Berichte über Kriegsgräuel in Butscha – Lawrow sieht Sabotage der Verhandlungen
Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj fordert wegen der Kriegsgräuel von Butscha noch härtere Sanktionen des Westens gegen Russland. Diese müssten der Schwere der „Kriegsverbrechen“ angemessen sein, sagte Selenskyj.
Die US-Regierung befürchtet die Entdeckung weiterer Untaten und plant bereits weitere Strafmaßnahmen gegen Moskau, darunter ein Investitionsverbot. Europa erwägt einen Importstopp für Kohle und damit erstmals ein Teilembargo gegen russische Energie.
Nach dem Rückzug russischer Truppen aus dem Gebiet nordwestlich der ukrainischen Hauptstadt Kiew hatten Aufnahmen von Leichen auf den Straßen des Vororts Butscha international für Entsetzen gesorgt. Die Ukraine macht russische Truppen für die Gräueltaten verantwortlich. Moskau bestreitet die Vorwürfe und spricht von einer Inszenierung.
Zeitung veröffentlicht Videoaufnahme
Die „New York Times“ veröffentlichte in der Nacht von ihr verifizierte Videoaufnahmen, die tödliche Schüsse russischer Soldaten auf einen Zivilisten in Butscha belegen sollen. Das ukrainische Video stamme von Ende Februar – kurz nach dem russischen Angriff auf die Ukraine. Die Militärverwaltung von Hostomel – eines Nachbarorts von Butscha – erklärte laut lokalen Medien, dort würden nach der russischen Besatzung rund 400 Bewohner vermisst. Mehrere Bewohner von Hostomel seien auch in Butscha gefunden worden.
Aus Sicht der US-Regierung sind die Gräueltaten von Butscha womöglich nur „die Spitze des Eisbergs“. In Gebieten in der Ukraine, zu denen es noch keinen Zugang gebe, hätten russische Truppen „wahrscheinlich auch Gräueltaten begangen“, sagte Regierungssprecherin Jen Psaki.
Der französische Präsident Emmanuel Macron sagte nach einem Gespräch mit dem ukrainischen Staatsoberhaupt Selenskyj Unterstützung für die Aufklärung der Gräueltaten zu, unter anderem in Form einer Sonderzahlung an den Internationalen Strafgerichtshof. In dem Telefonat redeten die beiden Präsidenten auch über Vergewaltigungen, die russische Soldaten in der Ukraine begangen haben sollen, wie es aus der französischen Regierung hieß.
Wieder Explosionen in Lwiw
Selenskyj sagte in einer in der Nacht verbreiteten Videobotschaft, die ukrainischen Streitkräfte hielten die meisten Gebiete, in die Russland versucht habe vorzudringen. Am schwierigsten sei die Lage im Donbass und im Gebiet Charkiw im Osten des Landes. Russland sei zudem dabei, mehr Truppen für eine neue Offensive in die Ukraine zu schicken. Ukrainische Medien berichteten in der Nacht über Explosionen in den Gebieten Lwiw (Lemberg) im Westen und Dnipropetrowsk im Südosten des Landes. Informationen über Opfer oder Schäden gab es aber vorerst nicht.
Am Dienstag war es nach Angaben aus Kiew gelungen, 3800 Menschen aus umkämpften Gebieten zu retten, darunter rund 2200 Menschen aus der größtenteils zerstörten Stadt Mariupol und dem nahen Berdjansk. Das russische Verteidigungsministerium meldete laut Agentur Tass, binnen 24 Stunden seien mehr als 18.600 Menschen aus „gefährlichen Bezirken“ der Ukraine, der Region Luhansk und Donezk gerettet worden. Zugleich kündigte das Verteidigungsministerium weitere Gefechte um Mariupol an, da die Ukraine Aufforderungen zum Abzug ignoriere.
Lawrow: Sabotage der Verhandlungen mit Russland
Russlands Außenminister Sergej Lawrow warnte die Ukraine vor einer Sabotage der Verhandlungen zwischen Moskau und Kiew für ein Ende der Kämpfe. Russland werde sich nicht auf ein „Katz-und-Maus-Spiel“ einlassen wie in den vergangenen Jahren bei dem Friedensplan für die Ostukraine, sagte Lawrow in einem von seinem Ministerium verbreiteten Video. Er meinte zudem, die Lage in Butscha werde benutzt, um von den Verhandlungen abzulenken.
USA: Werden alle Investitionen in Russland verbieten
Der Westen bereitet wegen der Kriegsgräuel neue Strafmaßnahmen gegen Moskau vor. US-Regierungssprecherin Psaki sprach nicht nur von einem Verbot aller neuen Investitionen in Russland. Zudem sollen bestehende Sanktionen gegen russische Banken und staatliche Unternehmen verschärft und weitere Personen aus der russischen Führung und deren Familienmitglieder mit Strafmaßnahmen belegt werden. Die Sanktionen würden in enger Abstimmung mit den Partnern in Europa und den übrigen Staaten der G7-Gruppe eingeführt.
Die EU-Kommission hatte am Mittwoch erstmals auch einen Importstopp für russische Kohle vorgeschlagen. Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck signalisierte Zustimmung, obwohl sich Deutschland bisher aus Furcht vor wirtschaftlichen Turbulenzen gegen ein sofortiges Embargo gegen russische Energieimporte gewandt hatte.
Auch der Bundesverband der Deutschen Industrie stellte sich hinter neue Sanktionspläne. „Die Gräueltaten in Butscha verlangen nach einer entschiedenen, unmissverständlichen Reaktion des Westens“, sagte BDI-Präsident Siegfried Russwurm der Deutschen Presse-Agentur. Die Umsetzung eines Kohleembargos sei aber nicht einfach.
Klingbeil: Weitere Waffenlieferungen an Ukraine prüfen
SPD-Chef Lars Klingbeil sprach sich für ein Kohleembargo aus und kündigte an, die Bundesregierung werde auch weitere Waffenlieferungen an die Ukraine prüfen. „Wir haben gerade in diesen Tagen gesehen, was Putin für ein furchtbarer Kriegsverbrecher ist, das darf nicht ohne Konsequenzen bleiben“, sagte Klingbeil in der Sendung „RTL Direkt“ am Dienstagabend. Es müsse in großem Tempo geprüft werden, was noch geliefert werden könne.
Die USA haben der Ukraine derweil weitere 100 Millionen Dollar (91,3 Mio Euro) für Waffen bewilligt. Damit könne der dringende Bedarf Kiews an panzerbrechenden Waffen gedeckt werden, teilte US-Außenminister Antony Blinken mit. Er bekräftigte zugleich die weitere Unterstützung der USA für die Souveränität und territoriale Gesamtheit der Ukraine.
Das wird heute wichtig
Der Bundestag debattiert über die Gräueltaten von Butscha. Davor wird Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) vom Parlament befragt.
Abends kommen die Außenminister der 30 Nato-Staaten in Brüssel zusammen. Es geht unter anderem um eine Verstärkung der Nato-Ostflanke. Dafür warb bereits der US-Generalstabschef Mark Milley im US-Kongress. Russland lehnt dies kategorisch ab. (dpa/red)
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