Aus der Traum von Sicherheit

Dioxin-Skandal in Deutschland: Bauern haben Millionenverluste, Behörden schieben die Verantwortung auf andere Behörden, Politiker agieren hilflos.
Von 9. Januar 2011

Tierfutter besteht genau wie die menschliche Nahrung aus den drei Komponenten Eiweiß, Fett und Kohlenhydraten. Je nachdem, was das Tier leisten soll und wie hoch der Gewinn des Besitzers sein soll, variieren die Inhaltsstoffe. Und wo der zertifizierte Bio-Bauer den größten Anteil des Viehfutters auf dem eigenen Hof anbauen muss und nur herkunftsgesichertes Futter ökologischer Herkunft dazukaufen darf, kauft der muntere Landwirt als konventioneller Agrar-Ökonom einfach das Viehfutter passend zum Bedarf bei den Futterherstellern ein. Wie überall, bestimmt auch hier die Nachfrage den Preis. Futtermittel so preiswert wie möglich, Verantwortung für die Tiere nur noch im Sinne von Produktivität und Leistungsmerkmalen.

Und so ist es auch beim Futterhersteller, der sieht auch zu, wie er seine Gewinne maximieren kann, indem er preiswert einkauft. Dass da mal Dioxin-verseuchte Schmiermittel auf diesem Weg unauffällig entsorgt werden, fällt fast nicht auf. Gift in geringer Dosierung auf diese Weise über die Tiere in die Menschen zu entsorgen, ist makaber, aber nicht unlogisch; schließlich muss der menschliche Körper am Ende in jedem Fall wie Sondermüll behandelt werden, da kommt es auf etwas Dioxin mehr oder weniger nicht mehr an.

Die „garantierten Eigenkontrollen in Selbstverpflichtung“ wie das Qualitätssiegel der Deutschen Landwirtschaftsgesellschaft nützen dabei der Sicherheit der Hersteller, unentdeckt zu bleiben, und sind für den Schutz der Verbraucher völlig unzureichend. Auch die Futterfettfirma Harles & Jentzsch trägt dieses Siegel. Und wenn dann doch etwas auffällt, kann hoch gepokert werden, denn Kontrolleure sind in Deutschland selten, fast schon eine aussterbende Art. Sie müssen lange studieren, tragen hohe Verantwortung und sind völlig unterbezahlt. Sicherlich würden viele lieber für die Firmen arbeiten, als diese zu kontrollieren. Die modernen Robin Hoods findet man in dieser Branche eher nicht.

Die Futterfettfirma

Schon im letzten Frühjahr war klar, dass giftiges Fett im Tierfutter landet. Bereits am 19. März 2010 hat ein privates Labor in einer Probe des Fettlieferanten Harles & Jentzsch doppelt so viel Dioxin gemessen wie erlaubt. Dies bestätigte ein Sprecher des Landwirtschaftsministeriums in Kiel nach einem Bericht der „Hannoverschen Allgemeinen Zeitung“. Eine weitere Probe im Juni, ebenfalls zur Eigenkontrolle des mit dem Qualitätssiegel für Lebensmittelsicherheit ausgezeichneten Betriebs genommen, war fast genauso hoch. Laut „Spiegel“ wurden diese Zahlen den Lebensmittelkontrolleuren bei ihrem Besuch im Juli allerdings verschwiegen. Trotz der Hinweise auf den Lieferscheinen, dass die gekauften Fette nicht für Futtermittel geeignet seien, reagierten auch die Kontrolleure nicht. Bei einem neuerlichen Test im Oktober waren die Werte erneut erhöht.

Keinerlei Unrechtsbewusstsein zeigte Geschäftsführer Siegfried Sievert vom Uetersener Futterfettbetrieb Harles & Jentzsch gegenüber dem Westfalen-Blatt: „Wir waren leichtfertig der irrigen Annahme, dass die Mischfettsäure, die bei der Herstellung von Biodiesel aus Palm-, Soja- und Rapsöl anfällt, für die Futtermittelherstellung geeignet ist.“ Nach eigenen Angaben kaufte die Firma seit Jahren Reste aus der Biodieselherstellung sowie der Nahrungsmittelindustrie auf und verarbeitete sie für Viehfutter.

Da Harles & Jentzsch auf der eigenen Webseite den oberen Grenzwert für Dioxin korrekt darstellt, kann Unwissenheit nicht die Ursache dieses Vorgehens sein. Trotz Lieferscheinen ist die Herkunft des Dioxins noch ungeklärt. Bisher ging man davon aus, dass die Verseuchung des technischen Fettstoffs bei der Dieselproduktion passierte. Bei ersten Dioxin-Prüfungen durch das Chemische und Veterinäruntersuchungsamt Münster fanden laut Spiegel-Bericht die Prüfer ein spezielles, aber in der Dieselproduktion unbekanntes Muster. Auch deshalb will nun der nordrhein-westfälische Umweltminister Johannes Remmel (Die Grünen) ein Gutachten in Auftrag geben, um die Herkunft des Dioxins in den Fetten endgültig zu klären.

