Brisante Weisung: Faesers Rolle hinter der Blockade der EU-Asylreform – Scholz schaltet sich ein

Nach dem Machtwort von Kanzler Scholz ist davon auszugehen, dass Deutschland im Rat für Justiz und Inneres die EU-Asylreform nicht länger blockieren wird. Offen bleibt, wie die bislang abgelehnte Krisenverordnung am Ende aussehen wird.
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Bundesinnenministerin Nancy Faeser erwartet bald einen Durchbruch bei den Verhandlungen zur EU-Asylreform. Die geplante Krisenverordnung war bis zuletzt ein Streitpunkt.Foto: Hannes P. Albert/dpa
Von 28. September 2023

Rat für Justiz und Inneres (JI-Rat) in Brüssel soll am heutigen Donnerstag, 28. September, den Weg für die EU-Asylreform freimachen. Bezüglich der noch strittigen Punkte, insbesondere der sogenannten Krisenverordnung, soll die deutsche Bundesregierung eine Einigung anstreben. Dies hatte Bundeskanzler Olaf Scholz am Tag davor in der Kabinettssitzung gegenüber den Ministern deutlich gemacht.

Im Juni hatte es auf EU-Ebene eine weitreichende Einigung auf eine Asylreform gegeben. Diese beinhaltete unter anderem die Verteilung angekommener Flüchtlinge auf die Mitgliedstaaten. Wer nicht mitmachen möchte, hat die Option, stattdessen pro abgelehnter Person 20.000 Euro in einen Fonds der EU-Kommission einzuzahlen. Dieser soll der Bekämpfung von Fluchtursachen dienen.

Krisenverordnung ging Bundesregierung im Juni zu weit

Außerdem soll die Prüfung der Asylanträge von Antragstellern aus Ländern mit geringer Anerkennungsquote schon an den EU-Außengrenzen stattfinden. In dieser Zeit sollen die Asylbewerber in kontrollierten Aufnahmeeinrichtungen bleiben – bei offenkundiger Aussichtslosigkeit des Antrags soll eine Zurückweisung erfolgen.

Diese Punkte hatte die deutsche Bundesregierung trotz Bedenken des grünen Koalitionspartners mitgetragen. Auch Bundesinnenministerin Nancy Faeser konnte sich nicht mit ihrer Forderung durchsetzen, Familien mit Kindern automatisch von den Verfahren an den Außengrenzen auszunehmen.

Bezüglich der sogenannten Krisenverordnung, die ebenfalls Eingang in das Paket finden sollte, sperrte sich Deutschland hingegen bis zuletzt. Erst begründete die Regierung in Berlin die Blockade mit Bedenken bezüglich einer möglichen Senkung der Unterbringungsstandards. In akuten Krisensituationen könnten betroffene Ankunftsländer demnach Flüchtlinge für längere Zeit als bisher unter haftähnlichen Bedingungen festhalten.

Faeser rechnet mit Durchbruch im JI-Rat

Mittlerweile hat sich die Argumentationslinie gegen die Krisenverordnung geändert. Nun heißt es, diese könnte betroffenen Ländern die Freiheit geben, die Grenzkontrollen zu lockern und Schutzsuchenden die Ausreise in andere Mitgliedstaaten zu gewähren. In einem aktuellen Interview mit „t-online“ äußerte Bundesinnenministerin Faeser:

Wichtig ist, dass auch in Krisensituationen an den EU-Außengrenzen jeder Ankommende überprüft und registriert wird und es geordnete Verfahren gibt, die es eben nicht zulassen, Menschen einfach durchzuwinken.“

Auch in dem jüngst geführten Interview betonte die Ministerin, Deutschland „treibt das gemeinsame europäische Asylsystem voran“. Es gehe um die Begrenzung der irregulären Migration und die Entlastung der Kommunen. Das Europa der offenen Grenzen sei ohne den Schutz der Außengrenzen „in großer Gefahr“. Auch bei mehreren öffentlichen Auftritten der vergangenen Wochen betonte Faeser, die Asylkrise sei nur im europäischen Kontext zu lösen – und Deutschland wolle eine konstruktive Rolle spielen. Mit Blick auf die Verhandlungen im JI-Rat rechnet sie eigenen Angaben zufolge nun mit einem Durchbruch.

