Asylgründe auf dem Prüfstand: Wie sicher ist Syrien wirklich?

Nach dem Sturz Assads diskutieren deutsche Politiker, ob Syrien künftig als sicheres Herkunftsland gelten kann. Allein in diesem Jahr haben bereits 70.000 Syrer in Deutschland Asyl beantragt, und der Druck in Bezug auf Rückführungen wächst. Doch wie stabil ist die Lage in Syrien?
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Syrer in Deutschland feiern den Sturz von Assad in Syrien am 08.12.2024.Foto: via dts Nachrichtenagentur
Von 22. Dezember 2024

Syrien: Nach ihrer Großoffensive haben Islamisten unter der Führung der Haiʾat Tahrir asch-Scham (HTS) Damaskus erobert und Assad gestürzt. Damit ist eine über 50-jährige Herrschaft der Assad-Familie in Syrien zu Ende gegangen. 1971 hatte Baschar al-Assads Vater Hafis al-Assad die Macht in Syrien übernommen.

Die HTS wurde von den USA und anderen Ländern bislang als Terrororganisation eingestuft. Sie ist aus dem syrischen Ableger des Terrornetzwerkes al-Qaida hervorgegangen, hat nach eigenen Angaben aber seit 2016 keine Verbindungen mehr zu al-Qaida, schreibt ntv.

Medien berichten, dass sich die HTS um einen politischen Übergang in Syrien bemühe und Menschen beruhigen will, die Bedenken wegen einer extremistischen Ausrichtung der Gruppe haben. Weiter heißt es: „Führende Rebellen geben an, die Gruppe habe ihre extremistischen Tendenzen aufgegeben.“ Das allerdings hatte Israel nicht davon abgehalten, wichtige militärische Infrastruktur ihn Syrien zu zerstören.

„Sehr diszipliniert“: Dschihadisten auf neuer Linie?

Für „Tagesschau“ ist die HTS mittlerweile eine „Rebellengruppe“, die die Macht in Syrien „diszipliniert“ übernommen habe. Laut dem von der ARD befragten Experten Heiko Wimmen von der den Grünen nahe stehenden Heinrich-Böll-Stiftung könne jetzt eine „Regierungsbildung gelingen“. 

Bei der „militärischen Kampagne“ sei die HTS „sehr diszipliniert vorgegangen“, heißt es weiter. Auch der Umgang mit der Zivilbevölkerung zeuge, so Wimmen, von einer Disziplin, die man normalerweise nur bei einer professionellen Armee erwarte. Die Prognose des Experten der Stiftung will Mut machen: „Sehr viele der jungen Männer hätten zwar eine dschihadistische Vergangenheit – aber es scheint gelungen zu sein, sie auf die neue Linie einzuschwören.“

Mit Assad-Sturz auch Asylgrund hinfällig?

Indes bleibt weiter unklar, was das konkret für eine Linie sein wird. Die Ungewissheit schafft in Deutschland Begehrlichkeiten zuwanderungskritischer Kreise, welche die Syrer lieber heute als morgen wieder nach Syrien schicken wollen. Dieser Wunsch wurde zunächst vom Jubel Tausender Syrer auf den Straßen Deutschlands genährt. Aber was kommt nach der Feierlaune über den Sturz von Assad? 

In den sozialen Medien vielfach geteilte Videoclips von großen Gruppen jubelnder syrischer Zuwanderer, die deutsche Weihnachtsmärkte regelrecht überrollt haben, legen diese Interpretation nahe: Mit dem Sturz des Regimes wurde auch der Flucht- und Asylgrund hinfällig.

„Deutschland hat vielen Menschen in der Not Aufnahme geboten“, so der bayerische CSU-Landeschef Markus Söder gegenüber „Tagesschau“: „Wenn diese Situation sich jetzt ändert und damit de facto der Asylgrund wegfällt, gibt es ja auch keinen Rechtsgrund mehr, im Land zu bleiben.“ Söder forderte zu Überlegungen auf, „wie eine stärkere Rückführung“ möglich sei.

1.000 Euro von Jens Spahn für Verlassen von Deutschland

Die mutmaßlich im Februar 2025 anstehende Bundestagswahl befeuert die Debatte weiter, die Stimmen werden lauter und auch konkreter in den Forderungen: 

So forderte CDU-Fraktionsvize Jens Spahn zuletzt bei ntv:

„Wie wäre es, wenn die Bundesregierung sagt: Jeder, der zurückwill nach Syrien, für den chartern wir Maschinen, der bekommt ein Startgeld von 1000 Euro.“ 

Junge Männer sollten helfen, ihr Land wieder aufzubauen. Laut Statistischem Bundesamt sind 57 Prozent der knapp 1,3 Millionen Menschen mit syrischer Einwanderungsgeschichte männlich und im Schnitt 26 Jahre alt; um genau zu sein, 25,8 Jahre. Zum Vergleich: Migranten insgesamt hatten ein Durchschnittsalter von 37,7 Jahren. Von den in Deutschland lebenden Syrern haben mittlerweile 214.000 zusätzlich zur syrischen auch eine deutsche Staatsbürgerschaft. Die meisten Syrer kamen zwischen 2014 und 2016 ins Land. 

