Aus für Familiennachzug in Österreich: FPÖ wirft Stocker Wortbruch vor

Die neue österreichische Bundesregierung unter Kanzler Christian Stocker setzt in der Migrationspolitik auf einen harten Kurs. Mit Verweis auf eine EU-Notstandsklausel soll der Familiennachzug für Schutzberechtigte vorerst gestoppt werden. Während die FPÖ dem Regierungschef bereits einen Rückzieher vorwirft, zweifeln Rechtsexperten an der Zulässigkeit der Maßnahme.
Titelbild
Der Vorsitzende der Österreichischen Volkspartei (ÖVP), Christian Stocker, am 12. Februar 2025 in Wien.Foto: Joe Klamar/AFP via Getty Images
Von 5. März 2025

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In Österreich steht seit Montag, 4.3., die neue Bundesregierung. Anlässlich der Vorstellung ihres Regierungsprogramms hat der designierte Bundeskanzler Christian Stocker unter anderem schnelles und entschlossenes Handeln in der Migrationspolitik angekündigt. Vor allem wolle er umsetzen, womit CDU-Kanzlerkandidat Friedrich Merz nach wie vor an der SPD scheitert: die Aktivierung der Notstandsklausel des Artikels 72 AEUV.

Auf der Grundlage dieser Bestimmung will das neue Kabinett den Familiennachzug für asylberechtigte sowie subsidiär schutzberechtigte Personen aussetzen. Subsidiären Schutz genießen Asylsuchende, deren Antrag abgelehnt wurde, die jedoch aus faktischen oder humanitären Gründen nicht abgeschoben werden können. Dies ist etwa der Fall, wenn es keine Rücknahmevereinbarung mit dem Herkunftsland gibt.

„Massive Belastung des Bildungssystems“ als Begründung für Stopp beim Familiennachzug

In einer E-Mail, die Innenminister Gerhard Karner am Dienstag verschickte, kündigte dieser an, er wolle sich mit seinen EU-Amtskollegen und der Kommission kurzschließen. Am Mittwoch werde er EU-Migrationskommissar Magnus Brunner über das Vorhaben informieren. Wie ein Sprecher Karners gegenüber dem „Standard“ erklärte, wolle man „parallel dazu“ eine Verordnung vorbereiten.

Die Verordnung solle die Detailregeln zum Stopp enthalten. Als Begründung für den behaupteten Notstand wolle die Bundesregierung die „massive Belastung des Bildungssystems“ durch „tausende neu nach Österreich gekommene Kinder“ zitieren.

Allerdings ist die Zahl der Einreisen auf der Grundlage einer Familienzusammenführung in Österreich zuletzt deutlich zurückgegangen. Im Jahr 2024 waren insgesamt 7.760 Personen auf dieser Grundlage ins Land gekommen, im Januar 2025 waren es gar nur knapp über 200. Dennoch sieht man im Ministerium die Situation vor allem an den Volksschulen (Grundschulen) als gespannt.

Beitrag auf X: Stocker steigt auf Konjunktiv um

Stocker hatte am Montagabend im ORF erklärt, es werde bezüglich der Familienzusammenführung in diesem Bereich eine „Quotenregelung mit einer Nullquote zu Beginn“ handeln. Auf die Frage, wann die geplante Regelung Geltung entfalten solle, antwortete der designierte Kanzler:

„Sofort ist jetzt.“

Am selben Montagabend hatte er sein Vorhaben auf X noch deutlich vorsichtiger formuliert. So wolle er die EU-Klausel zur temporären Aussetzung des Familiennachzugs nutzen, „sollte wieder eine Überlastung des Systems drohen“. Im Umkehrschluss bedeutet das jedoch, dass Stocker diese Überlastungssituation derzeit nicht oder nicht mehr erkennt.

Auch in den Tagen zuvor hatte der ÖVP-Chef erklärt, der Familiennachzug werde „mit sofortiger Wirkung“ ausgesetzt. Um die Regelung in Kraft zu setzen, genüge die Unterschrift von Minister Karner unter die – noch zu erarbeitende – Verordnung.

Kickl reklamiert „massive Asylkrise“ – Asylkoordination sieht keinen Spielraum für Notstandsregel

FPÖ-Chef Herbert Kickl warf Stocker umgehend einen „Rückzieher“ vor. Ein sofortiger Stopp des Familiennachzugs „klingt definitiv anders“, erklärte Kickl auf Facebook. Das erste Versprechen habe der designierte Kanzler damit „jetzt schon gebrochen“.

Dabei sei das System „jetzt schon überlastet“, Österreich leide unter einer „massiven Asylkrise“.

Demgegenüber bezweifelt die „Asylkoordination Österreich“, dass die Voraussetzungen für die Anwendung der Notstandsregel gegeben seien. Sprecher Lukas Gahleitner-Gertz stimmt zwar zu, dass eine Abweichung von EU-Recht auf Grundlage dieser Klausel möglich sei.

Voraussetzung dafür sei allerdings eine Gefahr für die öffentliche Ordnung und die innere Sicherheit. Um einen Notfall geltend machen zu können, müsse jedoch eine Gefährdung öffentlicher Einrichtungen bereits eingetreten sein oder unmittelbar bevorstehen. Der Europäische Gerichtshof (EuGH) fordere jedoch einen konkreten Nachweis dieses Umstandes und tendiere zu einer engen Auslegung der Zulässigkeitsvoraussetzungen.

Asylgesetz ohne Passus über Beschränkung von Familiennachzug

Bis dato habe der Gerichtshof die Anwendung dieser Klausel jedoch in keinem einzigen Fall akzeptiert. Darauf hatte auch der scheidende deutsche Bundeskanzler Olaf Scholz in den Bundestagsdebatten zum Asylrecht in der Zeit des Wahlkampfs hingewiesen.

Die Asylkoordination gibt auch zu bedenken, dass „hausgemachte Probleme“ vom EuGH nicht als Gründe für die Ausrufung des Notstandes anerkannt würden. Außerdem sei die Zahl der Asylsuchenden in Österreich derzeit die geringste in den vergangenen zehn Jahren. Auch die Zahl der Einreiseanträge wegen Familienzusammenführung im Januar 2024 habe nur wenig mehr als ein Zehntel gegenüber dem Vergleichsmonat 2024 betragen.

Auch das österreichische Asylgesetz bietet keinen erkennbaren Spielraum für die von der Bundesregierung in Wien angedachte Verordnung. Zwar sieht es Einreisebeschränkungen oder gar einen Stopp zur „Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung und zum Schutz der inneren Sicherheit“ vor. Allerdings verweist es dabei explizit auf das Grenzkontrollgesetz – nicht auf Visaverfahren zum Familiennachzug. Dieser muss bei den österreichischen Botschaften im Ausland beantragt werden.



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