Russisches Rechtshilfeersuchen im Fall Nawalny in Berlin eingegangen

Im Fall des mutmaßlich vergifteten russischen Oppositionspolitikers Alexej Nawalny hat die russische Justiz einem Medienbericht zufolge ein Rechtshilfeersuchen an die deutschen Behörden gestellt.
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Die Charité in Berlin.Foto: iStock
Epoch Times30. August 2020

Laut einem Bericht der „Welt am Sonntag“ bestätigte das Bundesjustizministerium den Eingang eines Antrags des russischen Generalstaatsanwalts, in dem dieser um die Übermittlung von Analysen und vorläufigen Diagnosen bat. Nawalny war vor gut einer Woche mit Vergiftungssymptomen aus einer Klinik im sibirischen Omsk in die Berliner Charité verlegt worden. Er liegt dort auf der Intensivstation im künstlichen Koma.

Die Berliner Ärzte gehen von einer Vergiftung Nawalnys durch eine „Substanz aus der Wirkstoffgruppe der Cholinesterase-Hemmer“ aus. Nawalnys Umfeld vermutet, dass staatliche Stellen hinter dem mutmaßlichen Giftanschlag stecken könnten. Nawalny gilt als der gefährlichster Widersacher von Staatschef Wladimir Putin.

Kreml wirft deutschen Ärzte „voreilige“ Schlussfolgerungen vor

Der Kreml sieht dagegen keine Belege für eine Vergiftung des scharfen Kritikers von Präsident Wladimir Putin und hat den deutschen Ärzten „voreilige“ Schlussfolgerungen vorgeworfen. Am Donnerstag hatte die russische Polizei routinemäßig Vorermittlungen eingeleitet.

Die „Welt am Sonntag“ zitierte einen ehemaligen ranghohen Mitarbeiter des Bundesnachrichtendienstes (BND) mit der Einschätzung, dass ein Giftanschlag auf einen so einflussreichen Politiker wie Nawalny „nicht ohne Zustimmung des russischen Präsidenten Wladimir Putin“ hätte geschehen können. Der russische Geheimdienst FSB habe Nawalny observiert. Es sei „schwer vorstellbar, dass der FSB nicht weiß, wer für die Vergiftung verantwortlich ist. Der Fall zeigt, dass der Kreml immer unverfrorener agiert.“

Der frühere Chef des britischen Geheimdienstes GCHQ, David Omand, mahnte in der Zeitung dagegen Vorsicht bei der Bewertung des mutmaßlichen Giftanschlags an. Es sei „zu früh, um zu erklären, wer die Verantwortung trägt. Nawalny hat zweifellos viele Feinde außerhalb und innerhalb des Kremls“, sagte der 73-Jährige.

Zur Wirkstoffgruppe der Cholinesterase Hemmer gehören neben einigen Medikamenten und Insektiziden auch Nervengifte wie Nowitschok oder Sarin. Nowitschok war beim Anschlag auf den russischen Ex-Doppelagenten Sergej Skripal und seine Tochter Julia 2018 im englischen Salisbury eingesetzt worden.

Forensiker überrascht

Der forensische Toxikologe Thomas Daldrup ist überrascht, dass die Diagnose zur Vergiftung des Kreml-Kritikers Alexei Nawalny mit einer „Substanz aus der Wirkstoffgruppe der Cholinesterase-Hemmer“ nicht bereits in Omsk gestellt wurde, wo Nawalny zunächst notbehandelt wurde.

„Ärzte sollten die Symptome kennen: Krämpfe, Speichelfluss, feuchte Haut, enge Pupillen“, sagte Daldrup, der lange an der Düsseldorfer Heinrich-Heine-Universität lehrte und auch Sachverständiger in Strafprozessen war, dem Nachrichtenportal T-Online. Nicht nur, dass diese Symptome bei Nawalny zu beobachten gewesen seien, ein Test zur Bestimmung der Aktivität der Cholinesterase sei zudem Routine.

„Das als Insektizid verwendete E-605 oder Parathion ist ein Cholinesterase-Hemmer“, so Daldrup. Bis in die Achtziger Jahre sei es ein häufig verwendetes Mord- und Suizidmittel gewesen, nicht nur in Deutschland. Auch zu Unfällen damit kam es regelmäßig. Da dieses Risiko auch weiterhin bestehe, sollte laut Daldrup das Gegenmittel Atropin in jedem Krankenhaus vorrätig gehalten werden. Zur gleichen Wirkstoffgruppe wie E-605 zählen laut Daldrup auch noch stärkere Nervengifte wie Nowitschok, VX oder Sarin.

„Nowitschok und Sarin weisen eine wesentliche höhere Potenz als Parathion auf.“ Allen Giften sei gemein, dass sie ein Enzym blockieren, welches zur Muskelentspannung durch Abbau von Acetylcholin dient. „Die Stoffe können oral aufgenommen werden, aber auch über den Kontakt mit der Haut. Kampfstoffe werden überwiegend als Aerosol in der Luft verteilt und von den Opfern eingeatmet.“

Welches Mittel im Fall Nawalny zur Anwendung kam, ist unklar. Die verzögerte Diagnose im Fall Nawalny erschwere vermutlich die Behandlung, sagte Daldrup dem Nachrichtenportal. Nawalny war am Donnerstag während eines innerrussischen Flugs zusammengebrochen und daraufhin zur Notbehandlung ins Krankenhaus im sibirischen Omsk eingeliefert worden. Erst am Samstag durfte er nach Deutschland ausgeflogen werden. „Nun könnten die Nervenschäden und die Schäden des Gehirns schon sehr weit fortgeschritten sein“, sagte Daldrup. „Es dürfte vermutlich eine längere intensivmedizinische Behandlung und Gabe des Antidots Atropin notwendig sein.“

Russische Ärzte weisen Vorwürfe zurück

Die Vorwürfe, sie hätten auf Anweisung Moskaus die Ursache der Erkrankung verschleiert und Nawalny zunächst in ihrem Krankenhaus behalten, um den späteren Nachweis von Gift zu erschweren, wiesen die Mediziner in Omsk zurück: „Wir haben mit niemandem eine Diagnose vereinbart“, sagte Chefarzt Alexander Murachowski. Es sei keinerlei Druck von Außen auf sie ausgeübt worden.

Die russischen Ärzte hatten in ihrer Diagnose eine „Stoffwechselstörung“ als mögliche Ursache für Nawalnys Zusammenbruch genannt. Sie hatten sich zunächst gegen dessen Verlegung nach Berlin gestemmt. (dts/afp/ks)



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