Baerbock in Israel – zentraler Streitfall ist der Korridor an der Grenze zu Ägypten

Außenministerin Baerbock äußerte in Israel Kritik an der dortigen Regierung. Derweil machte Netanjahu erneut klar, dass er an einer dauerhaften Präsenz israelischer Truppen an der Grenze zu Ägypten festhalten werde. In Israel herrschen vor allem zwei Stimmungen vor.
Israel will den sogenannten Philadelphi-Korridor an der Gaza-Grenze zu Ägypten weiter unter Kontrolle behalten. (Archivbild)
Israel will den sogenannten Philadelphi-Korridor an der Gaza-Grenze zu Ägypten weiter unter seiner Kontrolle behalten.Foto: Mohammed Talatene/dpa
Epoch Times6. September 2024

Zum Abschluss ihrer Nahost-Reise trifft Bundesaußenministerin Annalena Baerbock (Grüne) heute in Tel Aviv ihren israelischen Kollegen Israel Katz und Verteidigungsminister Joav Gallant. In Ramallah im Westjordanland ist anschließend ein Treffen mit dem palästinensischen Regierungschef Mohammed Mustafa geplant.

Baerbock war vor dem Hintergrund der Bemühungen um eine Waffenruhe im Gazastreifen und die Freilassung der von der Hamas verschleppten Geiseln in die Region gereist. Sie fordert von der israelischen Regierung als Zeichen der Vertrauensbildung in der Region ein Ende der Siedlungsprojekte im Westjordanland.

Baerbock äußerte Verständnis für „das Sicherheitsdilemma“ Israels bezüglich der Kontrolle des Philadelphi-Korridors. „Aber dafür können Lösungen gefunden werden.“ Die EU sei bereit, ihren Beitrag zu leisten. Das Gebiet entlang der Grenze zwischen dem Gazastreifen und Ägypten ist einer der zentralen Streitpunkte in den Verhandlungen über eine Feuerpause.

Kritik am Vorgehen im Westjordanland

Bei ihrem Besuch in Israel äußerte sie deutliche Kritik am Vorgehen der israelischen Regierung im Westjordanland. „Wer Menschen angreift, aus ihren Häusern vertreibt oder sogar tötet, muss zur Rechenschaft gezogen und hart bestraft werden.“ Israel müsse seine Siedlungsprojekte im Westjordanland aufgeben, diese seien „illegal“, betonte Baerbock.

Israel hatte eine großangelegte Militäraktion in mehreren Orten im Westjordanland durchgeführt. Die Armee begründete das Vorgehen mit der deutlich gestiegenen Anzahl von Anschlägen auf Israelis. Ziel sei es, gegen die Hamas sowie den Islamischen Dschihad vorzugehen.

Es irritiere Baerbock, „wenn Mitglieder der israelischen Regierung selbst fordern, im Westjordanland genauso vorzugehen wie in Gaza“, sagte die deutsche Außenministerin mit Blick auf Äußerungen von Katz. Der israelische Außenminister hatte Ende August gefordert, Israel müsse die „Terrorinfrastruktur“ dort mit derselben Entschlossenheit zerschlagen wie im Gazastreifen.

Das Vorgehen der israelischen Armee im Westjordanland richte sich „gegen Terror“, sagte Baerbock. „Zugleich darf es nicht neue Unsicherheit und Gewalt befördern.“

Das Kalkül der Hamas, die Gewalt aus dem Gazastreifen ins Westjordanland zu tragen, dürfe nicht aufgehen. „Das Kalkül der Terroristen, eine ewige Gewaltspirale zu befeuern, genau das muss durchbrochen werden“, betonte die Grünen-Politikerin.

Treffen mit Verteidigungsminister Joav Gallant

Nach dem Treffen mit Katz stand für Baerbock ein Gespräch mit dem israelischen Verteidigungsminister Joav Gallant auf dem Programm. Gallant dringt auf den Abschluss eines Waffenruhe-Abkommens mit der radikalislamischen Hamas, um die Freilassung der im Gazastreifen festgehaltenen Geiseln zu ermöglichen.

Er forderte das Kabinett kürzlich auf, eine Entscheidung zur andauernden israelischen Militärpräsenz im Philadelphi-Korridor zurückzunehmen und ging damit auf Distanz zu Regierungschef Benjamin Netanjahu.

Das Gebiet entlang der Grenze zwischen dem Gazastreifen und Ägypten ist einer der zentralen Streitpunkte in den Verhandlungen über eine Feuerpause.

Es ist bereits Baerbocks elfter Nahost-Besuch seit dem Beginn des Gaza-Kriegs im Oktober. Am Donnerstag hatte sie in Riad den saudi-arabischen Außenminister Faisal bin Farhan getroffen und war in Amman von ihrem jordanischen Kollegen Ayman Safadi empfangen worden.