Selfie mit Angie: „Ich liebe Berlin“

2015 kam auch Anas Modamani nach Deutschland. Modamani wurde wegen eines Selfies mit der damaligen Bundeskanzlerin Angela Merkel in einem Flüchtlingsheim in Spandau weltbekannt. Anas Modamani will hierbleiben, heißt es in der „Berliner Zeitung“. Er plane zwar einen Besuch bei seinen Eltern, die immer noch in Damaskus leben, sobald wieder reguläre Flüge möglich sind, eine Rückkehr nach Syrien schließe er aber für sich aus. „Mein Zuhause ist in Deutschland. Ich liebe Berlin“, sagt er. Anas arbeitet mittlerweile, fast zehn Jahre nach seiner Flucht, für den Sender „Deutsche Welle“ in Berlin als Videojournalist.

Die Hälfte der syrischen Flüchtlinge ist arbeitslos

Damit gehört Anas zu den 42 Prozent der Syrer in Deutschland im erwerbsfähigen Alter von 15 bis 64 Jahren, die einer wie auch immer gearteten Erwerbstätigkeit nachgehen. 

Das heißt im Umkehrschluss, dass über 50 Prozent dieser erwerbsfähigen 863.000 Syrer, genau 435.000, keiner Tätigkeit nachgehen.

Hierbei muss gesagt werden, dass auch Minijobs, die häufig weniger als 10 Stunden pro Woche umfassen, ebenso als Arbeit gelten wie Vollzeitstellen. Für eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung gibt es keine Mindeststundenanzahl. Auch Tätigkeiten mit wenigen Stunden, etwa ein Nebenjob, gelten als Arbeit und werden entsprechend statistisch bewertet, unabhängig davon, in welchem Umfang weiter aufgestockt wird. 

Auch ist statistisch nicht hinreichend erfasst, inwieweit die Tätigkeit selbst bereits eine staatlich subventionierte ist. 

Bürgergeld für 500.000 Syrer

Eine halbe Million der 1,3 Millionen Menschen aus Syrien bekommen in Deutschland Bürgergeld.

Gut ein Fünftel der Syrer in Deutschland verfügte laut den neuen Daten des Statistischen Bundesamtes 2023 über einen berufsqualifizierenden Abschluss (22 Prozent bzw. 190.000), davon hatten 106.000 einen akademischen Abschluss. Mit 59 Prozent haben 513.000 Personen mit syrischer Einwanderungsgeschichte keinen berufsqualifizierenden Abschluss.

Auch die Nachrichtenagentur „Reuters“ präsentiert mit Ahmad Abbas einen Protagonisten, der eine Art Erfolgsgeschichte der Integration vorzuweisen hat. Abbas, der als Flüchtling aus Syrien kam, weiß nach eigener Aussage nicht nur nicht, ob Syrien noch sicher ist, sondern er fühlt sich auch in Deutschland zu Hause, wo er als Ausbilder für eine Nothilfeorganisation in München arbeitet.

Ärzte und Pfleger unwiederbringlich weg?

„Ich bin integriert und alles, aber ich denke immer noch an mein Heimatland“, so der Zuwanderer. Nachdem er zwölf Jahre in Deutschland verbracht hat, überlegt Ahmad Abbas nun, ob er nach dem Sturz von Assad in sein Heimatland zurückkehren soll oder nicht.

Abbas sagte gegenüber „Reuters TV“, dass er sich in Syrien gebraucht fühle, da sein Heimatland nun „bei null anfangen“ müsse, aber da die Zukunft des Landes noch sehr ungewiss sei, sei er sich nicht sicher, ob jetzt der richtige Zeitpunkt für eine Rückkehr sei.

Nach seiner Ankunft in Deutschland hatte Abbas eine Schule für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge besucht und absolvierte anschließend eine Ausbildung zum medizinischen Fachangestellten. Seit 2019 hat Abbas die deutsche Staatsbürgerschaft.

Als Deutscher ist er nicht an Rückkehrpflichten aus dem Asylgesetz gebunden. Für alle nicht deutschen Syrer gilt allerdings: Wenn der Schutzgrund entfällt, gilt das in der Regel nach einer angemessenen Frist auch für den Aufenthaltstitel. 