Noch im Juli soll Faeser Weisung in Sachen Krisenverordnung erteilt haben

Nun hat „Bild“ jedoch eine Weisung vom 26. Juli veröffentlicht, die Faeser als treibende Kraft hinter der Blockade ausweise. Diese hatte das Bundesinnenministerium erstellt. Das Auswärtige Amt hatte das Papier als Verschlusssache nur für den Dienstgebrauch versandt.

In der internen Publikation erging der Auftrag an den Ständigen Vertreter bei der Europäischen Union, Botschafter Michael Clauß, der Krisenverordnung nicht zuzustimmen:

Angesichts der unverändert weiter bestehenden grundlegenden Bedenken, kann Deutschland (…) nicht zustimmen, daher Enthaltung.“

Als Begründung nannte die befasste Arbeitsgruppe die Sorge vor signifikanter Herabsetzung der Standards für Schutzsuchende. Zudem seien keine Ausnahmen für Minderjährige und deren Familienangehörige sowie für Menschen mit identifizierbaren Behinderungen vorgesehen. Dass es „nach aktuellem Verhandlungsstand für die allgemeine Ausrichtung zur Krisen-Verordnung auf das deutsche Abstimmungsverhalten ankommen“ würde, war Faeser bewusst. Im Vorfeld hatte sie die Weisung zur Enthaltung auch mit den übrigen Staatssekretären der Ampel und dem „Ressortkreis“ abgestimmt.

Von der Leyen befürchtet Scheitern der Asylreform – und rechtsextreme Triumphe bei EU-Wahlen

Die Ereignisse von Lampedusa und der Zeitpunkt der Sitzung des JI-Rates haben jedoch eine zunehmende Dynamik in die Angelegenheit gebracht. Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen (CDU) selbst hatte einem Bericht des Botschafters zufolge die fehlende Einigung beklagt.

Sie bezeichnete es auch als „besorgniserregende Situation“, dass das EU-Parlament vor diesem Hintergrund auf seine Weise reagiert hatte. Das zuständige Verhandlungsteam hatte Verhandlungen über andere Teile der geplanten Asylreform blockiert, um Druck bezüglich einer Einigung auszuüben.

Das Treffen des JI-Rats am Donnerstag gilt als die letzte Chance, das Asylpaket noch vor den EU-Wahlen im Juni 2024 in Kraft zu setzen. In Brüssel befürchtet man, dass ein Scheitern einen noch nie da gewesenen Erfolg rechtsextremer Parteien zur Folge haben könnte.

Dass an der Krisenverordnung noch wesentliche Teile verändert werden würden, erwarten Beobachter nicht. Ländern wie Polen oder Ungarn gehen deren Bestimmungen immer noch nicht weit genug.

Abkommen mit Tunesien „noch gar nicht richtig in Kraft“

Faeser will im Übrigen noch nicht von einem Scheitern des Abkommens zur Verhinderung irregulärer Migration mit Tunesien sprechen. Im Juli hatte Kommissionspräsidentin von der Leyen ein solches verkündet und diesem Vorbildcharakter für weitere mögliche Vereinbarungen zugesprochen. Trotzdem waren in den vergangenen beiden Wochen knapp 10.000 Bootsflüchtlinge von Sfax aus aufgebrochen und im italienischen Lampedusa angekommen.

Die Bundesinnenministerin erklärte nun, das Abkommen mit Tunesien sei „doch noch gar nicht richtig in Kraft. Da fließen jetzt die ersten Gelder aus der EU.“ Man setze jedoch darauf, dass „die Vereinbarung dann wirkt“. Brüssel hatte dem nordafrikanischen Land Finanzhilfen in Höhe von insgesamt 900 Millionen Euro zugesagt – 105 Millionen davon sollen der Verhinderung von irregulärer Migration dienen.

(Mit Material von dpa)



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