Blinken drängt zur Waffenruhe

US-Außenminister Antony Blinken hat Israel und die radikalislamische Hamas gedrängt, ein fast fertiges Abkommen über eine Waffenruhe im Gazastreifen abzuschließen.

„Nach dem, was ich gesehen habe, sind 90 Prozent erledigt“, sagte Blinken am Donnerstag in Bezug auf die Fortschritte bei den Verhandlungen. „Es liegt wirklich an beiden Parteien, in den verbleibenden Fragen zu einem Ja zu kommen“, fügte er hinzu.

Blinken sagte, die Vereinigten Staaten würden in den kommenden Tagen über die Vermittler Ägypten und Katar weitere Vorschläge unterbreiten, in der Hoffnung, eine Einigung zu erzielen.

Netanjahu: Abkommen nicht kurz vor dem Abschluss

Der israelische Ministerpräsident Benjamin Netanjahu wies am 5. September in einem Interview mit dem US-Sender „Fox News“ die Auffassung von US-Regierungsvertretern zurück, dass ein Abkommen kurz vor dem Abschluss stehe. „Wir sind nicht nah dran“, sagte Netanjahu.

Netanjahu machte erneut klar, dass er an einer dauerhaften Präsenz israelischer Truppen am sogenannten Philadelphi-Korridor im Süden Gazas festhalten werde.

Dies ist derzeit der Hauptstreitpunkt bei den indirekten Verhandlungen. Bei dem Philadelphi-Korridor handelt es sich um einen etwa 14 Kilometer langen Streifen an der Grenze des Gazastreifen zu Ägypten, dessen Kontrolle nach Netanjahus Darstellung gewährleisten soll, dass die Hamas keine Waffen in den abgeriegelten Küstenstreifen schmuggeln kann. Es sei eine Position, die bei vielen Israelis Anklang finde, schrieb das „Wall Street Journal“.

Die Rolle von Ägypten, der Muslimbruderschaft und der Hamas

Die Oslo-Abkommen von 1993-1995 gaben Israel das Recht zur militärischen Kontrolle des Philadelphi-Korridors. Nach dem israelischen Rückzug aus dem Gazastreifen im Jahr 2005 schloss Israel einen Vertrag mit Ägypten über dessen Verwaltung ab und übergab die Kontrolle über den Korridor an Ägypten.

Während des Gaza-Krieges 2014 kooperierte Ägypten mit Israel in Bezug auf den Philadelphi-Korridor. Die aktuellen Diskussionen drehen sich darum, dass Israel nun wieder die Kontrolle über den Philadelphi-Korridor übernehmen möchte, was auch auf Widerstand Ägyptens stößt. Sowohl Ägypten als auch Israel erheben Ansprüche auf die Kontrolle des Gebiets, das vor dem Sechstagekrieg 1967 zum Gazastreifen gehörte.

Ägypten möchte jedoch auch keine Kontrolle des Gebietes durch die terroristische Hamas – die enge Beziehungen zur sunnitisch-islamistische Muslimbruderschaft pflegt. In Ägypten ist die Muslimbruderschaft seit 2013 verboten und als Terrororganisation eingestuft. Die Hamas an sich wurde 1987 von der Muslimbruderschaft als ihr dschihadistischer Ableger gegründet – das niedergeschriebene Ziel: die Vernichtung Israels.

Zwei Strömungen in Israel

In Israel herrschen vor allem zwei Stimmungen vor: der Wunsch, dass die verbleibenden Geiseln in der Gewalt der Hamas freikommen, und Misstrauen gegenüber Netanjahu. Gleichzeitig befürchteten viele, dass ein Abkommen mit der Hamas dazu führen könnte, dass sich die Terrororganisation wieder neu gruppiere und erstarke, schreibt das „Wall Street Journal“.

Die Zeitung zitierte eine Umfrage des Jewish People Policy Institute, wonach 49 Prozent der jüdischen Israelis der Ansicht seien, Israel dürfe die Kontrolle über den Korridor nicht aufgeben, selbst wenn dies auf Kosten eines Geisel-Deals ginge. 43 Prozent meinten, Israel solle dies tun.

Die Mehrheit in Netanjahus Koalition aus rechten, ultranationalistischen und religiösen Partnern stimme mit seiner Haltung bei den Verhandlungen überein und betrachte die Demonstranten auf der Straße nicht als ihre Wähler, schrieb das „Wall Street Journal“.

Sie wüssten, dass vielleicht die meisten Demonstranten dieselben seien, die vergangenes Jahr gegen die Pläne zur Justizreform protestierten. „Es ist ihnen egal, ob es die Mehrheit ist“, sagte Dahlia Scheindlin, Expertin für öffentliche Meinung in Israel, der Zeitung.

Wer die Koalitionsregierung unterstütze, stimme auch Netanjahus Haltung in Gaza zu. Entsprechend umgekehrt sei es bei denen, die ohnehin gegen Netanjahu seien, schrieb die US-Zeitung. (afp/dpa/red)

 



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