Ahmad Abbas fühlt sich in besagtem Interviewgespräch hin- und hergerissen:

„Ich bin fifty-fifty, ob ich nach Syrien zurückkehre oder in Deutschland bleibe. Ich weiß es nicht … Ihr braucht mich hier in Deutschland. Und ich denke auch an meine Leute – sie brauchen mich auch in der Heimat. Hier in Deutschland gibt es genug Fachkräfte. In Syrien muss das Land wirklich bei null anfangen.“

Der von „Reuters TV“ ausgesuchte Abbas gehört damit zu dem Fünftel Syrer in Deutschland mit Berufsabschluss.

Zwischenzeitlich ist auch eine Debatte um syrische Mediziner entbrannt, die mehrheitlich in Krankenhäusern arbeiten. Ende vergangenen Jahres arbeiteten 5.758 syrische Ärztinnen und Ärzte in Deutschland, so die Bundesärztekammer.

Pflegenotstand ade? Blick auf die Zahlen

Aber was ist mit der Pflege, dem Pflegenotstand? Können die Syrer Deutschland hier retten, was den Fachkräftemangel anbelangt? Das Bundesministerium für Gesundheit beklagt, dass in Pflegeberufen rund 200.000 Stellen unbesetzt sind, deshalb könnten syrische Rückkehrer die Krise im Gesundheitssystem verschärfen.

Aber wie sieht es bei der Rückkehr einer größeren Zahl von Syrern mit dem Wegfall von Patienten aus? Sinkt damit auch automatisch der Bedarf an Ärzten? Hier sind in den kommenden Monaten die Statistiker gefragt. 

Vergangenes Jahr waren rund 3.800 Syrer in der Altenpflege tätig, berichtet „Bild“ unter Berufung auf die Arbeitsagentur; sie seien eine Säule in der Alten- und Krankenpflege.

Am 31. Dezember 2023 gab es 619.621 sozialversicherungspflichtig Beschäftigte im Bereich Altenpflege in Deutschland. Auch hier gilt es zu beurteilen, was für eine Säule das exakt ist, wenn insgesamt 1,25 Millionen Personen in Pflegeeinrichtungen beschäftigt sind.

Genauer untersucht werden muss hier ebenfalls, wie viele in der Pflege Ausgebildete und Beschäftigte dem Berufsfeld in den Corona-Jahren oder wegen der vergleichsweisen niedrigen Bezahlung in den vergangenen Jahren den Rücken gekehrt und wie diese gut ausgebildeten Kräfte zurückzugewinnen sind. 

In konkreten Zahlen: Am 31. Dezember 2023 gab es 619.621 sozialversicherungspflichtig Beschäftigte im Bereich Altenpflege in Deutschland. Damit machen die 3.800 Syrer nicht einmal 1 Prozent aller Pflegekräfte aus.

Wie eingangs erwähnt, gingen von Januar bis November 2024 72.000 Asylerstanträge von syrischen Staatsangehörigen beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge ein. Angesichts der aktuellen Entwicklung in Syrien hat das BAMF die Entscheidung über 47.000 Asylanträge von Syrern vorübergehend ausgesetzt.

Syrien sicheres Herkunftsland – und Deutschland?

Mittlerweile wird auch diskutiert, ob Syrien künftig als sicheres Herkunftsland eingestuft werden sollte. Bundesinnenministerin Nancy Faeser sieht das nicht automatisch mit dem Sturz Assads. Die Lage in Syrien sei sehr unübersichtlich. „Deshalb sind konkrete Rückkehrmöglichkeiten im Moment noch nicht vorhersehbar“, so die SPD-Politikerin. Es sei unseriös, darüber zu spekulieren.

Bisher gibt es keine Abschiebungen direkt nach Syrien, auch wenn die Bundesregierung diese für Straftäter prüft. Ende November galten 10.024 Syrer als ausreisepflichtig, von denen 8.960 eine Duldung hatten.  

In der Kriminalstatistik waren Syrer im Jahr 2023 die größte ausländische Tätergruppe – rund 109.000 syrische Tatverdächtige wurden von der Polizei ermittelt. Auf die Syrer folgten Türken mit circa 95.200 und Rumänen mit etwa 63.300 Tatverdächtigen. Insgesamt wurden 2023 ungefähr 923.000 ausländische Tatverdächtige ermittelt; das entsprach einem Anteil von 41,1 Prozent.

Noch etwas gilt es in dieser Debatte zu bedenken: Wenn es Deutschland nicht einmal gelingt, Asylantragsteller, die bereits in Griechenland einen Asylantrag gestellt haben, nach Griechenland zurückzuschicken, weil ein deutsches Gericht das untersagt hat, dann muss man davon ausgehen, dass die Rückreise der Syrer in ihr Heimatland überwiegend freiwillig motiviert und entsprechend gefördert werden muss. Anders wird es in größerer Zahl gar nicht möglich sein. 



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