Brüssel-Attentäter tot – Hinweise auf Gefährlichkeit wurden ignoriert

Nach dem Terrorakt von Brüssel stehen Belgiens Sicherheitsbehörden massiv in der Kritik. Der mittlerweile verstorbene Attentäter wäre ausreisepflichtig gewesen. Zudem gab es mehrere Hinweise auf sein Gefahrenpotenzial.
Polizisten ermitteln am Tatort in Brüssel.
Der mutmaßliche Attentäter von Brüssel ist tot. Sicherheitsbehörden müssen sich nun unangenehmen Fragen stellen.Foto: Hatim Kaghat/Belga/dpa
Von 17. Oktober 2023

Der mutmaßliche Attentäter von Brüssel ist am Dienstagmorgen, 17. Oktober, beim Versuch der Festnahme von der Polizei erschossen worden. Dies gab die Staatsanwaltschaft mittlerweile offiziell bekannt, die Einsatzkräfte konnten die mutmaßlich beim Anschlag verwendete Tatwaffe sicherstellen.

Der 45-jährige Tunesier hatte aus offenbar terroristischer Motivation heraus gezielt auf zwei schwedische Fußballfans und einen Taxifahrer das Feuer eröffnet. In Videos, die sich über soziale Medien verbreiteten, brüstete er sich mit der Tat. Aus seinen Andeutungen lässt sich schließen, dass er mit der Terrormiliz IS sympathisierte und mit den Morden Rache üben wollte für Koranschändungen, die vor Monaten in Schweden stattgefunden hatten.

Am Dienstagmorgen wurde er in einem Café im Stadtteil Schaerbeek aufgespürt. Bei der Festnahme sahen sich die Einsatzkräfte veranlasst, von ihren Schusswaffen Gebrauch zu machen.

Späterer Attentäter nach abgelehntem Asylantrag „vom Radar verschwunden“

Während die Identität und das Motiv des Attentäters von Brüssel nun geklärt zu sein scheinen, müssen sich die belgischen Sicherheitsbehörden unangenehmen Fragen stellen. Auch die Asylpolitik der EU in den vergangenen Jahren steht angesichts des neuerlichen Terrorakts in der Kritik.

Der als Abdesalem L. identifizierte Todesschütze lebte nicht nur als ausreisepflichtiger abgelehnter Asylbewerber in Belgien. Es gab auch im Vorfeld der Tat mehr als nur einen Hinweis darauf, dass von dem Dschihadisten ein erhebliches Gefahrenpotenzial ausging.

Die belgische Staatssekretärin für Asyl und Migration, Nicole de Moor, räumte mittlerweile ein, dass L. im November 2019 in Belgien Asyl beantragt hatte. Im Oktober 2020 erging ein Ablehnungsbescheid, im Februar des darauffolgenden Jahres strich man ihn offiziell aus dem nationalen Register. Daraufhin sei L. der Politikerin zufolge „vom Radar verschwunden“.

„Jeden Tag Dutzende Hinweise“ auf möglichen Dschihad-Tourismus

Unauffällig war Abdeslam L. dabei offensichtlich nicht. Der Zeitung „De Standaard“ zufolge war er der Polizei im Zusammenhang mit Menschenhandel, Verstößen gegen das Aufenthaltsrecht und Gefährdung der Staatssicherheit bekannt.

Justizminister Vincent van Quickenborne erklärte zudem, es habe 2016 „unbestätigte Informationen“ einer ausländischen Polizeibehörde gegeben. Dieser zufolge hatte L. ein „radikalisiertes Profil“ erkennen lassen. Die Rede war von Anhaltspunkten, wonach L. erwäge, in den „Dschihad“ zu ziehen. Zur damaligen Zeit operierten der IS und ähnliche terroristische Vereinigungen in den Bürgerkriegsgebieten Syriens und des Irak.

