Bund will an Förderung von „Seenotrettung“ festhalten – Italien sieht „schwerwiegendes Verhalten“
Auf Lampedusa herrscht nach zwei turbulenten Wochen mit mehr als 10.000 eingetroffenen Bootsflüchtlingen wieder weitgehend – wenn auch gespannte – Ruhe. Der Großteil der Asylsuchenden, die von Tunesien aus die 6.500-Einwohner-Insel angesteuert hatten, befindet sich mittlerweile in anderen Landesteilen. Dennoch pocht man in Italien auf Solidarität vonseiten der Partner in der EU – und vermisst diese vor allem von Deutschland. Dies liegt unter anderem an Berlins Position zur sogenannten Krisenverordnung sowie an dessen Haltung zu NGOs, die sich der „Seenotrettung“ im Mittelmeer widmen.
Bis zu 800.000 Euro an einzelne Projekte zur „Seenotrettung“
Im November des Vorjahres hatte der Haushaltsausschuss des Bundestages beschlossen, dem Verein United4Rescue ab 2023 jährlich jeweils zwei Millionen Euro zur Verfügung zu stellen. Dieser, so hieß es damals aus den Reihen der Ampel, repräsentiere ein „breites Bündnis aus Kirche, Wirtschaft und Zivilgesellschaft“.
Unter dem Dach des Vereins wirkten unter anderem Ärzte ohne Grenzen, Caritas- und Diakonieverbände, der Deutsche Gewerkschaftsbund und die EKD zusammen. Für sie sei es „selbstverständlich, dass Leben retten keine Straftat ist, sondern humanitäre Verpflichtung“. Deshalb wolle die Bundesregierung den Verein unterstützen, der beispielsweise den Kauf und Umbau von Rettungsschiffen sowie Ausrüstung und Einsatzkosten finanziert.
Der Verein geriet allerdings wegen der Lebensgemeinschaft ihres Vorsitzenden Thies Gundlach mit Grünen-Politikerin Katrin Göring-Eckardt ins Gerede. Daraufhin modifizierte der Ausschuss seinen Beschluss. Seither sollen auch NGOs Anspruch auf Förderung haben, die sich an Land für Betreuung und Belange der Flüchtlinge einsetzen.
Italien sieht in den NGOs Verbündete von Schleppern
Nun will man in Kürze jeweils die ersten Fördermittel aus dem Hilfsprogramm auszahlen. Jeweils zwischen 400.000 und 800.000 Euro sollen „in Kürze“ an zwei Projekte fließen. Eines davon betreffe ein Projekt zur Versorgung auf See, das andere sei an Land tätig. Eine der begünstigten Organisationen sei SOS Humanity, berichtet die „Zeit“.
In Italien sieht man in dieser Veranlassung jedoch eine Einmischung in innere Angelegenheiten. Darüber hinaus hält man es insbesondere angesichts der jüngsten Krise in Lampedusa für eine unfreundliche Geste. Italiens Rechtsregierung sieht in der privaten „Seenotrettung“ im Mittelmeer einen Pull-Faktor für weitere Fluchtbewegungen. Einigen Organisationen warf sie in der Vergangenheit sogar vor, mit Schlepperbanden gemeinsame Sache zu machen.
Verteidigungsminister Guido Crosetto spricht von einem „sehr schwerwiegenden Verhalten“. Die Ampelregierung tue, als wüsste sie nicht, dass sie „damit ein Land in Schwierigkeiten bringt, mit dem sie theoretisch befreundet“ sei. Bereits am Freitag, 22. September, war aufseiten der Regierung Meloni mit Blick auf die deutschen NGO-Hilfen von einer „schweren Anomalie“ im innereuropäischen Umgang die Rede.
NGOs zur „Seenotrettung“ klagen über Repression durch Regierung in Rom
Bereits im Jahr 2017 hatte Italiens Parlament Vertreter deutscher NGOs vorgeladen und ihnen Kooperation mit Schleusern vorgeworfen. Die Organisationen wiesen die Anschuldigungen kategorisch zurück. Sie begründeten ihre Tätigkeit im Mittelmeer mit dem damaligen Rückzug der EU-Marine.
SOS-Humanité-Sprecher Lukas Kaldenhoff betrachtet seine Organisation im Gespräch mit der Nachrichtenagentur ANSA immer noch als unterfinanziert. Die Summe von knapp 800.000 Euro sei nur ein kleiner Teil des deutschen humanitären Hilfsbudgets und decke nur ein Viertel der jährlichen Betriebskosten. Die Grenzschutzagentur Frontex habe demgegenüber jährlich bis zu 850 Millionen Euro zur Verfügung.
Schon zu Beginn des Jahres klagten „Seenotretter“ über das, was sie als Schikanen vonseiten der italienischen Regierung empfanden. So erließ diese ein Dekret, wonach die Retter nach jedem Einsatz unverzüglich einen Hafen anlaufen müssen. Dies gelte auch dann, wenn sie noch weitere Migranten bergen könnten. Außerdem sei es untersagt, Gerettete auf ein anderes Schiff zu bringen.
Darüber hinaus habe Italiens Regierung Rettungsschiffen in mehreren Fällen weit entfernte Häfen zur Landung zugewiesen. In einigen Fällen habe man den Verdacht, man habe sie bewusst in Städten anlegen lassen, die von der Opposition regiert würden.
Deutsche Migrationsforscher: Italien könnte Krise von Lampedusa „inszeniert“ haben
Inwieweit die Tätigkeit der „Seenotretter“ tatsächlich einen Pull-Faktor für noch mehr Flüchtlingsboote darstellt, ist umstritten. Der Anteil der von den NGOs aus dem Mittelmeer geretteten Asylsuchenden an allen Geborgenen liegt bei etwa elf Prozent.
Den Großteil der Bootsflüchtlinge evakuiert Italiens Küstenwache selbst. Viele schaffen es auch aus eigener Kraft – wie beispielsweise jüngst bei der Landung in Lampedusa. Bis zum 17. September sind im bisherigen Verlauf des Jahres 2.340 Flüchtlinge bei ihrem Versuch, über das Mittelmeer Europa zu erreichen, gestorben.
Seit Beginn des Jahres haben mehr als 130.000 Asylsuchende auf diesem Wege Italien erreicht. Das sind doppelt so viele wie im Vergleichszeitraum des Jahres 2022. Ein erheblicher Teil davon will in weiter nördlich gelegene Länder weiterreisen.
Italien nimmt Deutschland auch dessen Widerstand gegen die von mehreren Ländern angestrebte Krisenverordnung zum EU-Migrationspakt übel. Die Regierung in Berlin nimmt zum einen Anstoß, dass diese Unterbringungsstandards senken könnte. Zum anderen würde sie Ländern wie Italien im Krisenfall erlauben, die Migranten weiterziehen zu lassen – unter anderem in Richtung Deutschland.
Zuletzt hatten deutsche Migrationsforscher der italienischen Regierung sogar vorgeworfen, die Krise in Lampedusa bewusst dramatisiert zu haben. So sei die Überbelegung des dortigen Camps „inszeniert“ worden, lautet die Anschuldigung. Angeblich solle dies der Rechtsregierung einen Vorwand zu hartem Vorgehen gegen Flüchtlinge und deren Helfer verschaffen.
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