Bürgerkrieg in Syrien: Erneute Eskalation begünstigt Flüchtlingswelle
Das Wiederaufflammen der Kämpfe in Syrien nach einer langen Zeit relativer Ruhe sorgt international für Besorgnis. Den Vereinten Nationen zufolge sind seit dem Angriff dschihadistischer Gruppen auf Aleppo knapp 50.000 Menschen innerhalb des Landes geflüchtet. Dies teilt das Büro der UNO für humanitäre Angelegenheiten (OCHA) mit.
Am Mittwoch, 27.11., hatten der al-Qaida-Ableger Hajat Tahrir al-Scham (HTS) und verbündete Gruppen eine Blitzoffensive auf Aleppo gestartet. In weiterer Folge sei es ihnen gelungen, die Ende 2016 mithilfe der russischen Luftwaffe von den Dschihadisten befreite Stadt wieder einzunehmen. Russische Kampfjets kommen seither erstmals seit dieser Zeit wieder zum Einsatz. Sie versuchen, das Regime von Präsident Baschar al-Assad bei der Wiederherstellung der Kontrolle über die Stadt zu unterstützen.
Krieg in Syrien tobt seit dem „Arabischen Frühling“
Berichten der „Syrischen Beobachtungsstelle für Menschenrechte“ zufolge soll es bis dato mehr als 500 Todesopfer infolge der Kampfhandlungen geben, unter ihnen 92 Zivilisten. Am Dienstag möchte der UN-Sicherheitsrat eine Sondersitzung über die jüngste Eskalation abhalten. Aleppo ist die größte Stadt in Syrien neben der Hauptstadt Damaskus mit etwa 2,6 Millionen Einwohnern.
Der Bürgerkrieg in Syrien reicht in das Jahr 2011 zurück. Im Zuge des sogenannten Arabischen Frühlings war es dort zu Demonstrationen gegen Machthaber Assad gekommen. Dieser ging mit extremer Härte gegen die Proteste vor. In weiterer Folge kam es zu bewaffneten Aufständen gegen das Regime, wobei die häufig den Muslimbrüdern oder dschihadistischen Gruppen nahestehenden Milizen der Opposition auf die Hilfe ausländischer Staaten zählen konnten.
Neben Staaten wie der Türkei, Saudi-Arabien oder Katar ergriffen jedoch auch westliche Staaten Partei für die Gegner des Assad-Regimes. Dieses sicherte sich seinerseits die Rückendeckung durch Russland und den Iran. Dass es der Terrormiliz „Islamischer Staat“ (IS) im Jahr 2014 gelang, erhebliche Teile des Landes zu erobern, verkomplizierte die Lage zusätzlich. Der ursprünglich im Irak entstandene IS schaffte es, Kämpfer aus aller Welt, davon mehrere Tausend aus Europa, nach Syrien zu holen.
Mehr als die Hälfte der Bevölkerung auf der Flucht
Dazu kam, dass kurdische Milizen, die der terroristischen PKK nahestehen, die Kontrolle über weite Teile des Nordens von Syrien erlangten und dort die autonome Region Rojava gebildet haben. Diese ist der türkischen Regierung ein Dorn im Auge.
Das Ausmaß der ausländischen Einmischung in den syrischen Bürgerkrieg steigerte auch das Risiko einer Konfrontation zwischen Russland und den USA. Beide Länder organisierten internationale Koalitionen, um den IS zurückzudrängen.
Der Kreml betrachtete dabei die Stärkung des Assad-Regimes als Voraussetzung für die Wiederherstellung von Frieden in Syrien. Der Westen bestand dagegen auf der Forderung, dass die Führung unter Assad illegitim sei und abgelöst werden müsse. Eine überzeugende Antwort, wer stattdessen die Kontrolle in dem konfessionell und ethnisch tief gespaltenen Staat ausüben solle, hatte er nicht.
Ein Nebeneffekt des Bürgerkrieges waren von Beginn an massive Fluchtbewegungen. Seit 2011 sind mehr als 12 der etwa 22 Millionen Bürger des Landes auf der Flucht. Etwas mehr als die Hälfte davon hat in anderen Landesteilen Zuflucht gefunden. Mehr als fünf Millionen sind in Nachbarstaaten wie der Türkei oder dem Libanon untergebracht. Etwa eine Million syrischer Schutzsuchender leben in Europa, davon mehr als 800.000 in Deutschland.
Russland und der Iran hatten Fokus von Damaskus weg verlagert
Zum Wiederaufflammen der Kampfhandlungen haben mehrere Aspekte beigetragen. Einer davon ist der nachlassende Fokus Russlands auf die Stabilisierung Syriens. Dieser ist primär dem Krieg in der Ukraine geschuldet, aber auch russischen Engagements in Afrika.
