richtung Berlin aufgebaut.

In Frankreich hat es jedoch länger gedauert, bis soziale Distanzierungsmaßnahmen, flankiert durch aktive Testprozesse, begannen. Deutschland hingegen hatte zumindest bei Personen mit Symptomen große Anstrengungen unternommen, um diese schnellstmöglich testen zu lassen. Das derzeitige Paket an weitreichenden Lockdown-Maßnahmen in Frankreich ist vorerst bis zum 11. Mai befristet. Ob es dann erste Lockerungen geben wird, ist ungewiss.

Glückliche Umstände für Deutschland

Was die Eingrenzung der Zahl der Toten anbelangt, hatten einer Einschätzung von Marieke Degen vom Robert Koch Institut zufolge auch günstige Umstände zu Beginn der Pandemie in Deutschland eine Rolle gespielt: Die ersten festgestellten Fälle betrafen Skiurlauber aus dem österreichischen Hotspot Ischgl und aus Italien, hauptsächlich Südtirol. Aktive Skiurlauber zählen regelmäßig nicht zu den Risikogruppen der älteren oder mit erheblichen Vorerkrankungen belasteten Personen – was das Sterberisiko minimierte.

Zudem bildete sich das zweite Cluster in Heinsberg, einer Stadt, die nicht weit von Metropolen entfernt ist, die über eine ausgebaute Gesundheitsversorgung verfügen. Gegenüber der „New York Times“ hatte bereits Charité-Chefvirologe Christian Drosten die hohe Anzahl an Labordiagnosen für die verhältnismäßig kleine Anzahl an Toten verantwortlich gemacht – dazu komme die bedeutende Rolle der pharmazeutischen Industrie in Deutschland, die dem Land nun im Angesicht der Krise zugutegekommen sei.

Zudem habe Deutschland große Anstrengungen unternommen, um Infizierte zu identifizieren und Infektionen nachzuweisen – etwa in Form der „Corona-Taxis“ in Heidelberg, die Ärzte zu Personen befördert hatten, die bereits seit vier bis sechs Tagen mit typischen Symptomen krankgeschrieben waren – und dort einen Bluttest durchführten. Im Zweifel habe man die Verbringung in ein Krankenhaus empfohlen.

In Südkorea und in Taiwan hatte sich die Strategie des Testens und Aufspürens potenzieller Infizierter als Erfolgsrezept erwiesen – Deutschland hat diese rechtzeitig adaptiert. Auch wenn Entwarnung noch nicht gegeben werden könne, sei man damit zumindest nicht auf einem falschen Weg.

Februar nicht ausreichend zur Vorbereitung genutzt

Frankreich hingegen, so heißt es in der Analyse, habe die Chance, durch ein frühes und ambitioniertes Modell des „Tracking & Testing“ rechtzeitig der Seuche gegenzusteuern, mehr oder minder vertändelt.

Präsident Emmanuel Macron hat in seiner Ankündigung zur Verlängerung der Pandemie-Maßnahmen bis 11. Mai selbst eingeräumt, dass das Land „nicht ausreichend vorbereitet“ gewesen sei, als sie Krise ausbrach.

Als am 24. Januar die ersten beiden Corona-Infizierten in Frankreich – es waren Rückkehrer aus China – diagnostiziert wurden, hieß es vonseiten der damaligen Gesundheitsministerin Agnès Buzyn lapidar, es „könnte noch weitere Fälle geben“. Dringlicher Handlungsbedarf wurde jedoch nicht gesehen.

Durch den Februar hindurch beschränkte sich der Kampf der Regierung gegen die Seuche weitgehend auf verstärkte Hygiene-Hinweise und Appelle zu sozialer Distanzierung und dem Fernbleiben von Alten- und Pflegeheimen. Noch Anfang März waren Versammlungen mit bis zu 1.000 Teilnehmern zugelassen, Macron selbst besuchte noch am 6. März eine Theateraufführung und ein Altenheim. Mitte März veranlasste Macron sogar, dass noch die erste Runde der Kommunalwahlen abgehalten werden konnte.

Abhängigkeit von chinesischen Testsets

Frankreich versäumte es auch, rechtzeitig einen eigenen, Ischgl-mäßigen Hotspot zu entdecken: Wie Reuters berichtete, hatten noch vom 17. Februar an hunderte Besucher einer evangelikalen Megachurch, die aus aller Welt kamen, in Mülhausen (Mulhouse) an einem fünftägigen Event teilgenommen. Einer der Teilnehmer stellte sich später als Corona-Infizierter heraus. Am 29. Februar wurde der erste Fall einer Infektion mit Bezug zur „Open Door“-Woche identifiziert.

Am Ende verfolgte man 2.500 Fälle von COVID-19 in Frankreich zu der Zusammenkunft zurück. Einige Teilnehmer waren in andere Länder zurückgereist – von Burkina Faso über Guyana oder die Schweiz bis hin nach Korsika.

Und noch ein weiterer Faktor habe Frankreich bei der Bekämpfung der Seuche geschadet: Wie „Politico“ berichtete, war das Land bei der Erzeugung und Bereitstellung von Testsets auf fremde Hilfe angewiesen – namentlich auf China. Dort hatte man allerdings immer noch selbst mit der Seuche zu tun und entsprechend verzögerte sich die Auslieferung. Wie viele Testsets unbrauchbar waren, darüber schreibt „Politico“ nicht. Was jedoch feststeht, ist, dass diese Verzögerung Frankreichs Fähigkeit, schnell auf die Pandemie zu reagieren, deutlich geschwächt hat.



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