Baerbock zweifelt an EU-Beitritt der Türkei – Justizfall Imamoğlu sorgt für Spannungen

Die deutsche Außenministerin Annalena Baerbock stellt die Fortsetzung der EU-Beitrittsgespräche mit der Türkei infrage. Grund ist die Inhaftierung von Istanbuls Bürgermeister Ekrem Imamoğlu, die Zweifel an der Rechtsstaatlichkeit des Landes aufkommen lasse. Die Sache ist jedoch komplizierter.
Zehntausende gehen in der Türkei derzeit für Imamoglu auf die Straße.
Zehntausende gehen in der Türkei derzeit für Imamoglu auf die Straße.Foto: Khalil Hamra/AP/dpa
Von 25. März 2025

Deutschlands scheidende Außenministerin Annalena Baerbock hat die Weiterführung des EU-Beitrittsprozess mit der Türkei in Zweifel gezogen. Vor dem Hintergrund der Inhaftierung des Istanbuler Bürgermeisters Ekrem Imamoğlu zog die Ministerin die Rechtsstaatlichkeit des Landes in Zweifel.

Das Bekenntnis der Türkei, am EU-Beitritt festhalten zu wollen, klinge „angesichts des Vorgehens gegen Imamoğlu und andere zunehmend hohl“. Weiter äußerte sie:

Politische Wettbewerber gehören nicht in Haft oder vor Gerichte.“

Vorwurf der Korruption

Imamoğlu, den die oppositionelle Republikanische Volkspartei (CHP) am Sonntag, 23. März, bereits zum Präsidentschaftskandidaten für 2028 kürte, steht im Fokus von Korruptionsermittlungen. Auf der Grundlage dieses Vorwurfs genehmigte der zuständige Ermittlungsrichter den Antrag der Staatsanwaltschaft auf Erlassung eines Haftbefehls.

Der parallel dazu eingereichte Antrag auf Erlassung eines Haftbefehls im Kontext des Vorwurfes der Unterstützung einer terroristischen Vereinigung wurde jedoch abgewiesen. Trotz des in der Türkei zunehmend weit gefassten Terrorismusbegriffs scheint das Gericht wenig Substanz hinter den Anschuldigungen zu sehen. Im Kern standen die Vorwürfe im Kontext von Absprachen mit der Demokratischen Partei der Völker (HDP) im Vorfeld der Bürgermeisterwahlen in Istanbul. Damit soll Imamoğlu deren Einfluss in Istanbul ausgebaut haben.

Die HDP stand regelmäßig im Verdacht, ein politischer Arm der terroristischen PKK zu sein, die seit 1984 einen blutigen Kampf gegen die türkische Regierung führt. Gegen die Partei läuft ein Verbotsverfahren. De facto hat die aus den türkischen Grünen entstandene DEM-Partei ihren Platz im Parteienspektrum eingenommen.

Wer steckt hinter der Jagd auf Imamoğlu?

Die Korruptionsvorwürfe könnten für Imamoğlus politische Ambitionen jedoch noch zum Problem werden. Es wird ihm unter anderem vorgeworfen, ein entsprechendes System innerhalb seiner Stadtverwaltung gekannt und geduldet zu haben. Dabei sollen Geschäftsleute zu ihrerseits nicht geschuldeten Zahlungen genötigt und kommunale Ausschreibungen zum finanziellen Vorteil manipuliert worden sein.

Imamoğlu soll außerdem nach seinem Amtsantritt Vertraute in Schlüsselpositionen der Istanbuler Stadtverwaltung und ihrer Tochtergesellschaften eingesetzt haben. Daraus soll das behauptete Korruptionsnetzwerk entstanden sein. Der Politiker wurde erst im Vorjahr mit deutlicher Mehrheit in seinem Amt bestätigt.

Inwieweit die türkische Regierung unter Präsident Recep Tayyip Erdoğan selbst zur Eskalation des Konflikts beigetragen hat, ist strittig. Es erscheint als möglich, dass die Regierung bei der geplanten Aberkennung des Universitätsdiploms von Imamoğlu Einfluss ausgeübt hat. Ohne akademischen Titel dürfte der Politiker nicht zur Präsidentschaftswahl antreten. Wie das regierungsnahe Format „NEX24“ mitteilt, soll die Korruptionsanzeige gegen den Istanbuler Bürgermeister jedoch aus der eigenen Partei gekommen sein.

