„Charlie Hebdo“ – Blutbad vor 10 Jahren: „Die Freude am Lachen wird nie vergehen“

Auch aktuell wird die frühere Personalleiterin der Satirezeitung „Charlie Hebdo“ bedroht. Sie lebt seit zehn Jahren unter Polizeischutz. Der dschihadistische Anschlag im Jahr 2015 hat tiefe Spuren hinterlassen, die bekanntesten Karikaturisten Frankreichs wurden getötet.
Titelbild
„Unzerstörbar“ – das Titelbild der Sonderausgabe der französischen Satirezeitung „Charlie Hebdo“ vor dem 10. Jahrestag des Anschlags am 6. Januar 2025.Foto: Martin Lelievre/AFP via Getty Images

„Nicht totzukriegen“ titelt die Sonderausgabe der Satirezeitung „Charlie Hebdo“, die in dieser Woche erscheint. Allerdings steht Marika Bret, ehemalige Personalchefin der Zeitung, weiterhin unter Polizeischutz. Sie berichtet von zahlreichen Morddrohungen. 

„Seit zehn Jahren stehe ich unter Polizeischutz. Wenn ich daran zurückdenke, ist es unglaublich“, sagte Marika Bret am 6. Januar dem französischen Nachrichtensender BFMTV.

Für sie ist dieser Schutz „unverzichtbar“. Vor einigen Monaten erstattete sie Anzeige wegen Aufrufen zu Vergewaltigungen. 

Polizeischutz seit 10 Jahren

Seit dem Januartag, an dem die algerischen Franzosen Chérif und Saïd Kouachi den Tod brachten, ist ihre Welt aus den Fugen geraten. 

„Ich bewege mich – sobald ich mein Haus verlasse, bis ich es wieder betrete – umgeben von zwei Beamten, denen ich jeden Tag dafür danke, dass sie da sind.“ Die Meinungsfreiheit werde mit Füßen getreten, selbst ihre Verteidiger sind bedroht. 

Die Republik beschützt mich, ich danke ihr.“

An jenem schicksalhaften 7. Januar 2015 wurden acht Redaktionsmitglieder der Zeitung „Charlie Hebdo“ im 11. Arrondissement von Paris getötet.

Eine separate Geiselnahme in einem jüdischen Supermarkt im Osten von Paris durch einen dritten Schützen am 9. Januar 2015 forderte vier Tote.

Insgesamt starben durch den dschihadistischen Anschlag zwölf Menschen. Er wurde als ein Anschlag auf die Meinungsfreiheit aufgefasst und löste eine beispiellose Welle der Solidarität aus. Der Spruch „Je suis Charlie“ (Ich bin Charlie) ging um die Welt. 

Während der wöchentlichen Redaktionskonferenz

Marika Bret erzählte, dass sie an jenem Januarmorgen gerade in der Bank war. In den Räumen der Zeitung fand derweil die wöchentliche Redaktionskonferenz statt. 

Ich hatte mein Handy ausgeschaltet. Um 11:45 Uhr schaltete ich es wieder ein. Es gab etwa 20 Nachrichten, schon nach zwei Nachrichten habe ich es verstanden.“ 

Sie versuchte daraufhin „hektisch“ Charb anzurufen und erfuhr schließlich von der Polizeiwache, dass er verstorben war. Ebenso sieben weitere Mitglieder der Redaktion: die bekannten Karikaturisten Cabu, Honoré, Tignous, Wolinski, die Psychoanalytikerin Elsa Cayat sowie der Wirtschaftswissenschaftler Bernard Maris und der Korrektor Mustapha Ourrad.

„Ich habe geschrien, wie ich noch nie in meinem Leben geschrien habe“, sagte die ehemalige Personalchefin bei BFMTV.

Einige Mitglieder der Redaktion von Charlie Hebdo im Jahr 2015: Chefredakteur Gerard Briard (l.), Antonio Fischetti (hinten l.), Coco (hinten M.), Riss (vorn M.), Marika Bret (vorn 2. r.), Eric Portheault (vorn r.) und die Produzenten des Dokumentarfilms „Schwarzer Humor“ (Humour noir) Emmanuel Leconte (hinten r.), Daniel Leconte (vorn l.), am 26. November 2015 in Paris. Foto: Joel Saget/AFP via Getty Images

Charb, einer der bekanntesten Zeichner an der Spitze der Zeitung, sei seit Jahren bedroht worden. Er stand unter Polizeischutz.