Der Iran hat wiederum seit dem Massaker der Hamas am 7. Oktober 2023 seinen Schwerpunkt auf die Unterstützung jener Proxys gelegt, die den jüdischen Staat angreifen. Dies ging auf Kosten jener schiitischen Milizen, die im mehrheitlich sunnitischen Syrien den alawitischen Machthaber Assad stützen. In einigen Regionen hat das Verschwinden des IS auch ein Machtvakuum hinterlassen, das Dschihadisten füllen konnten.
Die Regierung in Ankara hatte 2017 zusammen mit Russland und dem Iran das Astana-Format ins Leben gerufen. Dieses hatte zu einer faktischen Aufteilung des Landes in Einflusszonen beigetragen.
Rebellen in Syrien setzen auf neue Taktiken
Auf diese Weise gelang eine Befriedung, welche es der Türkei erlaubte, die eigene Grenze für Schutzsuchende aus Syrien zu schließen. Zudem bediente sie sich mehrerer Rebellengruppen, die in der Provinz Idlib untergekommen waren, um im Norden gegen kurdische Milizen vorzugehen. Diese Kampfpraxis und das ruhige Hinterland, das Idlib für sie bot, hat jedoch zweifellos dazu beigetragen, dass die Rebellen ihre Schlagkraft verstärken konnten.
Die Rebellen verfügten zudem über Technologien, die ihnen in früheren Phasen des Bürgerkrieges noch nicht in dieser Form zur Verfügung standen. Dazu zählten Überwachungsdrohnen zur Aufklärung feindlicher Truppenbewegungen, Echtzeitinformationsübermittlung an Bodentruppen und FPV-Kamikaze-Drohnen gegen gepanzerte Fahrzeuge.
Diese Taktiken aus dem Ukrainekrieg – in dem ebenfalls syrische Rebellenkämpfer aufseiten Kiews zum Einsatz gekommen sein sollen – adaptierten diese nun auch in Aleppo. Die Türkei ist in den vergangenen Jahren in die Top 4 der weltweiten Drohnenhersteller aufgerückt. Nun könnte auch den Dschihadisten diese Technologie zugutegekommen sein. Diese hatten zudem zielgerichtet koordinierte Angriffe auf wichtige strategische Ziele wie Öl-Depots, Getreidesilos, Militärbasen und die Autobahn A5 durchgeführt. Diese verbindet Aleppo mit Damaskus.
Rolle der Türkei bleibt Gegenstand von Spekulationen
Ein Interesse an einem Wiederaufflammen der Kämpfe hat Ankara eigentlich nicht – denn die Präsenz von mehr als drei Millionen Geflüchteten in der Türkei hat schon bisher für innenpolitische Spannungen gesorgt.
Es ist jedoch möglich, dass Präsident Recep Tayyip Erdoğan, der sich in seiner letzten Amtszeit befindet, mit einer Mobilisierung der syrischen Rebellen den Westen unter Druck setzen will. Der türkische Präsident könnte damit die Botschaft aussenden, dass er zahlreiche Geflüchtete nach Europa zu schicken bereit sei, sollte der Westen keinen größeren Druck auf Israel ausüben. Erdoğan hatte mit Fortdauer der Antiterror-Operation in Gaza immer aggressivere Töne gegenüber dem jüdischen Staat angeschlagen.
Die USA könnten auf eine solche Strategie jedoch mit einer Aufrüstung kurdischer Einheiten sorgen – was der Türkei schon in früheren Phasen des Krieges ein Dorn im Auge war. Die Hajat Tahrir al-Scham (HTS), die nun Aleppo eingenommen haben, sind von den USA seit dem Jahr 2018 als terroristische Organisation (Foreign Terrorist Organisation, FTO) eingestuft.
Die HTS-Rebellen, die sich laut „Al Jazeera“ selbst als gemäßigt darstellen, sind inzwischen die mächtigste Rebellengruppe im Nordwesten Syriens.
Erdoğan kündigt „Maßnahmen zur Deeskalation“ an
Auf einer Pressekonferenz mit dem montenegrinischen Präsidenten, Jakov Milatovic, in Ankara betonte Erdoğan am Montag, die Türkei sei „entschlossen, auf die sich entwickelnde Situation zu reagieren“.
Wie „Hürriyet Daily News“ berichtet, äußerte er auch, dass Außenminister Hakan Fidan und der Chef des Nationalen Nachrichtendienstes (MIT), Ibrahim Kalin, in ständigem Kontakt mit ihren Amtskollegen stünden. Dies solle eine schnelle Reaktion ermöglichen.
Erdoğan betonte die Haltung der Türkei zur Wahrung der territorialen Integrität Syriens und zur Beendigung der Instabilität durch einen Konsens. Dieser solle jedoch „im Einklang mit den legitimen Forderungen des syrischen Volkes“ stehen – was aus Sicht Ankaras eine Ablösung des Assad-Regimes bedeutet.
„Unser größter Wunsch ist der Frieden in Syrien“, sagte Erdoğan. Ankara sei bereit, „alle notwendigen Maßnahmen zu ergreifen, um die Spannungen in der Region zu deeskalieren“.
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