Die Agrarindustrie

Die Mischfutterindustrie steht mit ca. 70 Millionen Tonnen Tierfutterproduktion pro Jahr an der Spitze der deutschen Wirtschaft. Die Landesregierungen haben in den letzten Jahren die Kontrollen zurückgefahren und die Gesetzlichkeiten verwässert, aktuell die Kennzeichnungsverordnung für Tierfutter.

Laut Tierrechtsorganisation PETA Deutschland e. V. seien die Dioxin-Skandale von 1999 und 2006 völlig identisch mit diesem aktuellen Dioxin-Skandal. Dort waren einmal Zitronen- bzw. Orangenschalen die Dioxinquelle gewesen und einmal Abfälle. Auch Klärschlämme werden regelmäßig für Tierfutter verwendet. Und trotz der Erinnerung an BSE ist inzwischen Tiermehl als Futtermittel für Schweine, Geflügel und Fische wieder gesetzlich erlaubt.

„Mit derselben fragwürdigen Energie, mit der die Massentierhaltung betrieben wird, geht die Mischfutterbranche vor – sie scheint sich nicht um Gesetzlichkeiten und Behördenauflagen zu scheren“, so Agrarwissenschaftler Dr. Edmund Haferbeck von PETA. „Solange der Gesetzgeber in Bund und Land, die tierärztlichen und agrarwissenschaftlichen Hochschulen, die Bundesforschungsanstalten und die Landwirtschaftsämter darauf ausgerichtet sind, aus der Massentierhaltung immer mehr Profit herauszuholen, so lange werden Schadstoffe im Fleisch gang und gäbe sein. Der mit Milliarden öffentlicher Gelder geförderten Agrarindustrie scheinen alle Mittel recht zu sein, um Profite auf Kosten von Tier und Mensch zu erzielen.“

Mindestens 527 Tonnen des von der Futterfettfirma Harles & Jentzsch hergestellten Giftfetts wurden an 25 Futterhersteller geliefert und in verschiedenste Futtertypen eingemischt. Laut Bundesregierung wurden bis zu 150.000 Tonnen Futter für Hühner, Puten und Schweine mit Dioxin verseucht.

{C:2}

Die Bauern

Für Landwirte ist das die wirtschaftliche Katastrophe. Mehr als 4.700 Betriebe sind vorsorglich von den Landwirtschaftsministerien der Bundesländer anhand der Lieferlisten der Futtermittelhersteller gesperrt, bis der Nachweis für die Unbedenklichkeit – für den die Bauern selbst verantwortlich sind – erbracht ist. In Nordrhein-Westfalen werden amtliche Proben genommen, die Kosten trägt die öffentliche Hand. Falls Tiere getötet werden müssen, erhält der Betrieb einen Ausgleich. In Niedersachsen dagegen müssen die betroffenen Bauern selbst ein zugelassenes Labor für entsprechende Proben und Probeschlachtungen beauftragen, es gibt keine finanzielle Entschädigung. Grund dafür ist, dass nach Angaben des niedersächsischen Landwirtschaftsministeriums Engpässe bestehen bei Veterinärämtern und Kontrolleuren.

Also sind vorübergehend auch Betriebe benachteiligt, die kein verseuchtes Billigfutter verwendet haben. Immerhin konnten inzwischen die Milchbetriebe wieder freigegeben werden. Bauernpräsident Gerd Sonnleitner beziffert den Schaden für die Landwirte auf 40 bis 60 Millionen Euro pro Woche und forderte die Einrichtung eines Entschädigungsfonds. Gert Hahne vom niedersächsischen Landwirtschaftsministerium empfiehlt laut „Focus“ den Landwirten, sich mit Regressforderungen an den Futtermittelhersteller zu wenden. Vom Staat haben auch die betroffenen Bauern nichts zu erwarten, da es in ihrer Entscheidung liegt, ob sie die Tiere töten lassen oder abwarten, bis sich das Gift im Tier wieder abbaut.

Da die Schlachtreife in Mastbetrieben nicht ohne Verluste überschritten werden kann und in Legehennen ebenfalls überhöhte Dioxin-Werte gefunden wurden, werden viele Betriebe ihre Tiere töten müssen. Diese werden dann wie die Eier gekocht, pulverisiert und verbrannt. Hoffentlich verbrannt – und nicht wieder zu Tierfutter verarbeitet – Creutzfeld-Jacob lässt grüßen.

