Auf Merkel wartet der womöglich letzte EU-Kraftakt
Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) nimmt ab Donnerstag an ihrem womöglich letzten EU-Gipfel teil – jedenfalls ist dem Vernehmen nach eine Verabschiedung der dienstältesten europäischen Regierungschefin in Brüssel geplant.
Doch nach Abschiedsparty ist niemandem zumute: Der Streit über die Rechtsstaatsverstöße der polnischen Regierung stellt die EU vor eine Zerreißprobe. Schwierige Verhandlungen erwarten Merkel auch bei den Themen Energie und Migration.
Der Streit mit Polen
Der Streit mit Polen ist mit dem Rededuell zwischen Regierungschef Mateusz Morawiecki und Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen im Europaparlament am Dienstag zur offenen Konfrontation geworden.
Offiziell steht das Thema zwar nicht auf der Agenda des EU-Gipfels. Aber die Gründerstaaten Belgien, die Niederlande und Luxemburg wollen die polnischen Verstöße offen anprangern und Morawiecki damit in die Enge treiben.
Zum Wortführer der Polen-Kritiker will sich nach Angaben von EU-Diplomaten der niederländische Regierungschef Mark Rutte machen. Auch der luxemburgische Außenminister Jean Asselborn warnte zuletzt, die Gängelung der Justiz in Polen führe zum „Bruch“ der Europäischen Union.
Die Kanzlerin hat jahrelang auf Dialog mit Warschau gesetzt. Auch vor diesem Gipfel riet sie, die „großen Probleme“ mit Polen „im Gespräch zu lösen“. Manch einer in Europa nimmt dies Merkel übel.
„Wir respektieren die Kanzlerin, aber wir haben ein Problem mit der deutschen Feinfühligkeit gegenüber Polen“, sagt ein hochrangiger EU-Politiker. Die frühere spanische Außenministerin und Christdemokratin Ana Palacio wirft Merkel eine Politik des Abwartens vor, die den „Regelbrechern“ in Polen und Ungarn genutzt habe.
EU-Länder wollen Polen den Geldhahn zudrehen
Polen muss der Geldhahn zugedreht werden – das fordern Österreich, Luxemburg und andere Länder vor dem Gipfel. Corona-Hilfsgelder in Höhe von 36 Milliarden Euro liegen in dem Rechtsstaats-Streit bereits auf Eis.
Von der Leyens Kommission will in einigen Wochen zudem den sogenannten Rechtsstaatsmechanismus aktivieren, mit dem milliardenschwere EU-Zahlungen an Warschau gekappt werden könnten. Doch das Verfahren ist juristisch kompliziert.
Frankreichs Präsident Emmanuel Macron, mit dem Merkel seit 2017 ein zuweilen glückloses Gespann gebildet hat, ist im Präsidentschaftswahlkampf und hat auf dem Gipfel eine ganz eigene Agenda, wie es aus seinem Umfeld heißt.
Macron will mit Unterstützung von Polen und zehn weiteren Staaten die Atomenergie als „nachhaltige“ und klimafreundliche Energieform anpreisen sowie als Mittel gegen die explodierenden Energiepreise.
Deutschland ist zu abhängig vom russischem Erdgas
Frankreich und Polen werfen Deutschland eine Abhängigkeit von russischem Erdgas vor. Auch von der Leyen warnte im Onlinedienst Twitter, die EU sei „zu abhängig von Gasimporten“, und das mache sie „verwundbar“. Mit einer Lösung des Grundsatzkonflikts rechnet beim Gipfel niemand.
Auch ein dritter Dauerbrenner wird die Staats- und Regierungschefs beschäftigen: die Flüchtlingsfrage. Berlin und Brüssel bezichtigen den belarussischen Machthaber Alexander Lukaschenko, Flüchtlinge gezielt in die EU zu schleusen.
Bundesaußenminister Heiko Maas (SPD) will die Sanktionsschraube weiter zudrehen, doch bisher scheinen die Maßnahmen Lukaschenko kaum zu beeindrucken.
Eine schwierige Gemengelage ist also auf dem Gipfel zu erwarten. Sie dürfte Merkel noch einmal einen Kraftakt abverlangen. (afp/dl)
vielen Dank, dass Sie unseren Kommentar-Bereich nutzen.
Bitte verzichten Sie auf Unterstellungen, Schimpfworte, aggressive Formulierungen und Werbe-Links. Solche Kommentare werden wir nicht veröffentlichen. Dies umfasst ebenso abschweifende Kommentare, die keinen konkreten Bezug zum jeweiligen Artikel haben. Viele Kommentare waren bisher schon anregend und auf die Themen bezogen. Wir bitten Sie um eine Qualität, die den Artikeln entspricht, so haben wir alle etwas davon.
Da wir die Verantwortung für jeden veröffentlichten Kommentar tragen, geben wir Kommentare erst nach einer Prüfung frei. Je nach Aufkommen kann es deswegen zu zeitlichen Verzögerungen kommen.
Ihre Epoch Times - Redaktion