Chance fürs Bargeld: Norwegen gewährt Recht auf analoges Leben
In Norwegen ist es längst üblich, bei alltäglichen Transaktionen mit Karte oder dem Mobiltelefon zu bezahlen. Bargeld ist praktisch überflüssig geworden. Geschäften war es noch bis in jüngster Vergangenheit sogar gestattet, Bargeldzahlungen abzulehnen.
Doch das hat sich seit dem 1. Oktober geändert. Das norwegische Parlament hat ein Gesetz verabschiedet, das Restaurants, Bäckereien und alle Geschäfte dazu verpflichtet, Bargeldzahlungen anzunehmen, wenn die Kunden dies wünschen. Das Aufstellen von Schildern mit der Aufschrift „No cash“ („Kein Bargeld“) ist nun verboten.
Norwegische Verkaufsstellen müssen jetzt Bargeldzahlungen mit Summen von bis zu 20.000 NOK (Norwegische Kronen, rund 1.673 Euro) akzeptieren.
👉 Wie genial ist das denn? Norwegen hat es tatsächlich erkannt: Unser Bargeld ist wichtiger denn je. Diese Entscheidung gibt Hoffnung und zeigt, dass der Weg in die totale Digitalisierung nicht alternativlos ist!
Norwegens digitale Wende: Rückkehr zum Bargeld und zur analogen… pic.twitter.com/gkF0GnsxhC
— Songül 🕊️ (@SonguelSunny) October 21, 2024
Nicht-digitale Menschen berücksichtigen
Die Abgeordneten haben mit großer Mehrheit dem sogenannten Finanzvertragsgesetz zugestimmt. Emilie Enger Mehl, Ministerin für Justiz und öffentliche Sicherheit, teilte hierzu mit:
Die Vorschriften waren zu unklar. Die Menschen sollten darauf vertrauen können, dass sie beim Einkaufen, im Restaurant oder beim Friseur problemlos bezahlen können.“
Von den rund 5,6 Millionen Einwohnern des skandinavischen Landes leben laut Erhebungen bis zu 600.000 Norweger nicht digital. Das sind vor allem ältere und ärmere Menschen. Mit dem neuen Gesetz hat sich die Regierung dazu entschieden, diesen Gruppen die gleiche Möglichkeit zu geben, barrierefrei bezahlen zu können. „In einer digitalen Welt kann man leicht vergessen, dass es eine große Gruppe von Menschen gibt, die nicht digital sind“, erklärte Mehl.
Ebenso begrüßt Jan Davidsen, Vorsitzender der norwegischen Rentnergewerkschaft, das neue Gesetz. „Ich gehöre zu den Glücklichen, die digitale Zahlungsmittel nutzen können. Aber hier geht es um diejenigen, die das nicht können, und darum, dass es sie daran hindert, alles zu tun, was sie tun wollen“, so Davidsen.
Die digitale Entwicklung ist in den vergangenen Jahren in Norwegen schnell vorangeschritten. Manche Teile der Bevölkerung haben den Umgang damit noch nicht erlernt.
Bargeld fast bedeutungslos geworden
Die digitalen Zahlungsmethoden haben das Bezahlen mit Bargeld in Norwegen nahezu komplett verdrängt. Im vergangenen Jahr haben die Menschen in Norwegen nur 10 Prozent aller Transaktionen mit Bargeld bezahlt. Das ermittelte eine Erhebung des schwedischen Zahlungsanbieters Klarna. Am liebsten zahlten die Norweger demnach mit Karte (56 Prozent) oder dem Mobiltelefon (26 Prozent).
Zum Vergleich: In Deutschland halten die Menschen weiterhin am Bargeld fest, auch wenn dieses rückläufig ist. 2008 lag die Bargeldquote beim Bezahlen in Deutschland noch bei 83 Prozent, im vergangenen Jahr waren es noch 51 Prozent, nachzulesen im Bericht „Zahlungsverhalten in Deutschland 2023“ vom Juli dieses Jahres.
Einen Tiefststand erreichten die norwegischen Bargeldzahlungen im ersten Jahr der Corona-Pandemie. So erfolgten 2020 laut Ida Wolden Bache, Direktorin für Geldpolitik bei der Norges Bank, nur 4 Prozent der Zahlungen mit Bargeld.
Im Jahr 2023 benutzte jeder Norweger im Schnitt 550 Mal seine Bezahlkarte für einen Kauf. Das entspricht drei Kartenzahlungen in zwei Tagen.
Bei der Zahlung mit dem Mobiltelefon kommt meist die Zahlungsapp Vipps zum Einsatz. Sie gilt laut einem Blog der Sparkasse als wichtigste Zahlungsapp in Norwegen. Vipps genießt die Unterstützung der größten Banken des nordeuropäischen Landes. Rund 3,2 Millionen Norweger nutzen Vipps.
