Argentinien: „Arbeiten statt Sozialleistungen? Das ist rechte Politik.“
Die Bevölkerung in Argentinien geht auf die Straße: Viele Menschen sind dagegen, dass die Regierung die soziale Unterstützung reduzieren will. Sie fordern ein Bedingungsloses Grundeinkommen.
Im Juni begann die argentinische Regierung mit der Kürzung der Subventionen im Energiesektor. Andere Staatsgelder, darunter das Wohlfahrtsprogramm des Landes, stehen ebenfalls auf der Kippe – was Tausende wütende Einwohner auf die Straße treibt.
Während der Feierlichkeiten zum Unabhängigkeitstag am 9. Juli versammelte sich eine aufgebrachte Menge in der Nähe der Casa Rosada, dem Präsidentenpalast. Verlangt wurden mehr staatliche Mittel, die Befreiung vom Internationalen Währungsfonds (IWF) und der Rücktritt von Präsident Alberto Fernandez.
Seither werden die Demonstrationen durch soziale Bewegungen, den „Piqueteros“, fortgesetzt. Sie fordern die Abschaffung der geplanten Subventionskürzungen und eine Lohnerhöhung.
Täglich 6 Millionen Euro für staatliche Hilfsprogramme
„Das ist Wahnsinn. Was die Piqueteros verlangen, ist Wahnsinn“, erklärt Alvaro Gomez der Epoch Times. Er beobachtete seit vielen Jahren, wie das Land immer tiefer ins wirtschaftliche Chaos rutscht. Seit mehr als 15 Jahren lebt und arbeitet er in Buenos Aires, derzeit als Taxifahrer. „Ich habe in dieser Zeit fünf Präsidenten kommen und gehen sehen; nichts hat sich verbessert. Die Hälfte unseres Landes will keinen Job, und diejenigen, die einen haben, wollen nicht die Steuern für die anderen zahlen.“
In Argentinien lebt fast die Hälfte der Menschen von staatlicher Unterstützung. Die Programme erstrecken sich auf nahezu jeden Aspekt der Wirtschaft, auf Löhne, Versorgungsleistungen, Bildung und Gesundheitsversorgung. Täglich gibt die Regierung schätzungsweise 800 Millionen Pesos, mehr als 5,9 Millionen Euro (Stand 31. Juli), für staatliche Hilfsprogramme aus.
Die staatliche Hilfe für die Bevölkerung ist in den vergangenen 20 Jahren sprunghaft angestiegen. Mittlerweile sind 22 Millionen Argentinier davon abhängig. Insgesamt hat Argentinien 46,3 Millionen Einwohner. Erwerbstätige machen nach Angaben der Regierung 43 Prozent aus. In einigen Landesteilen leben mehr als 40 Prozent der Bevölkerung unter der Armutsgrenze.
Gleichzeitig erreichte die Inflation in der südamerikanischen Nation im Mai 58 Prozent. Es wird befürchtet, dass sie auf über 60 Prozent in diesem Jahr steigt. Im Jahr 2015 lag die Inflation bei knapp über 14 Prozent. Argentinien stand bereits öfter vor einem Bankrott. Nun reicht das Geld für die Mitte-Links-Regierung erneut nicht.
„Wir sollen von 8 bis 17 Uhr arbeiten?“
Auf einer der Demonstrationen zeigt sich, dass eine reguläre Arbeit für viele der 1,2 Millionen Einwohner von Buenos Aires nicht infrage kommt. Sie werden bisher über das Sozialprogramm Empower Work gefördert, eine Einkommensbeihilfe, die auf unbestimmte Zeit ein existenzsicherndes Einkommen bietet.
„Die Regierung erwartet, dass wir von 8 bis 17 Uhr arbeiten, für den gleichen Geldbetrag“, empört sich eine „Piquetero“-Teilnehmerin aus Buenos Aires während einer Live-Nachrichtensendung.
