Boris Palmer in Ungarn: „Es ist gefährlich, bei Ihnen zu Gast zu sein“
Es war eine Begegnung der überraschenden und der herausfordernden Art: Der frühere Grünen-Politiker Boris Palmer besuchte das konservative „Mathias Corvinus Collegium“ (MCC) in Budapest. Palmer hielt einen Vortrag mit dem Titel „Über die grüne Grenze hinaus“, den gut hundert Zuhörer verfolgten.
Vor Ort begegneten sich die unterschiedlichen Seiten des politischen Spektrums friedlich. Palmer, der von der dem Ministerpräsidenten Viktor Orbán nahestehenden Organisation eingeladen worden war, kam am 5. September nach Budapest.
Da die Grünen ihn kürzlich wegen seiner Äußerungen ausgeschlossen haben, schien Boris Palmer eine ideale Wahl für die ungarischen Konservativen zu sein: Ein spannender Gesprächspartner war zu erwarten.
Allein unter Konservativen
Boris Palmer, der seit 16 Jahren Oberbürgermeister von Tübingen ist, hat sich vor allem durch Grünen-Maßnahmen einen Namen gemacht. Zudem steht er häufig der deutschen Flüchtlingspolitik kritisch gegenüber und verwendet provokante Formulierungen.
Allerdings überraschte er die ungarischen Zuhörer: Er erwies sich in erster Linie als harter Kritiker der ungarischen Führung. Sein Vortrag war zudem provokativ-herausfordernd gegenüber der Organisation, die ihn eingeladen hatte. Er wirkte eher kämpferisch gegenüber den wichtigsten ungarischen Regierungsmaßnahmen der letzten Jahre.
Palmer fragte beispielsweise:
Will Ungarn wirklich ein Staat sein, der denjenigen, die nach einem rechtsstaatlichen Verfahren wegen politischer Verfolgung oder Krieg Anspruch auf Asyl haben, überhaupt nicht hilft?“
In der Tat stand der Politiker mit seinen politischen Ansichten sozusagen fast allein im Club, wo seine Rede mit gedämpften Reaktionen empfangen wurde. Bei der Podiumsdiskussion wurde Palmer jedoch „doch nicht mit Eiern beworfen“, wie er nach einigen kritischen Sätzen scherzhaft anmerkte.
„Würde es Ungarn wirklich überfordern …?“
Boris Palmer führte zum Auftakt seiner Rede ein Gegenkonzept zu Orbán ein. Dazu erzählte er die Erfolgsgeschichte eines 29-jährigen syrischen Flüchtlings. In acht Jahren schaffte Ryyan Alshebl den Sprung von der Balkanroute ins Bürgermeisteramt von Ostelsheim. Wenn es nach Orbáns Politik gegangen wäre, „hätte ihm ein Zaun den Weg nach Europa versperrt“. Deutschland hingegen messe mit einer gewissen Doppelmoral, wenn es um Flüchtlinge geht, so Palmer.
Bevor die Stimmung völlig kippte, fügte er hinzu, dass „die amtierende ungarische Regierung zweifellos ein echtes demokratisches Mandat hat. Sie vertritt Ansichten, die in einem kleinen Land mit einer besonderen Geschichte und Sprache durchaus erklärbar und respektabel sind.“
Auf eine Frage der Epoch Times erwiderte der Tübinger Oberbürgermeister, dass er sich glücklich fühle, sich nicht mit der Grenzsicherung befassen zu müssen. Er möge sich nicht wirklich in die Lage Orbáns versetzen. Was er vor allem aber nicht verstehe, sei, warum die Ungarn die neue EU-Initiative zur EU-Flüchtlingspolitik nicht unterstützen würden.
Der Migrationspakt sei ein Zeichen dafür, dass die EU „nach all der Zeit endlich, mit der ungarischen Auffassung übereinstimmt. Sie meinen nun auch, dass wir eine wirksame Grenzkontrolle brauchen.“
„Warum sollte also ein auf Solidarität basierender Verteilungsmechanismus – der die Aufnahme von einigen Tausend anerkannten Flüchtlingen in Ungarn erfordert – für die ungarische Regierung ausreichen, um das gesamte Abkommen abzulehnen?“, fragte er.
Immerhin, so Palmer, müsste Ungarn im Rahmen des neuen Paktes nur 3.000 Menschen verpflichtend Schutz gewähren. Auf die Schätzungen der ungarischen Regierung, bei denen diese Anzahl weitaus höher lag – in der Größenordnung von etwa 30.000 Menschen – ging er nicht ein.
Palmer kritisierte auch offen die Korruption in Ungarn und dem laufenden EU-Rechtsstaatlichkeitsverfahren gegen das Land. Jedoch freue er sich auf die Gelegenheit zum Dialog in diesem Club, betonte er.
