Brandmauer bröckelt: Deutsche Politiker sehen Entwicklung in Österreich als „Warnsignal“

Österreich steht vor einer historischen politischen Wende: FPÖ-Chef Herbert Kickl wurde von Bundespräsident Alexander Van der Bellen mit der Regierungsbildung beauftragt. SPÖ, NEOS und Grüne üben sich in wechselseitigen Schuldzuweisungen. Auch in Deutschland bleibt der Schritt nicht unkommentiert.
Nach einem Treffen von Staatsoberhaupt Alexander Van der Bellen und FPÖ-Chef Herbert Kickl scheinen die Weichen für den ersten FPÖ-Kanzler gestellt .
Nach einem Treffen von Staatsoberhaupt Alexander Van der Bellen und FPÖ-Chef Herbert Kickl scheinen die Weichen für den ersten FPÖ-Kanzler gestellt .Foto: Heinz-Peter Bader/AP/dpa
Von 6. Januar 2025

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In Österreich hat Bundespräsident Alexander Van der Bellen am Montag, 6.1., FPÖ-Chef Herbert Kickl mit der Regierungsbildung beauftragt. Noch unmittelbar nach der Nationalratswahl hatte er dies unterlassen, obwohl die FPÖ die stärkste Partei geworden war. Allerdings hatten sowohl ÖVP als auch SPÖ zum damaligen Zeitpunkt ein Bündnis mit Kickl abgelehnt. Das Scheitern der Koalitionsgespräche von Kanzler Karl Nehammer und dessen Rücktritt hatten jedoch die Ausgangslage drastisch geändert.

Sozialdemokraten und Grüne werfen ÖVP „Wählertäuschung“ vor

SPÖ-Chef Andreas Babler warnt angesichts der Entwicklung vor einem „radikalen Kürzungskurs“. Gleichzeitig erwarte er „Steuergeschenke an die Superreichen“. Verantwortlich für die Situation macht Babler die NEOS und Teile der ÖVP, die „Parteitaktik und Klientelpolitik über die Stabilität unseres Landes gestellt“ hätten. Die SPÖ werde aber die Kraft sein, die „Seite an Seite mit der Bevölkerung steht, unser Land schützt und wieder aufbaut“.

Grünen-Chef Werner Kogler spricht von einer „gigantischen Wählertäuschung“, auf die die derzeitige Entwicklung hinauslaufe. Die ÖVP habe Kickl als „Sicherheitsrisiko“ bezeichnet und erklärt, ihn um jeden Preis als Kanzler verhindern zu wollen. Nun sei sie „bereit, zum eigenen Machterhalt den Steigbügelhalter für Kanzler Kickl zu geben“. Gleichzeitig trügen SPÖ und NEOS „Mitverantwortung für diese Farce“. Es habe „wohl beiden an der notwendigen Kompromissfähigkeit gefehlt“.

Auffallend war, dass Bundespräsident Alexander Van der Bellen gleich von zwei Seiten im Shitstorm steht. Auf X werfen ihm FPÖ-Anhänger vor, den Regierungsauftrag an Kickl zu spät vergeben zu haben. Von links kommen hingegen Vorwürfe, das Staatsoberhaupt habe mit seiner Entscheidung „die Demokratie verraten“.

NEOS: Regierungsbildungsauftrag „unausweichlich“ – FPÖ soll nun zeigen, was sie kann

Die NEOS-Vorsitzende Beate Meinl-Reisinger äußerte auf X, dass ihre Partei nicht Populisten groß gemacht hätte, sondern „die beiden alten Parteien ÖVP und SPÖ, die in einem desaströsen Zustand sind“. Wo Verantwortung für Sparen und Aufschwung vonnöten gewesen wäre, habe es „Besitzstandswahrung, Klientelismus und Retro-Sozialismus“ gegeben.

Ihr Generalsekretär Douglas Hoyos hat den Regierungsbildungsauftrag an Kickl als „unausweichlich“ bezeichnet. Die einzige Alternative wären Neuwahlen gewesen. Es müsse sich nun zeigen, ob Kickl „nun selbst Lösungen zu den vielen von ihm und seiner Partei stets scharf kritisierten Zuständen zuwege bringen wird“.