Er stand auf einer Karteikarte von Al-Qaida im Jemen neben Salman Rushdie: ‚Gesucht tot oder lebendig wegen Verbrechen gegen den Islam‘. All das führte dazu, dass ich nicht überrascht, sondern am Boden zerstört war.“

„Charlie Hebdo“ gehörte zu den wenigen Zeitungen weltweit, die 2006 die Mohammed-Karikaturen der dänischen Zeitung „Jyllands-Posten“ nachgedruckt hatten.

In der Ausgabe vom Tag des Anschlags stellt der Karikaturist Charb die makabere Frage: „Noch immer keine Anschläge in Frankreich?“, und lässt einen Bärtigen antworten: „Neujahrswünsche sind noch bis Ende Januar möglich.“

Zweitägige Verfolgungsjagd – Geiselnahme in Supermarkt

Nach zweitägiger Verfolgung wurden die Täter etwa 45 Kilometer nördlich von Paris von Polizisten erschossen. Die beiden Franzosen algerischer Herkunft hatten sich dem Terrornetzwerk Al-Qaida angeschlossen.

Parallel zur Verfolgung tötete der mit den Kouachi-Brüdern befreundete Islamist Amedy Coulibaly erst eine Polizistin in einem Pariser Vorort und nahm dann mehrere Geiseln in einem jüdischen Supermarkt bei Paris.

Er forderte vergeblich freien Abzug für die Kouachi-Brüder, tötete vier seiner Geiseln und wurde schließlich von Elitepolizisten erschossen.

Die Anschläge lösten weltweit Entsetzen aus. Zu einem Gedenkmarsch am 11. Januar reisten dutzende Staats- und Regierungschefs nach Paris. Rund 1,5 Millionen Menschen gingen in der französischen Hauptstadt auf die Straße, landesweit fast vier Millionen.

„Ich bin Charlie“

„Charlie Hebdo“ veröffentlichte eine „Ausgabe der Überlebenden“, die sich in Frankreich und im Ausland rund acht Millionen Mal verkaufte – ein Rekord in der französischen Pressegeschichte. Auf dem Titel: eine Mohammed-Figur mit einem „Ich bin Charlie“-Plakat und den Worten „Alles ist verziehen“.

14. Januar 2015: Menschen vor einem Kiosk in Bordeaux, als die neueste Ausgabe der Überlebenden von „Charlie Hebdo“ in den Verkauf geht. Sie war vielerorts sofort wieder ausverkauft. Foto: Jean Pierre Muller/AFP via Getty Images

Das Blutvergießen war der Beginn einer dunklen Periode für Frankreich, in der Extremisten, die von Al-Qaida und der Gruppe Islamischer Staat inspiriert waren, wiederholt Anschläge verübten, das Land in Aufruhr versetzten und religiöse Spannungen verstärkten.

Die Serie islamistischer Anschläge erlebte einen Höhepunkt am 13. November 2015, als in Restaurants, Bars und im Konzertsaal Bataclan insgesamt 130 Menschen von Islamisten getötet wurden. 2016 kamen bei einem Lkw-Anschlag in Nizza 86 Menschen ums Leben.

Heutiger Zeitungschef Riss: „Unzerstörbar“

In ihrer heutigen 32-seitigen Ausgabe, veröffentlicht zum 10. Jahrestag des islamistischen Anschlags auf ihre Redaktion, erklärt „Charlie Hebdo“ auf der Titelseite, dass „Charlie Hebdo“ „unzerstörbar“ sei. Abgebildet ist die Zeichnung eines Lesers, der auf einem Sturmgewehr sitzt und diese „historische“ Zeitungsausgabe liest.

Laurent Sourisseau, genannt „Riss“, Nachfolger von Charb an der Spitze der Zeitung, betont im Editorial, dass

Satire eine Tugend besitzt, die uns geholfen hat, diese tragischen Jahre zu überstehen: Optimismus“.

„Was auch immer an Dramatischem oder Glücklichem geschieht, die Freude am Lachen wird nie vergehen“, bekräftigt er und blickt auf die letzten Jahre zurück, die von einer „geopolitischen Situation“ geprägt waren, die sich „verschlechtert“ hat.

