Biden erlaubt Langstreckenwaffen gegen Russland – Selenskyj: „Raketen werden für sich selbst sprechen“
Nach langem Zögern haben die USA der Ukraine grünes Licht für den Einsatz weiter reichender Waffen gegen Russland gegeben. Dies sagte ein US-Vertreter der Nachrichtenagentur AFP.
Der US-Vertreter bestätigte damit Berichte von US-Medien, wonach Präsident Joe Biden bislang geltende Beschränkungen für an die Ukraine gelieferte Waffen aufgehoben hat. Während Polen den Strategiewechsel der USA begrüßte, reagierte der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj zurückhaltend.
ATACMS erlaubt
Den Medienberichten zufolge änderte Biden seine Haltung, nachdem bekannt wurde, dass Russland nordkoreanische Truppen in der russischen Grenzregion Kursk stationiert hat. Laut „New York Times“ erlaubte Biden erstmals den Einsatz von Raketen des Typs ATACMS, um die ukrainische Armee in der Region Kursk zu unterstützen.
Die Waffen dürften zunächst eingesetzt werden, um die ukrainischen Streitkräfte in der Region Kursk gegen russische und nordkoreanische Truppen zu unterstützen, berichtete die Zeitung unter Berufung auf US-Regierungsvertreter.
Die polnische Regierung befürwortete die Entscheidung. Biden habe auf die Entsendung nordkoreanischer Truppen nach Russland und die massiven russischen Raketenangriffe auf die Ukraine am Sonntag „in einer Sprache geantwortet, die (der russische Präsident) Wladimir Putin versteht“, schrieb Polens Außenminister Radoslaw Sikorski im Onlinedienst X. „Das Opfer einer Aggression hat das Recht, sich zu verteidigen“, fügte er hinzu.
Selenskyj: „Raketen werden für sich selbst sprechen“
Selenskyj reagierte zurückhaltender. In einer Videobotschaft verwies er auf die Bedeutung des Einsatzes von Langstreckenwaffen im Verteidigungskrieg gegen Russland. „Heute gibt es viele Medienberichte, dass wir die Erlaubnis erhalten haben, angemessene Maßnahmen zu ergreifen“, sagte er. „Aber Angriffe werden nicht mit Worten ausgeführt. Solche Dinge werden nicht angekündigt. Die Raketen werden für sich selbst sprechen.“
Biden ist nur noch wenige Wochen im Amt, am 20. Januar wird der wiedergewählte Ex-Präsident Donald Trump vereidigt. Er hat sich bereits im Wahlkampf gegen Waffenlieferungen an die Ukraine ausgesprochen.
Die Ukraine versucht ihre westlichen Partner seit Langem dazu zu bewegen, dem Einsatz westlicher Langstreckenwaffen für Angriffe auf Russland zuzustimmen. Kiew argumentiert, der Einsatz dieser Waffen könnte das Kriegsgeschehen maßgeblich zu Gunsten der Ukraine beeinflussen.
Russlands Präsident Wladimir Putin hatte gewarnt, Moskau würde dies als Kriegseintritt der NATO-Länder betrachten.
Von Berlin fordert Kiew Taurus-Marschflugkörper
Von Deutschland fordert Selenskyj schon lange Taurus-Marschflugkörper. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) lehnt dies bisher ab und begründet es mit einer drohenden Eskalation mit Russland.
Der frisch gekürte Grünen-Kanzlerkandidat Robert Habeck würde nach eigenen Angaben als Regierungschef Taurus-Marschflugkörper an die Ukraine liefern.
Die Entscheidung von Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD), Kiew diese Waffen nicht zur Verfügung zu stellen, würde er revidieren, sagte Habeck am Sonntag der ARD. Gleichwohl gehörten Waffenlieferungen immer zu den „schwersten Entscheidungen“, die in Regierungsverantwortung zu treffen seien, betonte Habeck.
Eine erneute Taurus-Abstimmung noch vor der vorgezogenen Bundestagswahl hatte zuvor FDP-Fraktionschef Christian Dürr ins Spiel gebracht. „Ich kann mir durchaus vorstellen, wenn ich mir die Aussagen von Union und Grünen anschaue, dass so ein Antrag Erfolg haben könnte“, sagte Dürr der „Neuen Osnabrücker Zeitung“ vom Samstag.
Ein erfolgreicher Antrag im Bundestag hätte allerdings keine bindende Wirkung. Über die Lieferung einzelner Waffengattungen entscheidet nicht das Parlament, sondern der Bundessicherheitsrat – und letztlich der Bundeskanzler, der dem Gremium vorsteht.
Heftiger Luftangriff am Wochenende
Russland hatte die Ukraine in der Nacht zum Sonntag erneut mit massiven Luftangriffen überzogen, die sich insbesondere gegen die Energieinfrastruktur richteten. Elf Zivilisten wurden dabei getötet. Bei einem Angriff am Sonntagabend in der nordöstlichen Stadt Sumy wurden nach Behördenangaben zehn weitere Menschen getötet, unter ihnen zwei Kinder.
Moskau habe rund 120 Raketen und 90 Drohnen auf die Ukraine abgefeuert, teilte Selenskyj mit. Dabei seien die Hauptstadt Kiew und weitere Regionen im Süden, Zentrum und Westen des Landes ins Visier genommen worden. Rund 140 Geschosse seien von der Luftabwehr abgeschossen worden.
Nach den Worten von Außenminister Andrij Sybiha war es einer der bisher „heftigsten Luftangriffe“ Russlands seit Kriegsbeginn. Aufgrund der entstandenen Schäden werde am Montag die Stromversorgung landesweit eingeschränkt, teilte der staatliche Betreiber des Stromnetzes, Ukrenergo, mit.
Durch die dauerhaften russischen Angriffe wurde in der Ukraine nach Angaben von Präsident Selenskyj bereits die Hälfte der Kapazitäten zur Energieproduktion zerstört.
Polen ließ Kampfjets aufsteigen
Die erneuten russischen Angriffe am Sonntag galten auch Zielen im Südwesten der Ukraine. Unter anderem wurde die Region Transkarpatien angegriffen, die weit entfernt von der Front an der Grenze zu Polen, der Slowakei und Ungarn liegt. Die Regierung in Warschau ließ deshalb Kampfjets aufsteigen.
Der polnische Regierungschef Donald Tusk erklärte später im Onlinedienst X, die massiven Angriffe zeigten, dass „Telefondiplomatie“ Putin nicht stoppen könne und die Ukraine weiter „wirklich“ unterstützt werden müsse.
Bundeskanzler Scholz verteidigte indes sein kürzlich geführtes Telefonat mit Putin. Es sei wichtig, dem russischen Präsidenten klarzumachen, „dass er nicht damit rechnen darf, dass die Unterstützung Deutschlands, Europas und vieler anderer in der Welt für die Ukraine nachlassen wird“, sagte der Kanzler.
Scholz hatte am Freitag erstmals seit fast zwei Jahren mit Putin telefoniert, dies war sowohl von Oppositionspolitikern in Deutschland als auch von der Regierung in Kiew scharf kritisiert worden. (afp)
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