Asyl wird zum Hauptthema in Brüssel: Scholz schweigt – Polen fordert Neuausrichtung

Bundeskanzler Olaf Scholz ließ in seiner Regierungserklärung zum Europäischen Rat den Themenkomplex Asyl und Migration weitgehend unberührt. Im Vorfeld des anstehenden Brüsseler Gipfels hat nun auch Polen seine Positionen verschärft.
Bundeskanzler Olaf Scholz gibt vor dem Bundestag eine Regierungserklärung zum Europäischen Rat ab.
Bundeskanzler Olaf Scholz gibt vor dem Bundestag eine Regierungserklärung zum Europäischen Rat ab.Foto: Kay Nietfeld/dpa
Von 16. Oktober 2024

In seiner „Regierungserklärung zum Europäischen Rat“ hat Bundeskanzler Olaf Scholz am Mittwoch, 16. Oktober, im Bundestag das Thema „Migration und Asyl“ ausgespart. Am Donnerstag wird in Brüssel eine zweitägige Sitzung des Gremiums der EU-Staats- und Regierungschefs beginnen.

Dafür hat dessen Präsident Charles Michel auch den ukrainischen Machthaber Wolodymyr Selenskyj eingeladen, um auf dem Gipfel seinen „Siegesplan“ für den Krieg gegen Russland vorzustellen. Auch die Lage im Nahen Osten und die Wettbewerbsfähigkeit der EU sollen besprochen werden. Diese Themen hatte Scholz auch in seiner Erklärung angesprochen, neben weiteren wie Industriepolitik und Energieversorgung.

Polen will Asylsystem der EU nicht umsetzen

Der Schwerpunkt des Gipfels in Brüssel liegt jedoch auf dem Thema Asyl. Jüngste Entwicklungen haben diesbezüglich eine zusätzliche Dringlichkeit geschaffen. Polens Kabinett hat am Dienstag wie angekündigt eine auf die Jahre 2025 bis 2030 angelegte „Migrationsstrategie“ beschlossen. Diese sieht unter anderem eine temporäre Aussetzung des Asylrechts vor.

Wie „Euractiv“ berichtet, plant die Regierung unter Premierminister Donald Tusk den im Februar beschlossenen EU-Migrations- und Asylpakt nicht umzusetzen.

Dieser sieht zwar einige Verschärfungen und in bestimmten Fällen Kontrollen an den Außengrenzen vor. Gleichzeitig enthält er jedoch einen Solidaritätsmechanismus, der Mitgliedstaaten verpflichtet, entweder Asylsuchende aufzunehmen oder Bußgeld an Brüssel zu bezahlen. Der Pakt wurde mit qualifizierter Mehrheit im Rat beschlossen. Polen, Ungarn und die Slowakei sprachen sich von vornherein dagegen aus.

Warschau verschärft auch Visapolitik

Vor wenigen Wochen kündigte auch die Regierung der Niederlande an, aus dem gemeinsamen Asylsystem der EU aussteigen zu wollen. In Deutschland wird eine Zurückweisung von Asylsuchenden diskutiert, die aus anderen EU-Staaten einreisen.

Polen will nun Migrationsprozesse „detailliert regulieren“. Man wolle diese mit Blick auf „Einreisezwecke, Zuwanderungsvolumen und Herkunftsländer“ kontrollieren. Ein neues Gremium, das „Interministerielle Team für Migration“, wird sich speziell des Themas annehmen. Die genauen Befugnisse stehen bisher nicht fest. Angekündigt ist jedoch bereits, dass dazu die Überwachung der Strategie und eine „Halbzeitprüfung“ bis Ende 2027 dazugehören würden.

Auch in der Visapolitik beabsichtigt Polen, ein „selektives Modell“ einzuführen. Dafür sollen die Kriterien verschärft werden. Diese sollen auf bestimmte Staaten und Personen mit „besonderen Fähigkeiten“ ausgerichtet sein. Ziel sei es, einen Bedarf an bestimmten Kategorien von Arbeitnehmern zu decken, der sich aus strategischen Investitionen im Land ergebe.

Kritik an deutschen Grenzkontrollen

Gleichzeitig übt die Regierung in Warschau Kritik an der deutschen Regierung, weil diese Kontrollen an den Schengen-Grenzen eingeführt hat. Polen befürwortet solche nur vorübergehend im Umfeld von Sportveranstaltungen oder bedeutsamen politischen Ereignissen wie besonders sensiblen Staatsbesuchen. In dem Strategiepapier heißt es:

„Der Schlüssel zur Lösung der Herausforderung der Sekundärmigration von Migranten liegt in der ordnungsgemäßen Sicherung der EU-Außengrenzen.“

Polen begründet sein Vorgehen in der Asylpolitik ebenso wie die Niederlande mit einem „nationalen Notstand“. Das Kabinett in Warschau verweist auf einen „hybriden Angriff“ durch Russland und Weißrussland, die man beschuldigt, gezielt Migranten an die Grenze zu Polen zu schaffen, um „Europa zu destabilisieren“.

Tatsächlich lag der Höchststand an Asylanträgen in Polen im Juni 2024 bei 1.790. Bis August war er wieder auf 1.325 zurückgegangen. Die meisten Schutzsuchenden in Polen mit knapp einer Million sind Kriegsflüchtlinge aus der Ukraine – nach Deutschland die größte Zahl. Auf sie ist das reguläre Asylsystem nicht anwendbar.

Brüssel lehnt Opting-out beim Asyl ab

Die EU-Kommission hatte bereits angekündigt, einseitige Opting-out-Deklarationen von Mitgliedstaaten nicht anzuerkennen. Um eine solche Möglichkeit zu schaffen, müsste die Gesamtvereinbarung einstimmig geändert werden. Vor allem Erstankunftsländer wie Italien, Spanien oder Griechenland würden sich dagegen verwahren. Sie befürchten einen Wettbewerb darum, welches EU-Mitgliedsland am schnellsten aus dem gemeinsamen System aussteigen würde – und dass sie am Ende selbst ohne Unterstützung dastehen würden.

Deshalb ist zu erwarten, dass der Druck auf die EU-Kommission stetig größer wird und diese selbst weitere Verschärfungen im Asylrecht veranlasst. Möglicherweise wird eine Beschleunigung des Inkrafttretens des Migrationspaktes, der bis Ende 2025 ratifiziert sein soll, zum ersten Schritt.

Jüngst hatte EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen einen Brief in die Hauptstädte der EU-Mitgliedstaaten gerichtet. Darin hatte sie angekündigt, die Rückführungen zu beschleunigen und Auffanglager in Drittländern einzurichten. Asylsuchende dorthin zu bringen, hatten zuvor 15 Mitgliedstaaten gefordert.

Allerdings hängt die Verwirklichung des Vorhabens davon ab, ob es gelingt, ausreichend Partnerstaaten dafür zu bringen. Italien hat im vergangenen Jahr ein entsprechendes Abkommen mit Albanien geschlossen und diese Woche die ersten Migranten auf dem in die zwei Lager geschickt.

 

 



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