Die Politik

Verbraucherschutzministerin Ilse Aigner (CSU) ist genau wie der Vorsitzende des EU-Parlamentsausschusses für Umwelt, Volksgesundheit und Lebensmittelsicherheit Jo Leinen (SPD), der Meinung, dass unsere umfangreiche Lebensmittelgesetzgebung mit geregelten Qualitätsstandards ausreichend ist und nun die Justiz hart durchgreifen muss. Leinen sagt dazu der „Süddeutschen“, dass es ein Defizit bei den Kontrollen gäbe. „Die Sparpolitik hat da negative Auswirkungen auf den Schutz der Verbraucher. Es ist zu vermuten, dass es ähnliche Schwachstellen auch in anderen EU-Ländern gibt.“

Zu Recht weist Christiane Groß von „foodwatch“ darauf hin, dass in Deutschland nur Einzelpersonen strafrechtlich belangt werden können, keine Unternehmen. Es gibt kein Unternehmensstrafrecht wie in Frankreich, wo sich Bußgelder am Umsatz eines Unternehmens orientieren müssen. Die abschreckende Wirkung bleibt aus, wenn die Bußgelder aus der Portokasse beglichen werden können.

Die Verbraucher

Wie die Staatsanwaltschaft bestätigt, hat ein Arzt aus Havixbeck bei Münster den Hersteller des verseuchten Futtermittels, Harles & Jentzsch, mit dem Vorwurf auf schwere Körperverletzung und versuchten Mordes aus Habgier angezeigt. Auch die Verbraucherschützer laufen Sturm und werfen der Regierung Verharmlosung, Untätigkeit und mangelnden politischen Willen vor. Die Verbraucher reagieren indes gelassen und greifen lieber bei Bio-Produkten zu.

Die Trittbrettfahrer

Hilfreich für Eier-Fans oder eher als bitterer Werbegag kommt nun ein hochgelobtes Zusatzprogramm – ein App – für die neue Handygeneration der iPhones daher. Der stolze Besitzer gibt im Supermarkt, oder wo auch immer er Eier zu kaufen gedenkt, den Erzeuger-Code ins Handy ein und dieses verrät ihm auf Anhieb, ob das Ei einen der als Verbraucherwarnung veröffentlichten Codes trägt für den Rückruf. Hört sich fortschrittlich an, aber was machen solche Eier überhaupt noch im Verkauf? Wieso muss sich der Verbraucher schützen und so ein App kaufen? Haben wir nicht das Verursacherprinzip? Armes behördenregiertes Deutschland, wo ist der gesunde Menschenverstand und ein Mindestmaß an Anstand geblieben?

Die Lösung

Fast regelmäßig treffen Lebensmittelskandale völlig unvorbereitete und scheinbar ahnungslos Behörden, die Verbraucherschützer schreien auf: „Seht, das haben wir euch vorhergesagt!“ Die Politiker fordern hektisch mehr Kontrollen und härtere Strafen. Und was dann? Hinterher werden mit weiteren Sparmaßnahmen wiederum Kontrolleure eingespart und die wirtschaftlichen Interessen gefördert.

Selbstverpflichtung und Eigenkontrollen sind langfristig gesehen eine gute Lösung, um unsere Gesellschaft zu mehr Verantwortung und Vertrauen zu führen. Dafür braucht es anfänglich ein Gerüst von Transparenz und klaren Strafen, damit gegen diese dann nicht mehr nur mit wirtschaftlich vernünftigen, weil sparsamen Vorgaben gehandelt wird. Rückholaktionen auf Knopfdruck müssen möglich werden, die Technik dafür ist längst vorhanden. Jeder Hersteller muss die Inhaltsstoffe seiner Produkte prüfen lassen oder geprüfte Produkte verwenden inklusive Herkunftsnachweis. Solche Informationen wären es auch wert, zentral gespeichert zu werden und für Verbraucher abrufbar zu sein. Warum sollen immer nur Verbraucherdaten für Hersteller interessant sein? Hier ist die Möglichkeit für gegenseitige Transparenz und ein Miteinander, das Vertrauen wieder herstellen kann. Kriminelle Machenschaften können dadurch zwar nicht ausgeschlossen werden, aber es ist dann einfacher, sie durch Öffentlichkeit zu ahnden und eine wahre Selbstkontrolle des Anstands einzuführen.

 



Epoch TV
Epoch Vital
Kommentare
Liebe Leser,

vielen Dank, dass Sie unseren Kommentar-Bereich nutzen.

Bitte verzichten Sie auf Unterstellungen, Schimpfworte, aggressive Formulierungen und Werbe-Links. Solche Kommentare werden wir nicht veröffentlichen. Dies umfasst ebenso abschweifende Kommentare, die keinen konkreten Bezug zum jeweiligen Artikel haben. Viele Kommentare waren bisher schon anregend und auf die Themen bezogen. Wir bitten Sie um eine Qualität, die den Artikeln entspricht, so haben wir alle etwas davon.

Da wir die Verantwortung für jeden veröffentlichten Kommentar tragen, geben wir Kommentare erst nach einer Prüfung frei. Je nach Aufkommen kann es deswegen zu zeitlichen Verzögerungen kommen.


Ihre Epoch Times - Redaktion