Bargeldquellen werden weniger
Zwar ist es noch möglich, in Norwegen an Norwegische Kronen in Bargeldform zu kommen. Bankkunden können Bargeld hauptsächlich an Bankfilialen, Geldautomaten und gelegentlich in Geschäften bekommen. Allerdings sind die Möglichkeiten zuletzt rar geworden. In immer weniger Bankfilialen können die Menschen Geld am Schalter abheben oder abgeben. Vor knapp einem Jahr existierten noch 74 dieser Filialen.
In ganz Norwegen standen Ende 2023 noch 821 Geldautomaten, 83 Geldeinzahlungsautomaten und 347 Recyclingautomaten. Die Zahl der Geldabhebungen in Norwegen lag im vergangenen Jahr bei 15,7 Millionen. An POS-Terminals (Cashback und Bargelddienste im Geschäft) waren es 11,3 Millionen Bargeldabhebungen. Seit 2007 ist das ein Rückgang um rund 85 Prozent.
Zudem reduzierte sich in Norwegen die durchschnittliche Abhebung an Geldautomaten von 1.961 NOK im Jahr 2022 auf 1.918 NOK. Die Zahl der Geldautomaten sank von 1.231 Ende 2022 auf 1.168 Ende 2023.
Günstiger mit digitaler Zahlung?
Rune Aale-Hansen, der Geschäftsführer von der norwegischen Buchhaltungsfirma Regnskap Norge, bedauert die Entscheidung des Parlaments zum neuen Gesetz. „Wir können kaum verstehen, warum dieses Recht auf Bargeldzahlung gestärkt wird. Dies ist eher ein Geschenkpaket für Kriminelle. Eine völlig bargeldlose Gesellschaft wird das Ausmaß der Finanzkriminalität verringern“, sagte Regnskap Norge.
Ebenso könnten in einem Norwegen ohne Bargeld nach den Berechnungen von Regnskap Norge die Unternehmenskosten um über zehn Milliarden Kronen sinken. Aale-Hansen argumentierte, dass Unternehmen etwa die Gehälter nur per Rechnung auszahlen. Bezahle ein Unternehmen eine Rechnung, die teurer als 10.000 NOK ist, in bar, erhielte es keine steuerlichen Vorteile. Zudem verzichte auch der Staat komplett auf Bargeld. Er führe alle Transaktionen digital durch.
Gefahren der Digitalisierung
Kein Bargeld mit sich führen zu müssen, ist für viele praktischer und bequemer. Dennoch können die digitalen Zahlungswege ganz andere Probleme mit sich bringen.
Was beispielsweise tun bei einem längeren Stromausfall? Oder bei Cyberattacken? Für solche Ernstfälle empfiehlt das norwegische Direktorat für Katastrophenschutz und Notfallvorsorge seinen Landsleuten, einen gewissen Vorrat an Bargeld einsatzbereit zu halten. So könne man bei einem Systemausfall weiterhin wichtige Einkäufe tätigen.
Hierzu sagte Mehl: „Die Regierung nimmt die Notfallvorsorge der Gesellschaft ernst. Die Welt um uns herum wird immer unruhiger, mit Kriegen, digitalen Bedrohungen und dem Klimawandel. Wir müssen auf längere Stromausfälle, Systemausfälle oder Cyberangriffe vorbereitet sein, die zum Ausfall digitaler Zahlungslösungen führen.“
Schweden geht ähnlichen Weg
Den Weg hin zu einer komplett bargeldlosen Gesellschaft wollte in den vergangenen Jahren auch das Nachbarland Schweden gehen. Allerdings hat Schwedens Zentralbank, die Riksbank, im ersten Quartal dieses Jahres dem Bargeld mehr Bedeutung zugesprochen. Laut dem „Payments Report 2024“ spielt Bargeld eine unverzichtbare Rolle für sichere und für jeden zugängliche Zahlungssysteme.
Zwar ist Bargeld in Schweden gesetzliches Zahlungsmittel, jedoch müssen es Geschäftsteilnehmer nicht akzeptieren, wenn sie es nicht wollen. Mögliche Krisen sind der Hauptgrund für die Riksbank, das Bargeld zu erhalten. Die digitalen Systeme hätten im Ernstfall nicht die notwendige Stabilität und Flexibilität wie Bargeld.
Daher möchte die Riksbank, dass das Bargeld ein fester Bestandteil des Zahlungsmittelmixes der Menschen bleibt. Sie forderte die Politik auf, den entsprechenden rechtlichen Rahmen zu schaffen.
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