Auf die Frage, woher sie das Einkommen für ihren Haushalt erhalte, antwortete die Frau: „Von der Regierung“.
Ein anderer Demonstrant, ein erwachsener Mann, verurteilte ebenfalls die vorgeschlagenen Änderungen des Wohlfahrtsprogramms. Er sagte lokalen Reportern: „Cristina [Kirchner, ehemalige Präsidentin von Argentinien] sagte uns, wir müssten arbeiten gehen, anstatt Sozialleistungen zu erhalten. Zur Arbeit gehen, das ist rechte Politik.“
Das Problem sind die Staatsausgaben
Harry Lorenzo, Leiter der Finanzabteilung der privaten Investmentgesellschaft „Income Based Research“, erläuterte der Epoch Times, dass die Wurzel des eskalierenden Problems die Angewohnheiten bei den Staatsausgaben seien.
„Die Regierung von Argentinien kämpft seit einiger Zeit mit einer zusammenbrechenden Wirtschaft. Der Hauptgrund dafür sind die nicht nachhaltigen Ausgaben der Regierung, die teilweise durch großzügige Sozialprogramme finanziert wurden“, erklärte Lorenzo.
Die Staatsausgaben in den Griff zu bekommen, sei von größter Bedeutung. „Dies würde eine Reduzierung der Sozialprogramme beinhalten, die einen großen Beitrag zur Verschuldung des Landes geleistet haben.“
Ähnlich sieht es Daniel Artana, Chefökonom des liberalen Wirtschafts-Think Tank FIEL (Fundacion de Investigaciones Economicas Latinoamericanas). „Wenn die Regierung vorgibt, ihren Ausgabenrausch fortzusetzen, werden die Folgen für die Inflationsrate noch schwerwiegender sein“, sagte Artana. Die makroökonomischen Variablen seien nicht nachhaltig, und „irgendwann muss eine Art Anpassung vorgenommen werden“.
Bis in die 1950er-Jahre war das „Silberland“ das wohlhabendste und einflussreichste Land Südamerikas, noch vor Brasilien. Das Pro-Kopf-Einkommen war deutlich höher als in Deutschland und das höchste der Welt. Der Peso galt hinter dem Dollar und dem Pfund als härteste Währung.
Die elegante Hauptstadt zog arbeitswillige Flüchtlinge aus Italien und Spanien an, es gab mehr Autos pro Kopf als in Frankreich und mehr Telefonleitungen als in Japan. Jährlich wuchs die Wirtschaft um fünf Prozent. Mit Rohstoffen und Bodenschätzen sowie mit Fleisch-, Getreide- und Lederexporten in das Europa des Zweiten Weltkriegs wurde gut verdient.
1946 begann der Niedergang. Damals kam Juan Domingo Perón an die Macht, der einen dritten Weg zwischen Kapitalismus und Sozialismus versprach. Das Grundprinzip des Perónismus ist: „über seine Verhältnisse leben und mehr ausgeben als einnehmen. Und wenn nichts mehr geht, Schulden machen, dann Geld drucken und schließlich die Inflation galoppieren lassen“ (Deutsche Wirtschaftsnachrichten). Weiterhin wird Eva Perón, seine Frau, die viele sozialen Programme einführte, stark verehrt.
Alle seine Nachfolger folgen mehr oder weniger seinem Vorbild, was mittlerweile zu acht Staatspleiten der dem Sozialismus zugeneigten Regierungen führte.
Immer tiefer ins wirtschaftliche Chaos
Als eines der größten Probleme wird der anhaltende Machtkampf innerhalb der regierenden Koalition zwischen Präsident Alberto Fernandez und Vizepräsidentin Cristina Fernandez de Kirchner bezeichnet (keine Verwandtschaft). Kirchner war von 2007 bis 2015 Präsidentin des Landes.
Um die klamme Staatskasse zu füllen und die Inflation in den Griff zu bekommen, ruft ein Teil der Regierungskoalition erneut nach weiteren ausländischen Rettungspaketen.
