Arabischer Frühling kommt in langem Kampf zum Stillstand
London – In der Hitze des Sommers im Nahen Osten und Nordafrika verwelkt das Versprechen des arabischen Frühlings. Während weitere Demonstrationen stattfinden und Kämpfe in Libyen wüten, gibt es Risse in der alten Ordnung, die sie aber noch verkraften kann. Die Hoffnung auf eine Tabula rasa der demokratischen Revolution, die das autoritäre Regime stürzen soll, schwindet, da sich eine zunehmende Anzahl von ägyptischen Demonstranten fragt, ob sie beim sanften Putsch, den der Militärrat SCAF (Supreme Council of the Armed Force) gegen Präsident Hosni Mubarak durchführte, nicht glücklose Schachfiguren waren. Die vergangenen sechs Monate zeigen, dass ein Regimewechsel nicht Revolution bedeutet.
Der Regimewechsel ist nur ein erster Schritt, wenn es darum geht, die Grundfesten zu erneuern, die das vorhergehende Regime unterstützten. Wie schnell und wie radikal diese Grundfesten verändert werden, hängt von der Stärke und Klarheit der Führer der revolutionären Bewegung ab. Sie bestehen oft aus grundverschiedenen Elementen, die zusammenwachsen, um das gemeinsame Ziel der Veränderung des Status quo zu erreichen.
Als die Flucht des autoritären tunesischen Präsidenten Zine al Abidine Ben Ali nach nur vier Wochen friedlicher Demonstrationen einen Massenaufstand gegen seinen ägyptischen Amtskollegen Mubarak auslöste, war die Welt elektrisiert. In den westlichen Hauptstädten keimte die Hoffnung, dass die Welle der weit verbreiteten Forderung nach Demokratie durch die Region fegen würde. Doch während die Errungenschaften in Tunesien und Ägypten immer nachhaltiger werden, stößt die Demokratiewelle in Syrien und dem Jemen auf Hindernisse;
Welle von Demonstrationen
Was einen radikalen Bruch in der jüngsten Geschichte der Region bewirkte, war die Tatsache, dass die Bürger ihre Angst vor den Sicherheitskräften verloren, weil sie sich in großer Zahl auf riesigen Plätzen versammelten. Bei Freitagsgebeten ergeben sich weiterhin Möglichkeiten für weitreichende Demonstrationen. Keine arabische Regierung wagt es, das Freitagsgebet auf kommunaler Ebene zu verbieten, das der Koran für muslimische Männer vorsieht.
Das wegweisende Ereignis der Selbstverbrennung von Muhammad Bouazizi, einem arbeitslosen Diplom-Informatikers, in der tunesischen Stadt Sidi Bouzid, ereignete sich am Freitag, dem 17. Dezember 2010. An diesem Tag erregte es mehr Aufmerksamkeit, als es an jedem anderen Tag der Woche getan hätte. Vier Wochen später kam es an einem Freitag zu Zusammenstößen zwischen Demonstranten, die nach den wöchentlichen Gebeten aus den Moscheen strömten. Dabei richteten die Sicherheitskräfte ein solches Blutbad an, dass Ben Ali gezwungen war, zu fliehen.
In Ägypten wuchs die Anzahl der protestierenden Massen am 28. Januar, einem Freitag, exponentiell an, als die Führer der Opposition den darauf folgenden Freitag zum „Tag der Abreise“ von Mubarak erklärten. Er trat eine Woche später zurück. Feurige Predigten nach dem Freitagsgebet durch die Prediger in der Hauptmoschee der syrischen Stadt Deraa lösten Straßenproteste aus, die sich dann ausweiteten.
Durch den Einsatz der neuesten Tools von Facebook und Twitter konnte die grundverschiedene, zerstreute Opposition große Antiregime-Demonstrationen organisieren. Die sozialen Medien werden weiterhin in unterschiedlichem Ausmaß in Jemen, Ägypten und Syrien genutzt. Das Internet ist mittlerweile ein so integraler Bestandteil von Wirtschaft und Industrie in der Region, dass es sich keine Regierung leisten kann, es allzu lange zu blockieren.
Aber dieses Instrument erweist sich als zweischneidig. Dies zeigt sich zum Beispiel an der Entstehung der syrischen elektronischen Armee, die Webseiten der Opposition deaktiviert und sich in Facebook-Seiten von Dissidenten einhackt. Nach dem viel propagierten Julibesuch des US-Botschafters in Syrien, Robert Ford, in der abtrünnigen Stadt Hama hackte sich die elektronische Armee in die Facebook-Seite der US-Botschaft ein und postete Pro-Regierungs-Parolen.
