Chinas Medienstrategie in der Corona-Krise: Wenn nichts mehr geht, die Opfer-Karte ziehen

Analysten bekannter Think-Tanks haben die Medienstrategie von Chinas KP-Regime in der Corona-Krise unter die Lupe genommen und eine fein abgestimmte Einflussstrategie auf die öffentliche Meinung im Westen enthüllt. Nicht in allen Ländern war diese gleich erfolgreich.
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Guo Weimin (hinten rechts am Bildschirm), Sprecher des Nationalkomitees spricht am 20. Mai 2020 per Videolink zu Journalisten im Medienzentrum in Peking. Chinas Präsident Xi Jinping ist entschlossen, Stärke und Kontrolle über den KPCh-Virus zu demonstrieren.Foto: THOMAS PETER/POOL/AFP über Getty Images
Von 20. Mai 2020

Der bekannte Asien-Analyst des in London ansässigen Think-Tanks Chatham House, Rod Wye, hat in einem Gespräch mit „CNN Business“ dargelegt, wie das KP-Regime in China durch Manipulation der Medienkanäle Dritter und durch eigene Bemühungen versucht, eine alternative Wahrnehmung der Corona-Krise im westlichen Ausland herbeizuführen.

Die Strategie wird über regierungsamtliche Statements ebenso umgesetzt wie über staatseigene Medien, Gaslighting gegenüber westlichen Medienkonsumenten oder soziale Medien – auch solche, deren Nutzung in China selbst verboten ist. Wie Wye schildert, legt das Regime dabei das Augenmerk auf drei Schwerpunkte.

Chinas KP kämpft auf drei Ebenen

Erstens will China von sich selbst das Bild des erfolgreichen Krisenmanagers zeichnen, der nicht nur das Coronavirus im eigenen Land schnell unter Kontrolle gebracht habe, sondern nun auch der ganzen Welt dabei helfe, dieses zu bekämpfen. Dies geschieht insbesondere auf dem Wege der „Maskendiplomatie“ und der Entsendung von Ärzteteams und medizinischem Gerät.

Zweitens will das Regime die Frage nach dem Ursprung des Virus unterdrücken. Wye zufolge beginnt die chinesische Fassung der Erzählung über die Corona-Krise „mit der Abriegelung von Wuhan und dem entschlossenen Vorgehen der Partei, um die Seuche zu kontrollieren“. Die Frage nach dem Ursprung könnte die Schwächen der Führung im Umgang mit dem Virus offenlegen, deshalb habe man dort keinerlei Interesse, diese Frage in die Breite zu erörtern.

Drittens geht es der KP darum, „Verwirrung zu säen“ bezüglich der Reaktion anderer Länder auf die Krise – mit dem Ziel, „die Glaubwürdigkeit jener zu unterminieren, die China kritisieren, und gleichzeitig die Glaubwürdigkeit des eigenen Narrativs zu stärken“.

Wye ist es im Zusammenhang mit seiner Recherche gelungen, mit Mitarbeitern des weltweiten staatlichen Auslands-Mediennetzwerks „China Global Television Network“ (CGTN) zu sprechen, das neben den ebenfalls international ausgerichteten Propaganda-Plattformen „China Daily“ und „Global Times“ die Botschaften des chinesischen KP-Regimes für ausländische Medienkonsumenten aufbereiten sollen.

Medien der KP-Führung holzschnittartiger als andere Auslandsmedien

CGTN operiert in mittlerweile mehr als 70 Ländern und hat erst 2019 ein etwa 2.800 Quadratmeter großes Redaktionsbüro in London eröffnet. Wie ein früherer Mitarbeiter unter Zusicherung der Anonymität gegenüber Wye erläuterte, funktioniert die redaktionelle Ausrichtung in ähnlicher Weise, wie man es auch von anderen staatlichen Auslandsmedien wie dem russischen RT oder dem türkischen TRT kennt. Mit Blick auf die Pandemie werden ähnlich wie auch bei anderen Themen neutrale Nachrichten gebracht neben Artikeln, von denen auch die eigenen Mitarbeiter wüssten, dass sie „pure Propaganda“ darstellen.

Während es Themen gebe, bei denen Mitarbeiter und Redakteure ein hohes Maß an Freiheit genössen, gäbe es dem Insider zufolge andere, die keine zwei Meinungen zuließen. Fallweise führten diese auch zu Zerwürfnissen zwischen westlichen Mitarbeitern und chinesischen Vorgesetzten. Beispiele dafür wären die Demokratiebewegung in Hongkong oder die Umerziehungslager in Xinjiang.

