Chance fürs Bargeld: Norwegen gewährt Recht auf analoges Leben

In Norwegen ist Bargeld weitestgehend von digitalen Zahlmethoden verdrängt worden. Allerdings tun sich Hunderttausende Menschen mit Karte und App schwer. Ein neues Gesetz soll ihnen das Bezahlen im Alltag wieder erleichtern.
Titelbild
In Norwegen bezahlen die Menschen ihren Kaffee meist auf digitalem Weg.Foto: Koonsiri Boonnak/iStock
Von 10. November 2024

In Norwegen ist es längst üblich, bei alltäglichen Transaktionen mit Karte oder dem Mobiltelefon zu bezahlen. Bargeld ist praktisch überflüssig geworden. Geschäften war es noch bis in jüngster Vergangenheit sogar gestattet, Bargeldzahlungen abzulehnen.

Doch das hat sich seit dem 1. Oktober geändert. Das norwegische Parlament hat ein Gesetz verabschiedet, das Restaurants, Bäckereien und alle Geschäfte dazu verpflichtet, Bargeldzahlungen anzunehmen, wenn die Kunden dies wünschen. Das Aufstellen von Schildern mit der Aufschrift „No cash“ („Kein Bargeld“) ist nun verboten.

Norwegische Verkaufsstellen müssen jetzt Bargeldzahlungen mit Summen von bis zu 20.000 NOK (Norwegische Kronen, rund 1.673 Euro) akzeptieren.

Nicht-digitale Menschen berücksichtigen

Die Abgeordneten haben mit großer Mehrheit dem sogenannten Finanzvertragsgesetz zugestimmt. Emilie Enger Mehl, Ministerin für Justiz und öffentliche Sicherheit, teilte hierzu mit:

Die Vorschriften waren zu unklar. Die Menschen sollten darauf vertrauen können, dass sie beim Einkaufen, im Restaurant oder beim Friseur problemlos bezahlen können.“

Von den rund 5,6 Millionen Einwohnern des skandinavischen Landes leben laut Erhebungen bis zu 600.000 Norweger nicht digital. Das sind vor allem ältere und ärmere Menschen. Mit dem neuen Gesetz hat sich die Regierung dazu entschieden, diesen Gruppen die gleiche Möglichkeit zu geben, barrierefrei bezahlen zu können. „In einer digitalen Welt kann man leicht vergessen, dass es eine große Gruppe von Menschen gibt, die nicht digital sind“, erklärte Mehl.

Besonders ältere Menschen haben mit der digitalen Entwicklung oftmals Schwierigkeiten. Foto: JRLPhotographer/iStock

Ebenso begrüßt Jan Davidsen, Vorsitzender der norwegischen Rentnergewerkschaft, das neue Gesetz. „Ich gehöre zu den Glücklichen, die digitale Zahlungsmittel nutzen können. Aber hier geht es um diejenigen, die das nicht können, und darum, dass es sie daran hindert, alles zu tun, was sie tun wollen“, so Davidsen.

Die digitale Entwicklung ist in den vergangenen Jahren in Norwegen schnell vorangeschritten. Manche Teile der Bevölkerung haben den Umgang damit noch nicht erlernt.

Bargeld fast bedeutungslos geworden

Die digitalen Zahlungsmethoden haben das Bezahlen mit Bargeld in Norwegen nahezu komplett verdrängt. Im vergangenen Jahr haben die Menschen in Norwegen nur 10 Prozent aller Transaktionen mit Bargeld bezahlt. Das ermittelte eine Erhebung des schwedischen Zahlungsanbieters Klarna. Am liebsten zahlten die Norweger demnach mit Karte (56 Prozent) oder dem Mobiltelefon (26 Prozent).

Zum Vergleich: In Deutschland halten die Menschen weiterhin am Bargeld fest, auch wenn dieses rückläufig ist. 2008 lag die Bargeldquote beim Bezahlen in Deutschland noch bei 83 Prozent, im vergangenen Jahr waren es noch 51 Prozent, nachzulesen im Bericht „Zahlungsverhalten in Deutschland 2023“ vom Juli dieses Jahres.

Einen Tiefststand erreichten die norwegischen Bargeldzahlungen im ersten Jahr der Corona-Pandemie. So erfolgten 2020 laut Ida Wolden Bache, Direktorin für Geldpolitik bei der Norges Bank, nur 4 Prozent der Zahlungen mit Bargeld.

Der Eingang der norwegischen Zentralbank, Norges Bank, in Oslo. Foto: Alexander Farnsworth/iStock

Im Jahr 2023 benutzte jeder Norweger im Schnitt 550 Mal seine Bezahlkarte für einen Kauf. Das entspricht drei Kartenzahlungen in zwei Tagen.

Bei der Zahlung mit dem Mobiltelefon kommt meist die Zahlungsapp Vipps zum Einsatz. Sie gilt laut einem Blog der Sparkasse als wichtigste Zahlungsapp in Norwegen. Vipps genießt die Unterstützung der größten Banken des nordeuropäischen Landes. Rund 3,2 Millionen Norweger nutzen Vipps.