Innerparteilicher Machtkampf erschüttert Imamoğlus CHP

Die CHP hatte im Vorjahr überraschend deutlich die Kommunalwahlen in der Türkei gewonnen. Allerdings droht die Partei, ihr neu erlangtes Vertrauen durch innerparteiliche Machtkämpfe zu verspielen. Imamoğlu soll zusammen mit dem neuen Parteichef Özgür Özel 2023 die Abwahl des langjährigen Vorsitzenden Kemal Kılıçdaroğlu organisiert haben.

In dessen Lager hat man mit Imamoğlu deshalb noch eine Rechnung offen. Der ehemalige Bürgermeister von Hatay, Lütfü Savaş (CHP), wirft der neuen Führung vor, durch Stimmenkauf ins Amt gelangt zu sein. Auch der Bündnispartner, die IYI-Partei von Meral Akşener, ist auf Imamoğlu nicht gut zu sprechen.

Sie wirft ihm vor, ihr mehrere Mitglieder ihrer Stadtratsfraktion in Istanbul abgeworben zu haben. Dazu kommen Ambitionen von Imamoğlus Parteifreund, dem Bürgermeister von Ankara, Mansur Yavaş, selbst 2028 für die Präsidentschaft zu kandidieren. Yavaş, der 2013 von der rechtsnationalistischen MHP in die CHP gewechselt war, will vor allem im politischen Lager der sogenannten Idealistenbewegung und unter nationalistisch gesinnten Republikanern um Stimmen werben.

Türkei war zu keiner Zeit eine liberale Demokratie

Die deutsche Außenministerin Baerbock wirbt unterdessen für eine stärkere europäische Ausrichtung des Landes. In geopolitisch stürmischen Zeiten brauche es „eine demokratische und rechtsstaatliche Türkei mit einer starken Zivilgesellschaft“, so Baerbock. Eine solche hätten die Türken „über die letzten 100 Jahre aufgebaut“.

In der Türkei gab es von der Gründung der Republik im Jahr 1923 bis zum Jahr 1946 einen Einparteienstaat. Im Jahr 1960 ereignete sich der erste Militärputsch, der mit der Hinrichtung des gewählten Ministerpräsidenten Adnan Menderes und zweier Minister endete. Weitere Staatsstreiche mit einer Vielzahl an Todesopfern, Fällen von Folter und mehrjährigem Kriegsrecht fanden 1971 und 1980 statt.

Im Jahr 1997 kam es zudem zum „postmodernen Putsch“, wie das „Deutsch Türkische Journal“ schreibt. Dieser führte zu gezielten Schikanen gegen religiöse Bevölkerungsteile und zum Rücktritt der gewählten Regierung. Die Bezeichnung stammt vom türkischen Admiral Salim Dervişoğlu: Die Regierung sei entmachtet worden, ohne dass formal das Parlament aufgelöst, die Verfassung suspendiert oder der Ausnahmezustand verhängt worden wäre. Eine weitere Putschdrohung des Militärs gab es 2007 im Kontext der Präsidentenwahl. Gebrochen wurde die Vormachtstellung der Armee durch die Ergenekon-Prozesse, die 2008 ihren Anfang fanden.

In den 2000er-Jahren erlaubte es der EU-Beitrittsprozess der Regierung Erdoğan, eine Vielzahl der in der kemalistischen Ära etablierten autoritären Praktiken zu beenden. Die Türkei hatte sich anschließend zu einer postsäkularen Republik mit einem historisch hohen Maß an persönlicher und wirtschaftlicher Freiheit entwickelt. Allerdings trugen die als Versuch einer „Farbrevolution“ gewerteten Gezi-Unruhen 2013, der Bruch mit der Gülen-Bewegung, das Wiederaufflammen des Konflikts mit der PKK und der Putschversuch von 2016 zu einem Wiederaufleben autoritärer Verhältnisse bei.



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