Stellvertretend für diese Gruppe stand Martin Guzman, er trat am 2. Juli als Wirtschaftsminister zurück. Der enge Verbündete des Präsidenten beklagte, dass ihn Konflikte innerhalb der Regierung daran hinderten, seine Arbeit zu erledigen. Er war die treibende Kraft hinter einem neuen Deal mit dem IWF.
Der IWF verordnete Buenos Aires Sparmaßnahmen im Rahmen des neuen Schuldenabkommens. Kürzungen im Sozial- und Rentenbereich wurden nicht verlangt, ebenso wenig Privatisierungen oder Strukturanpassungsprogramme. Allerdings wurde die Regierung beauftragt, die Inflation in den Griff zu bekommen und deutlich zu senken. Diese wird ähnlich wie in Europa auch durch die Verteuerungen auf dem Energiemarkt angetrieben.
Medienberichten zufolge kollidierten seine Vorstellungen über die Bewältigung der Wirtschaftskrise auch mit Vizepräsidentin Cristina Kirchner. Kirchner wird als eigentliche Staatsführerin angesehen. Sie ist eine Befürworterin von Subventionen.
Andere maßgebliche Teile der Regierung wollen die bestehenden Sozialprogramme aufrechterhalten und zudem unabhängig von ausländischer Hilfe werden. Dazu sollen die Steuern erhöht werden, obwohl die Bevölkerung zunehmend verarmt.
Neuer Superminister für Argentinien
Die Regierung besetzte den nach Guzman leer stehenden Posten des Wirtschaftsministers am 3. Juli sofort mit der Ökonomin und Politikerin Silvina Batakis. Sie befürwortet die Wirtschaftspolitik von Christina Kirchner.
Batakis traf sich am 25. Juli mit der geschäftsführenden Direktorin des IWF, Kristalina Georgieva, um einen möglichen neuen Deal für die ausstehenden Schulden des Landes in Höhe von 44 Milliarden Dollar zu besprechen.
Doch am 28. Juli wurde Silvina Batakis von ihrer Arbeit entbunden; sie sprach sich zwischenzeitlich gegen ein Bedingungsloses Grundeinkommen aus. Batakis wechselt nun in die argentinische Nationalbank und übernimmt den Posten der Präsidentin der Banco de la Nación Argentina.
Ihr Nachfolger ist Sergio Massa, der ein Superministerium für Wirtschaft, Produktion und Landwirtschaft führen soll. Zudem soll er die Beziehungen zu internationalen Organisationen beaufsichtigen. Massa war bisher Chef des Unterhauses des Kongresses und hat Verbindungen zur Familie Kirchner. Das Regierungskabinett wurde an mehreren Stellen umgestaltet, der Minister für Landwirtschaft, Viehzucht und Fischerei trat zurück.
„Massa ist kein Ökonom, sondern Politiker“, erklärt der Analyst Carlos Sara gegenüber „AFP“. „Aber der Punkt ist, dass die Krise von Argentinien politisch ist, sie braucht eine Person mit breiten Schultern und politischen Fähigkeiten.“ Massa könnte in der Lage sein, „Entscheidungen zu treffen, die nicht populär sind“. Die Regierung hofft, dass Massa die Straßenproteste besser eindämmen kann.
Ausländische Rettungspakete seien keine Lösung, sondern würden nur für eine kurzfristige Entlastung sorgen, meint Robert Donnelly, Finanzmanager bei Marketplace Fairness, gegenüber The Epoch Times.
„Obwohl dies einigermaßen erfolgreich war, hat es das zugrunde liegende Problem nicht gelöst“, sagte Donnelly. Das Vertrauen externer Investoren bleibt sehr gering.
Dieser Artikel erschien zuerst in der Epoch Times Wochenzeitung, Ausgabe Nr. 56, vom 6. August 2022.
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