Bargeldquellen werden weniger

Zwar ist es noch möglich, in Norwegen an Norwegische Kronen in Bargeldform zu kommen. Bankkunden können Bargeld hauptsächlich an Bankfilialen, Geldautomaten und gelegentlich in Geschäften bekommen. Allerdings sind die Möglichkeiten zuletzt rar geworden. In immer weniger Bankfilialen können die Menschen Geld am Schalter abheben oder abgeben. Vor knapp einem Jahr existierten noch 74 dieser Filialen.

In ganz Norwegen standen Ende 2023 noch 821 Geldautomaten, 83 Geldeinzahlungsautomaten und 347 Recyclingautomaten. Die Zahl der Geldabhebungen in Norwegen lag im vergangenen Jahr bei 15,7 Millionen. An POS-Terminals (Cashback und Bargelddienste im Geschäft) waren es 11,3 Millionen Bargeldabhebungen. Seit 2007 ist das ein Rückgang um rund 85 Prozent.

Zudem reduzierte sich in Norwegen die durchschnittliche Abhebung an Geldautomaten von 1.961 NOK im Jahr 2022 auf 1.918 NOK. Die Zahl der Geldautomaten sank von 1.231 Ende 2022 auf 1.168 Ende 2023.

100-Kronen-Scheine aus Norwegen. Foto: Fotonen/iStock

Günstiger mit digitaler Zahlung?

Rune Aale-Hansen, der Geschäftsführer von der norwegischen Buchhaltungsfirma Regnskap Norge, bedauert die Entscheidung des Parlaments zum neuen Gesetz. „Wir können kaum verstehen, warum dieses Recht auf Bargeldzahlung gestärkt wird. Dies ist eher ein Geschenkpaket für Kriminelle. Eine völlig bargeldlose Gesellschaft wird das Ausmaß der Finanzkriminalität verringern“, sagte Regnskap Norge.

Ebenso könnten in einem Norwegen ohne Bargeld nach den Berechnungen von Regnskap Norge die Unternehmenskosten um über zehn Milliarden Kronen sinken. Aale-Hansen argumentierte, dass Unternehmen etwa die Gehälter nur per Rechnung auszahlen. Bezahle ein Unternehmen eine Rechnung, die teurer als 10.000 NOK ist, in bar, erhielte es keine steuerlichen Vorteile. Zudem verzichte auch der Staat komplett auf Bargeld. Er führe alle Transaktionen digital durch.

Gefahren der Digitalisierung

Kein Bargeld mit sich führen zu müssen, ist für viele praktischer und bequemer. Dennoch können die digitalen Zahlungswege ganz andere Probleme mit sich bringen.

Was beispielsweise tun bei einem längeren Stromausfall? Oder bei Cyberattacken? Für solche Ernstfälle empfiehlt das norwegische Direktorat für Katastrophenschutz und Notfallvorsorge seinen Landsleuten, einen gewissen Vorrat an Bargeld einsatzbereit zu halten. So könne man bei einem Systemausfall weiterhin wichtige Einkäufe tätigen.

Hierzu sagte Mehl: „Die Regierung nimmt die Notfallvorsorge der Gesellschaft ernst. Die Welt um uns herum wird immer unruhiger, mit Kriegen, digitalen Bedrohungen und dem Klimawandel. Wir müssen auf längere Stromausfälle, Systemausfälle oder Cyberangriffe vorbereitet sein, die zum Ausfall digitaler Zahlungslösungen führen.“

Schweden geht ähnlichen Weg

Den Weg hin zu einer komplett bargeldlosen Gesellschaft wollte in den vergangenen Jahren auch das Nachbarland Schweden gehen. Allerdings hat Schwedens Zentralbank, die Riksbank, im ersten Quartal dieses Jahres dem Bargeld mehr Bedeutung zugesprochen. Laut dem „Payments Report 2024“ spielt Bargeld eine unverzichtbare Rolle für sichere und für jeden zugängliche Zahlungssysteme.

Zwar ist Bargeld in Schweden gesetzliches Zahlungsmittel, jedoch müssen es Geschäftsteilnehmer nicht akzeptieren, wenn sie es nicht wollen. Mögliche Krisen sind der Hauptgrund für die Riksbank, das Bargeld zu erhalten. Die digitalen Systeme hätten im Ernstfall nicht die notwendige Stabilität und Flexibilität wie Bargeld.

Daher möchte die Riksbank, dass das Bargeld ein fester Bestandteil des Zahlungsmittelmixes der Menschen bleibt. Sie forderte die Politik auf, den entsprechenden rechtlichen Rahmen zu schaffen.



Epoch TV
Epoch Vital
Kommentare
Liebe Leser,

vielen Dank, dass Sie unseren Kommentar-Bereich nutzen.

Bitte verzichten Sie auf Unterstellungen, Schimpfworte, aggressive Formulierungen und Werbe-Links. Solche Kommentare werden wir nicht veröffentlichen. Dies umfasst ebenso abschweifende Kommentare, die keinen konkreten Bezug zum jeweiligen Artikel haben. Viele Kommentare waren bisher schon anregend und auf die Themen bezogen. Wir bitten Sie um eine Qualität, die den Artikeln entspricht, so haben wir alle etwas davon.

Da wir die Verantwortung für jeden veröffentlichten Kommentar tragen, geben wir Kommentare erst nach einer Prüfung frei. Je nach Aufkommen kann es deswegen zu zeitlichen Verzögerungen kommen.


Ihre Epoch Times - Redaktion