Laurent Sourisseau, genannt „Riss“, Verlagsleiter des französischen Satiremagazins „Charlie Hebdo“, am 7. Januar 2025. Foto: Ludovic Marin/POOL/AFP via Getty Images

Das ist im Wesentlichen auch die Meinung von Innenminister Bruno Retailleau, der auf der Titelseite von Le Parisien behauptete: „Die terroristische Bedrohung war nie so präsent.“ 

Emmanuel Macron seinerseits möchte, dass es „keine Atempause im Kampf gegen den Terrorismus“ gibt. Er erklärte am 6. Januar vor den im Élysée-Palast versammelten französischen Botschaftern, dass es sich um ein „Risiko handelt, das in unseren Gesellschaften weiterhin präsent ist und das bedeutet, dass es kein Nachlassen geben darf“.

Gedenken in Paris

Am 7. Januar gedachte Macron schweigend den Opfern des islamistischen Anschlags. Gemeinsam mit Premierminister François Bayrou, mehreren Regierungsmitgliedern und der Pariser Bürgermeisterin Anne Hidalgo nahm er an einer Gedenkfeier vor dem ehemaligen Redaktionssitz teil und legte ein Blumengebinde nieder.

Die Angehörigen der Opfer hatten sich gegen eine Ansprache des Präsidenten ausgesprochen.

Angehörige von Ahmed Merabet (M.), Präsident Emmanuel Macron (M.), Bürgermeisterin Anne Hidalgo (l.) und seine Frau Brigitte Macron (r.), gedachten am 7. Januar 2025 Ahmed Merabet, einem muslimischen Polizeibeamten, der die Büros bewachte und aus nächster Nähe erschossen wurde. Foto: Ludovic Marin/POOL/AFP via Getty Images

Weitere Gedenkmomente waren anschließend in der Nähe der ehemaligen Redaktion geplant, wo die Täter einen Polizisten erschossen hatten, sowie vor dem koscheren Supermarkt am Stadtrand von Paris.

Bundeskanzler Olaf Scholz sprach den Angehörigen der Opfer sein Mitgefühl aus. „Wir fühlen heute wie damals mit unseren französischen Freunden. Der Angriff galt unseren gemeinsamen Werten von Freiheit und Demokratie – das akzeptieren wir niemals“, schrieb er im Onlinedienst X.

Prozess wegen Messerangriff auf vermeintliche Mitarbeiter 2020

In Paris hat gestern zudem ein Prozess wegen eines späteren Messerangriffs auf vermeintliche Mitarbeiter der Zeitschrift begonnen.

Der heute 29 Jahre alte Täter Zaheer M. entschuldigte sich zum Auftakt des Prozesses bei den beiden Menschen, die er damals schwer verletzt hatte. Er war davon ausgegangen, dass der Mann und die Frau Mitarbeiter der Zeitschrift gewesen waren.

M. griff mit einem Hackebeil an und traf einen Mann im Gesicht. „Es sind schlimme Taten, ich bitte die Opfer und ihre Familien um Verzeihung.“

Französische Feuerwehrleute schieben eine Trage mit einem Verletzten in die Nähe der ehemaligen Büros des französischen Satiremagazins, nachdem am 25. September 2020 ein Mann angegriffen wurde. Foto: Alain Jocard/AFP über Getty Images

Zu diesem Zeitpunkt war die Redaktion jedoch aus Sicherheitsgründen längst an einen öffentlich nicht bekannten Ort umgezogen. 2020 lief gerade der Prozess gegen die Mitverantwortlichen der islamistischen Anschläge gegen die Zeitschrift vom Januar 2015. 

Der Haupttäter kam 2018 ohne Papiere nach Frankreich. Die Ermittler machten fünf mutmaßliche Unterstützer aus, mit denen er unter anderem Videos mit Gewaltaufrufen islamistischer Prediger ausgetauscht hatte. Der Prozess soll bis zum 24. Januar dauern. Die sechs Männer aus Pakistan müssen sich vor einem Jugendgericht verantworten, weil drei von ihnen zum Tatzeitpunkt 2020 noch minderjährig waren.

(Mit Material der Agenturen)



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