Habeck warnt vor Auseinanderdriften der Parteien

Auch in Deutschland haben sich einige Politiker zu Wort gemeldet. Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck äußerte im Deutschlandfunk, der Blick nach Österreich zeige, „was passiert, wenn man nicht mehr bündnisfähig ist“. Gemünzt ist die Äußerung vor allem auf die Unionsparteien. Diese waren auf Landes- und zuletzt auch auf Bundesebene auf Distanz zu den Grünen gegangen.

In Sachsen hatte Ministerpräsident Michael Kretschmer schon im Vorfeld der Landtagswahl ein Bündnis mit den Grünen ausgeschlossen. Zuletzt hatte auch Unions-Kanzlerkandidat Friedrich Merz erklärt, die Partei sei „stramm nach links“ gerückt und entferne sich „von jeder Kooperationsmöglichkeit“.

Habeck betonte demgegenüber, dass „demokratische Parteien immer Bündnisse untereinander schließen können müssen“. Dies müsse auch dann gelten, wenn sie in Sachfragen unterschiedliche Positionen vertreten. Es dürfe nicht geschehen, dass „die Parteien sich immer weiter auseinander bewegen“.

Söder: Koalition mit den Grünen hat die FPÖ stark gemacht

Demgegenüber sieht CSU-Chef Markus Söder gerade den Umstand, dass die ÖVP in Österreich mit den Grünen koaliert habe, als wesentlichen Faktor hinter dem FPÖ-Erfolg. Er bewertete die Entwicklung im Nachbarland als „nicht gut“. Sie sei jedoch „grundlegender Impuls zur Bestätigung, dass es einen Richtungswechsel braucht“, äußerte Söder am Montag gegenüber Journalisten.

Derzeit findet in Seeon die Winterklausur der CSU-Landesgruppe statt. Landesgruppenchef Alexander Dobrindt sprach von einem „mahnenden Signal“ an Deutschland. Die Krise nütze den Populisten. Um die politische Stabilität zu erhalten, dürfe man aus dieser keine falschen Schlüsse ziehen. Die Äußerungen aus der CSU und die sich abzeichnende blau-türkise Koalition in Österreich dürften jedoch einen Rückschlag für Befürworter von Schwarz-Grün darstellen.

SPD-Fraktionsvize Achim Post forderte von der CDU eine „klare Abgrenzung“ gegenüber der ÖVP. Österreich sei ein „Lackmustest der konservativen Parteienfamilie, ob sie einen Kuschelkurs mit Rechtsaußen fahren oder eine Partei der demokratischen Mitte sein möchte“.

„Waschechter Antisemit“ und „zusammengebrochene Brandmauer“

Linken-Parteichef Jan van Aken warf den Konservativen vor, diese würden „eher den Rechtsextremen zur Macht“ verhelfen als „auch nur einen Hauch von Sozialpolitik zuzulassen“. In der „Rheinischen Post“ nannte er FPÖ-Chef Herbert Kickl einen „waschechten Antisemiten“. Womit er diese Einschätzung begründet, bleibt offen. In der Coronazeit hatte der FPÖ-Chef Israel eine „Gesundheitsapartheid“ vorgeworfen und sich von sogenannten Impfsternen nicht distanziert.

AfD-Chefin Alice Weidel äußerte, die „von der ÖVP gegen die FPÖ errichtete Brandmauer“ sei zusammengebrochen. CDU und CSU sollten von ihrer ebenfalls abrücken. Die Wähler hätten „für eine solche Ausgrenzungspolitik kein Verständnis“. Wichtig sei eine Regierung, in der „nicht wieder linke Parteien den Ton angeben“. Die ÖVP koaliert derzeit in fünf österreichischen Bundesländern mit der FPÖ. In den Jahren 2000 bis 2006 und 2017 bis 2019 hatte es auch Bündnisse auf Bundesebene gegeben.



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