Beruhigen, beschreiben, beschwören: Obama bleibt sich treu
Und das waren die Botschaften von Barack Obama:
Erstens: Vater der Nation: ja. Ihr Kriegsherr: nein. Widersteht aller Diskriminierung, dieser Tage vor allem der von Muslimen. Bleibt friedlich miteinander. Glaubt nicht an vermeintlich einfache Lösungen. US-Bodentruppen in Syrien: nicht mit mir, stattdessen mehr Anstrengungen der Anti-IS-Koalition.
Zweitens: Ja, die 14 Toten von San Bernardino sind Terroristen zum Opfer gefallen. Aber: Fürchtet Euch nicht. Wir, die USA, werden den Islamischen Staat zerstören. Vorsicht, Technik, bessere Kontrollen und viel weniger Waffen: Mit diesem Mix aus Maßnahmen werden wir obsiegen.
Die Rede eines US-Präsidenten aus dem Oval Office, sie ist trotz aller Veränderungen im weltweiten Machtgefüge noch immer eines der mächtigsten Symbole der Politik. Von diesem Zimmer aus wurden die Kubakrise erklärt, die Anschläge des 11. September gedeutet, die Explosion der Challenger betrauert, das Ende der Kampfhandlungen im Irak verkündet.
Als am Sonntagabend das jüdische Lichterfest Chanukka beginnt, schreibt Barack Obama keine Geschichte. Weil er es nicht will. Es widerstrebt ihm zutiefst, sich zum Krieger machen zu lassen. Der kreischenden Rhetorik seiner Gegner gibt er kein Jota zu. Ein Anwalt der Gleichberechtigung will er sein, des Ausgleichs und Dialogs.
Die Frage ist nur, ob das noch reicht. Oder passt. Sofort nach der Rede ätzt Donald Trump: „Ist das alles, was er zu bieten hat?“ In Interviews und sozialen Netzwerken überschlug sich die breite Reihe der republikanischen Präsidentschaftsbewerber in der Nacht zum Montag förmlich: Nichtssagend sei das gewesen, diffus, altbekannt, ein unfähiger Präsident, die USA seien im Krieg.
Am Montag bleibt der Chor der Republikaner in seltener Harmonie bei seinem „Das-reicht-so-nicht“-Grundmotiv in Moll. In den großen Zeitungen und Sendern sind die Reaktionen verhalten, wird der Mangel an Neuigkeiten kritisiert, die Rede selbst als wichtiges Zeichen bejaht, das aber dann zu wenig konturiert geblieben sei.
Und Hilary Clinton, die Obama im November so gerne ins Amt folgen möchte, schweigt zu der Rede lange sehr laut.
Obama ist seiner Linie zu 100 Prozent treu geblieben. Keine andere oder erweiterte Strategie, keine neuen Forderungen oder Bitten an den republikanerdominierten Kongress. Die Rede sollte Regierungshandeln darlegen, Erfolge darstellen und vor allem beruhigen. Und doch wirkt der Präsident, als wäre er das alles auch so ein bisschen leid.
Dabei ist das Land tatsächlich verstört. Unter den vielen, die nach San Bernardino tatsächlich Parallelen zum 11. September 2001 ziehen, sind auch vorsichtige und kluge Leute. Die Attacke von Südkalifornien war wie ein Streichholz. Nun geht ein reich gefülltes Tanklager hoch.
Rechte Hetze, echte Ängste, berechtigte Sorgen, Millionen über Nacht zu Verdächtigen erklärte Muslime, sachliche Bitten um Erklärungen, Forderungen nach mehr Waffen für jeden – das Alles verschmilzt zu einem US-Amalgam, das vieles nicht mehr zulässt: ehrliche Kompromisse, faire Debatten, das Bemühen um Ausgleich und intellektuelle Tiefe.
Es war dies erst die dritte Rede Obamas an die Nation aus dem Oval Office. Der 44. Präsident der Vereinigten Staaten ist dafür bekannt, dass er diese Anlässe nicht besonders mag und nur sucht, wenn es gar nicht mehr anders geht. Und er kann auch andere Sachen besser.
Diesmal spiegelte sich kein steif sitzender Obama im hochpolierten, bekanntesten Schreibtisch der Welt. Er muss sich zumindest leicht bewegen können, seine Hände einsetzen, sonst wirkt dieser hochbegabte Redner hölzern und unbehaglich. Also fiel die Wahl auf ein kurzerhand vor den Schreibtisch hingestelltes Pult.
Der Präsident beschwört sein Volk. Den Ausgleich, die Stärke der Gemeinsamkeit. „Wir dürfen uns nicht gegeneinander wenden!“ Ja, die Terrorgefahr sei real, San Bernardino Teil einer neuen Phase des Terrorismus. „Aber wir werden sie überwinden.“ Die Mörderbanden des Islamischen Staats, sie sprächen nicht für den Islam insgesamt.
„Frieden ist stärker als Furcht“, schließt Obama seine Rede – aber damit hat er mindestens hirnphysiologisch unrecht: Angst ist eines der stärksten Motive überhaupt. Das weiß auch ein Donald Trump, nur in diesem Klima gedeiht seine Kampagne. Ein Terrorangriff war so ungefähr das Letzte, was dieser Wahlkampf noch gebraucht hat.
Obama dürfte für sein letztes Jahr anderes vorgehabt haben als die vergifteten Brunnen seines Landes zu putzen. So konsequent nun die Rede an die Nation gewesen sein mag – sie wird sofort eingeschmolzen werden in der Glut des Wahlkampfs.
(dpa)
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