„Warum lassen sie zu, dass gefährliche Verschwörungstheorien verbreitet werden?“
Palmer zufolge gab es einen Moment, in dem er tatsächlich überlegte, ob er tatsächlich zu dieser Veranstaltung kommen sollte. Das war, als er in der „Budapest Times“ vom 24. August einen Artikel über den Auftritt des amerikanischen Journalisten Tucker Carlson an gleicher Stelle las. Carlson trat ebenfalls im „Mathias Corvinus Collegium“ auf.
Der Journalist wurde dort mit provokanten Worten zitiert. „Die USA sabotiere die Energieversorgung Deutschlands, die Biden-Administration habe die Nord-Stream-Pipelines gesprengt“, heißt es. Carlson sagte außerdem, dass die Deutschen in der Zwischenzeit „nicht in der Lage seien, für ihre Interessen einzutreten“.
Palmer kritisierte offen den Club, der ihn eingeladen hatte, dafür, dass er solchen „Unsinn“, solche „Verschwörungstheorien“, so eine „Verrücktheit“ und diesen „gefährlicher Blödsinn“ von einem seiner Gäste unkommentiert zulasse.
Außerdem fügte er hinzu, dass das MCC demzufolge offensichtlich nicht „als etwas anderes als ein rechtsextremer Ort“ angesehen werden sollte. Und in der Tat habe er sich nun selbst in besondere Gefahr begeben, indem er eine Einladung an einen „solchen Ort“ angenommen habe. Palmer erklärte:
Es gibt einen hohen Preis zu zahlen, wenn man sein Gesicht hier zusammen mit Ihnen zeigt. Zumindest ist mit einem erheblichen Reputationsschadenreaktion zu rechnen.“
Zum Thema ungarisch-deutsche Freundschaft sagte der deutsche Oberbürgermeister, der inzwischen in ruhigere Gewässer ruderte, dass die Differenzen zwischen Ungarn und Deutschland immerhin „eine Chance sein können, andere Standpunkte zu betrachten. Sie helfen dabei, die eigene Position zu hinterfragen und zu lernen. Auch die realpolitische Perspektive spricht dafür.“
Über die grüne Grenze hinaus
Nachdem Palmer sowohl die Regierung als auch den Club, der ihn eingeladen hatte, unverblümt kritisiert hatte, ging er auf den Titel seiner Rede ein.
Die Grenze, auf die er sich im Titel bezog, sei in erster Linie „eine mentale Grenze“: nämlich die Grenze zwischen zwei Denkschulen. Eine davon werde von seiner ehemaligen Partei, den Grünen, vertreten. Die andere Denkschule sei die, welche die ungarische Regierung vertrete.
Für die deutschen Grünen sei ethnische Vielfalt eine gute Sache und ein Wert an sich. Nach dieser Auffassung seien „nationalstaatliche Grenzen immer weniger geeignet, um den Herausforderungen der Menschheit gerecht zu werden“, so Palmer.
Für Nationen, die in letzter Zeit nur wenig Zuwanderung erfahren haben, sei die Öffnung für Migration jedoch ein schwieriges Thema. Es sei natürlich „eine Angelegenheit, die jede Nation für sich selbst diskutieren muss“. Denn es gehe um die Frage, „wer wir sind und wer wir sein wollen“.
Er merkte an: „Genauso wie ich glaube, dass Menschen ihre sexuelle Identität frei von Unterdrückung leben können, glaube ich auch, dass es legitim ist, wenn eine Gesellschaft die Haltung einnimmt, dass sie nicht der Vielfalt als Leitprinzip folgen will, sondern an einer historisch bedingten Gemeinschaft festhält, solange es möglich erscheint.“
Der Kern Palmers Botschaft war schließlich, dass es sich lohne, diese intellektuelle Grenze zu überschreiten – um zu erfahren, was auf der anderen Seite ist.
Palmers Botschaft: Aufruf zu einem Dialog
„Ersetzen wir die gegenseitige Verurteilung des anderen durch einen echten und unvoreingenommenen Gedankenaustausch“, betonte Palmer am Ende seiner Rede.
Auf der Seite der grünen Grenze wäre es „gut für die Gesellschaft, eine ernsthafte Diskussion zu führen. Und zwar über die skeptische Haltung gegenüber der Migration und die realen Probleme mit vielen Einwanderern“.
Und: „Jenseits dieser theoretischen grünen Grenze wäre es genauso gut zu diskutieren. Über Themen, wie die realen Schwierigkeiten von Krieg und Verfolgung. Aber auch über die Leistungen flüchtlingsfreundlicher Gesellschaften“, erklärte Palmer mit Blick auf die Seite der konservativen Ungarn.
Seine Worte wirkten wie eine Art Reaktion auf die Offenheit des Gastgebers MCC.
Auch die von Palmer erwähnte Gefahr war real – schon vor seiner Ankunft in Budapest wurde er in der Presse für seine Teilnahme an der Diskussion bei der MCC heftig kritisiert.
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