Ein weiterer CGTN-Journalist, der in den USA arbeite und ebenfalls anonym bleiben wolle, räumt gegenüber CNN Business offen ein, dass die Darstellung, China sei offen und transparent mit Corona umgegangen, falsch sei. Allerdings hätten auch andere Länder falsch reagiert:

„Jeder hat den ersten Monat verpasst, in dem er etwas tun hätte können“, erklärt der Mitarbeiter. Der Unterschied der Propaganda von CGTN etwa zu Berichten auf RT oder TRT scheint, wie auch er andeutet, in der Raffinesse, mit der die Botschaft an das westliche Auditorium gebracht werde.

Natürlich sind die Chinesen besser in der Lage, Dinge zu vertuschen oder bei Bedarf neue Details durchsickern zu lassen, […] aber sie stellen sich dabei so grobmotorisch an, dass es wirklich schrecklich wirkt.“

Nicht nur schlichte Propaganda in der Corona-Krise

Wyes Beobachtungen bestätigen diese Einschätzung. Die chinesischen Staatsmedien betrieben nicht ausschließlich „schlichte Propaganda“, sondern wendeten sich an das westliche Publikum mit einem Mix aus normalen Berichten, solchen mit parteiischen Abschnitten, Verlautbarungsjournalismus und eben klassischer Propaganda – etwa rührseligen Geschichten über die Kindheit von Machthaber Xi Jinping oder über dessen Mutter.

Die staatlichen Medien würden daran arbeiten, diese Strategie noch zu verfeinern:

Wenn die chinesischen Medien in irgendeiner Weise Einfluss entfalten wollen, müssen sie auf die Gesellschaft zugeschnitten sein, in der sie die Botschaften unterbringen wollen. Ihr Ziel ist es, sowohl einen starke chinesische Erzählung zu entwickeln als auch die Glaubwürdigkeit von Berichten zu untergraben, die eine andere Geschichte über das erzählen, was in China passiert.“

In sozialen Medien pflegen chinesische Medien eine andere Gangart. Auf Twitter, dessen Nutzung in China selbst untersagt ist, verbreitete die chinesische Botschaft in Südafrika im März eine Nachricht, die in Zweifel zog, dass das neuartige Coronavirus tatsächlich in China entstanden sei. Der Tweet war Ausgangspunkt eines Sets an Verschwörungstheorien, wonach ein US-Armeeoffizier aus Virginia im vergangenen Herbst das Virus freigesetzt hätte, als er als Teil einer US-Armeesportmannschaft in Wuhan war.

EU knickt vor Pekings Forderungen ein

Der ranghohe Sprecher des chinesischen Außenministeriums, Zhao Lijian, hat die These zusammen mit weiteren aggressiven Anschuldigungen in Richtung Washingtons auf Twitter in mehr oder minder verklausulierter Form weitergetragen. In der vergangenen Woche verteidigte Ministeriumssprecherin Hua Chunying ihren Kollegen, indem sie auf ebenfalls nicht bestätigte Spekulationen aus der US-Regierung verwies, das Virus könnte menschengemacht sein oder aus einem Labor entwichen.

Sogar die EU-Beobachtungsstelle für Desinformation hatte neben Russland auch dem Regime in Peking vorgeworfen, in den Mitgliedstaaten und an der Peripherie „kontinuierlich in breitem Maße Verschwörungstheorien und Desinformation“ zu streuen und über offizielle Kanäle jegliche Schuld am Ausbruch der Pandemie abzuschieben. EU-Offizielle sahen sich später gezwungen, Meldungen zu dementieren, wonach sie den entsprechenden Bericht auf chinesischen Druck hin verwässert und abgeschwächt hätten.

Glaubwürdig war das Dementi nur bedingt: Immerhin räumten Beamte derselben EU wenige Tage später ein, es zugelassen zu haben, dass Chinas Regierung einen gemeinsamen Gastkommentar von EU-Botschaftern für China Daily zensiert – und einen Halbsatz entfernt, in dem auf den Ursprung des Virus in Wuhan hingewiesen wurde.