Allerdings seien die Hinweise, so der Minister, „unbestätigt“ geblieben. Die eigenen belgischen Dienste hätten „keine konkreten Hinweise auf eine Radikalisierung“ erkannt. Hätte es diese gegeben, hätte die „Koordinierungsstelle für Bedrohungslagen“ (OCAD) einen Vermerk darüber angelegt.

Hinweis auf Terror-Verurteilung in Tunesien erwies sich als unzutreffend

Jedoch war ein solcher nicht vorhanden, so van Quickenborne. Im Jahr 2016, in dem Terror allgegenwärtig gewesen wäre, habe es „jeden Tag Dutzende Meldungen dieser Art“ gegeben. Man habe diese untersucht, aber keine ausreichenden Anhaltspunkte für weitere Veranlassungen gefunden.

In Belgien hatte es im März jenes Jahres bereits einen Anschlag gegeben. Der IS hatte sich zu den Selbstmordattentaten auf einen Flughafen und eine U-Bahn-Station in Brüssel bekannt, die 35 Tote und 340 Verletzte forderten.

Einen weiteren Vorfall bezüglich Abdeslam L. hatte es jedoch zu Beginn des Jahres gegeben. Dieser soll über soziale Netzwerke einen Bewohner einer Asylunterkunft bedroht haben. Dieser erstattete Anzeige und erklärte gegenüber der Polizei, L. sei in Tunesien bereits wegen Terrorismus verurteilt worden. Die Polizei lud L. daraufhin vor. Offenbar ergaben sich diesbezüglich jedoch keine neuen Erkenntnisse.

Mehrere Parallelen zwischen späteren Terroristen

Dem „Focus“ zufolge trat erst kurz vor der Tat ein gemeinsames Informationszentrum der föderalen Kriminalpolizei zusammen, um Informationen über mögliche terroristische oder extremistische Bedrohungen zusammenzutragen. Hintergrund war offenbar die verschärfte Gefährdungslage infolge des Gaza-Konflikts.

In diesem Zusammenhang ging man auch den Angaben des Asylbewerbers nach. Jedoch erwiesen diese sich nicht als belastbar. Abdeslam L. war in Tunesien wegen „gewöhnlicher Straftaten“ verurteilt worden, so Minister van Quickenborne. Woher L. das für die Tat verwendete Sturmgewehr hatte, ist derzeit noch Gegenstand der Ermittlungen.

Obwohl die Zahl der Anschläge mit IS-Bezug in Europa in den vergangenen Jahren abgenommen hatte, zeigen sich in vielen Fällen Gemeinsamkeiten. Häufig waren die späteren Terroristen vor ihrer Einreise nach Europa wegen gewöhnlicher Delikte in Erscheinung getreten. Viele von ihnen reisten ohne oder mit gefälschten Papieren ein oder verwendeten falsche Identitäten.

Versagen des EU-Asylsystems erleichterte auch weiteren Attentätern die Arbeit

Auch die zunehmende Infragestellung der Dublin-Verordnung in der EU seit Beginn der großen Fluchtbewegung von 2015 erhöhte das Gefährdungspotenzial. Dieser zufolge wäre ausschließlich der aufnehmende Staat für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig.

Dass dieses Prinzip nicht mehr durchgehalten wurde, hatte es auch vielen späteren Attentätern ermöglicht, in mehreren Ländern Asylanträge zu stellen. Zudem waren in mehreren Fällen späterer Attentäter deren Asylanträge abgelehnt worden. Nur die Hälfte von ihnen verfügte über eine Duldung.

In den anderen Fällen kam es zu keiner Durchsetzung der Ausreisepflicht. Die Betreffenden tauchten vielfach unter – allerdings blieben viele von ihnen dennoch nicht unauffällig. So stand der spätere Breitscheidplatz-Attentäter Anis Amri im Visier von Polizei- und Verfassungsschutzbehörden. Konsequenzen hatte dies jedoch nicht.



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