Baerbock spricht vom „medizinischen Desaster“ im Gazastreifen
Außenministerin Annalena Baerbock hat sich erschüttert über die humanitäre Not der Menschen im Gazastreifen geäußert und dringend einen besseren Zugang zu medizinischer und humanitärer Hilfe verlangt.
Es müsse „jetzt dringend eine Antwort auf dieses medizinische Desaster geben“, sagte die Grünen-Politikerin am Dienstag im ägyptischen Al-Arisch nach einem Besuch an der Grenze zum Gazastreifen. „Die Krankenhäuser, die es überhaupt noch gibt in Gaza, müssen funktionieren können“, ergänzte die Bundesaußenministerin.
Im Gazastreifen sind nach drei Monaten Krieg 13 der 36 Krankenhäuser teils noch in Betrieb. Palästinenser, die dort nicht behandelt werden könnten, müssten an Orte wie das Krankenhaus in Al-Arisch gebracht werden können, sagte Baerbock. Die noch arbeitenden Krankenhäuser sind mit der großen Zahl an Kriegsopfern völlig überfordert.
3000 Lastwagen stauen sich vor Rafah
Hilfsorganisationen bräuchten auch besseren Zugang, so Baerbock. 3000 voll mit Hilfsgütern beladene Lkw würden sich vor Rafah stauen, um 1,9 Millionen Menschen ein paar Kilometer weiter im Gazastreifen zu versorgen. „Diese Trucks können nicht länger an diesem Flaschenhals hier in Rafah über Tage warten. Wir brauchen einen Grenzübergang, der hier rund um die Uhr funktionieren kann.“
Der Vize-Leiter des UN-Palästinenserhilfswerks UNRWA in Gaza, Scott Anderson, sprach während Baerbocks Besuch von einem „unglaublich schwierigen“ Einsatz. Täglich würden Hilfsgüter von etwa 300 Lkw benötigt. Baerbock übergab fast zehn Tonnen Hilfsgüter an den Ägyptischen Roten Halbmond, darunter Isomatten, Decken, Kinderschlafsäcke und Feldbetten. Über Rafah wird ein Großteil der Hilfslieferungen nach Gaza gebracht.
1,5 Millionen Menschen suchen in Süd-Gaza Schutz
Das UN-Nothilfebüro OCHA warnte unterdessen, dass größere Kämpfe nicht den Süden des Gazastreifens erreichen dürften. Denn in Rafah, wo auf palästinensischer Seite zuvor 280.000 Menschen lebten, suchten inzwischen 1,5 Millionen Menschen Schutz, sagte Gemma Connell, Leiterin des OCHA-Teams in Gaza, bei einem Treffen mit Baerbock. Israels Armee greift inzwischen Ziele im Zentrum und Süden Gazas an, um dort nach eigener Aussage Strukturen der islamistischen Hamas zu zerstören. Schon jetzt gebe es in Rafah jede Nacht Luftangriffe, sagte Connell.
Nach einem Treffen mit ihrem ägyptischen Amtskollegen Samih Schukri forderte Baerbock in Kairo neue humanitäre Feuerpausen, auch um die noch etwa 130 Geiseln in Gewalt der Hamas zu befreien. „Wir wissen nicht, wie viele von ihnen noch am Leben sind, also jeden Tag um ihr Überleben kämpfen“, sagte Baerbock später. Die Lage im Gaza-Krieg entwickle sich in Richtung einer Vertreibung der Palästinenser, sagte Schukri. Zwei Millionen Menschen in dem Küstengebiet würden belagert.
Mahnung an Israels Armee: Zivilisten besser schützen
„Die israelische Armee muss mehr tun, um die Zivilistinnen und Zivilisten in Gaza zu schützen“, sagte Baerbock. „Das Leid so vieler unschuldiger Palästinenser kann so nicht weitergehen“, sagte sie. Den Grenzübergang Rafah hatten während des Kriegs unter anderem die Ministerpräsidenten von Spanien und Belgien, Pedro Sánchez und Alexander De Croo, besucht. Diese hatten das militärische Vorgehen Israels im Gazastreifen dabei sehr scharf kritisiert.
Auslöser des Gaza-Kriegs war ein Terrorangriff der islamistischen Hamas und anderer extremistischer Palästinensergruppen am 7. Oktober. Israel reagierte mit massiven Luftangriffen und einer Bodenoffensive. Angesichts der katastrophalen humanitären Lage in dem abgeriegelten Küstengebiet und der hohen Zahl ziviler Opfer geriet Israel zuletzt international immer mehr in die Kritik.
Im Libanon Gespräche zur Hisbollah geplant
Am Abend reiste Baerbock weiter in den Libanon. Am Mittwoch will sie sich in Beirut mit dem geschäftsführenden libanesischen Premierminister Nadschib Mikati und dem Kommandeur der Streitkräfte, General Joseph Aoun, treffen. Seit Beginn des Gaza-Kriegs haben die Konfrontationen der Hisbollah im Libanon mit Israels Armee nahe der Grenze zugenommen. Die Sorge wächst, dass sich der Konflikt zu einem regionalen Flächenbrand entwickeln könnte. (dpa)
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