Die KP und die identitätspolitische Karte

Auch in den USA hat Geheimdiensterkenntnissen zufolge das chinesische Regime aktiv versucht, Verwirrung zu stiften und die Reaktion der US-Behörden auf die Pandemie zu diskreditieren. Unter anderem wurde verbreitet, US-Präsident Donald Trump wolle in Eigenregie einen landesweiten Lockdown verordnen oder die US würden Biowaffenlabors in der früheren Sowjetunion finanzieren. Gleichzeitig versuchten die Accounts hinter den Bemühungen, die Politik der Regierung in Peking in der Corona-Krise als besonders vorteilhaft darzustellen.

Gegenüber der internationalen Ausgabe der Epoch Times verweist der US-Historiker Victor Davis Hanson auf eine weitere Taktik des Regimes, die nun in der Corona-Krise die Sympathien für das Regime im Westen aufpolieren soll.

Die KP spiele demnach gerade gegenüber dem linksliberalen und akademischen Publikum die identitätspolitische Karte und versuche, kulturmarxistische Narrative für sich zu nutzen.

Die Forderung der US-Regierung an China, die volle Wahrheit über die Ursprünge des neuartigen Coronavirus aufzuklären und eine internationale Untersuchung zuzulassen, der sich bis dato bereits mehrere Dutzend Staaten angeschlossen haben, wird demnach als vermeintlicher Ausdruck des „US-Imperialismus“ gebrandmarkt. Das KP-Regime in Peking soll auf diese Weise zum Opfer erklärt werden, das von Präsident Donald Trump und Außenminister Mike Pompeo zum Sündenbock gestempelt werden solle, nur um von eigenen Unzulänglichkeiten abzulenken.

„Rassismus“-Narrativ von westlichen Medien übernommen

„Sie sind sehr manipulativ, wenn es darum geht, die Rassen-, Klassen-, Gender- oder sonstige Karten im Sinne progressiver Identitätspolitik auszuspielen“, erklärt Hanson, der unter anderem an der Hoover Institution tätig ist.

Das Regime in Peking stellt sich dabei in die Reihe derjenigen, die dieser Doktrin zufolge zu den „Unterdrückten“ in Amerika gehöre – also den meisten nicht-weißen Bevölkerungsteilen:

Sie verstehen das Denken der Linken, dass sie sich selbst als Opfer präsentieren können – selbst wenn sie selbst es waren, die in dieser Krise andere zu Opfern gemacht haben.“

Ein erster Schritt sei es in diesem Zusammenhang gewesen, dass das chinesische Regime bereits im März im Einklang mit liberalen US-Medien die Trump-Regierung als „rassistisch“ dargestellt hatte, weil diese von einem „China-Virus“, einem „Wuhan-Virus“ oder – wie auch regierungskritische Exil-Chinesen – von einem „KPCh-Virus“ gesprochen hatten.

Dass das KP-Regime auf diesen Zug aufspringe, sei besonders pikant, da China selbst „hauptsächlich eine monorassische Kultur ist und sich in seiner Politik gegenüber anderen Ländern selbst sehr rassistisch verhalten“ habe.

Sie sperren eine Million Menschen in Umerziehungslager. Sie praktizieren eine systematische Diskriminierung gegenüber Afrikanern, als deren Helfer sie sich sonst gerne aufspielen. Sie haben die Kultur Tibets zerstört und trotzdem stellen sie sich als die Geschockten und Desillusionierten hin, die unter Fremdenfeindlichkeit, Rassismus und Illiberalität in Amerika litten.“

Das Regime wüsste jedoch die Befindlichkeiten westlicher Medien sehr gut einzuschätzen und diese zeigten sich als willige Partner. Um ihre Kritik am verhassten Donald Trump zu deponieren, wären westliche liberale Journalisten sogar bereit, chinesische Narrative zu reproduzieren.

Der Erfolg der Propagandaoffensive ist bis dato mäßig. Eine weltweite Pew-Studie vom März weist aus, dass das Ansehen Chinas in der Welt seit Ausbruch der Krise deutlich gelitten hat. Auch in den USA, wo zwei Drittel der Befragten eine negative Meinung von China hätten – der höchste Wert seit 2005.

Nur wenige Länder zeigen eine gegenläufige Entwicklung. Eines davon ist Italien, wo Peking erkannte, dass sich die Menschen in dem stark von der Corona-Krise mitgenommenen Land von einer unvorbereiteten EU im Stich gelassen fühlten und damit ein fruchtbarer Boden für die Maskendiplomatie entstand. Ein weiteres ist Deutschland.

 



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