Dies ist einer der Gründe, warum das Regime von Präsident Baschar al-Assad einem viermonatigen Druck der Straße standhielt. Der Hauptgrund ist aber die anhaltende Loyalität der Armeeführung zu Assad auf der Grundlage ihrer gemeinsamen Zugehörigkeit zur schiitischen Alawiten-Sekte. Durch Aufhebung des Ausnahmezustands und die Erlaubnis zu Demonstrationen, was von den Behörden im Voraus geklärt wurde, ermöglichte das Regime seinen Anhängern zu behaupten, Assad sei ein Reformer. Viele Syrer fürchten auch, dass ihr Land in einen lähmenden Religionsbürgerkrieg abrutschen könnte, wenn es die Art von Demokratie einführen würde, wie es Vereinigten Staaten im Irak.
Die Abtrünnigkeit hochrangiger Generäle in Tunesien und Ägypten führte zum Untergang ihrer Präsidenten. Wo das Oberkommando der Streitkräfte gespalten ist, gab es – wie im Jemen – ein Patt zwischen den Lagern für und gegen Präsident Ali Abdullah Saleh. Der erholt sich gerade in einem saudischen Krankenhaus von Verletzungen, die er bei einem Angriff auf seinen Palast in Sanaa erlitt.
Von der Straße in die Parlamente
Obwohl die Opposition durch ihre Opfer die Erlaubnis zur Versammlungsfreiheit durchsetzte, verlor sie das Monopol, das sie am Anfang genoss. Die Regimeanhänger ahmten ihre Rivalen nach und gingen in Syrien und Jemen auch auf die Straße.
Auch in Ägypten, wo die Revolution gesiegt haben soll, stellen die Pro-Demokratie-Aktivisten jetzt fest, dass es naiv war, die Verpflichtung des SCAF zur sozialen Gerechtigkeit für bare Münze zu nehmen. Dies betrifft auch die Bürgerrechte und die Demokratie, die von Seiten des SCAF unter Führung von Feldmarschall Mohammed Hussein Tantawi, der 20 Jahre lang Mubaraks Verteidigungsminister war, zugesagt wurden.
Die Erklärung des SCAF schien darauf ausgerichtet zu sein, die Vereinigten Staaten zu beschwichtigen. Denn sie stellen jährlich mehr als zwei Milliarden US-Dollar und moderne Waffensysteme zur Verfügung. Er beruhigte darüber hinaus auch die wachsende Minderheit in den Reihen der Demonstranten auf Kairos Tahrir-Platz, die Hosni Mubaraks Plan, die Macht an seinen Sohn zu übergeben, kritisch gegenüberstand.
Kein Wunder, dass der SCAF dem Druck widersteht, diejenigen zivilen und militärischen Mitglieder des Mubarak-Regimes vor Gericht zu stellen, denen Korruption sowie die Tötung von friedlichen Demonstranten vorgeworfen wird.
Nach fünf ereignisreichen Monaten werden sich die Führer des Sitzstreiks auf dem Tahrir-Platz darüber klar, dass der SCAF ein begründetes Interesse daran hat, die politisch-ökonomische Struktur der Ära Mubarak so weit wie möglich zu erhalten. Unter der Führung von Feldmarschall Präsident Anwar Sadat und Mubarak erwarb das Militär Bauernhöfe, Fabriken und Hotels. Schätzungen zufolge umfasst sein Vermögen zehn bis 30 Prozent des Wirtschaftsvolumens.
Diejenigen, die in Kairo auf die Straßen gingen, wenden sich zu Recht gegen den SCAF. Als kürzlich ein Marsch auf das Verteidigungsministerium stattfand, wurden die Demonstranten von Pro-SCAF-Gangstern angegriffen, die Messer und Schwerter mit sich führten und Molotow-Cocktails warfen. Am 1. August verkündete der SCAF ein Dekret, das Demonstrationen verbot. Armeetruppen feuerten in die Luft, um die friedlichen Demonstranten, die an dem dreiwöchigen Sitzstreik teilnahmen, auseinanderzutreiben.
Die De- facto-Vereinigungsfreiheit in Ägypten führte zur schnellen Ausbreitung politischer Fraktionen und zur Erweiterung des Handlungsspielraums des SCAF. Er hat die Macht, die Richtung vorzugeben und eine Gruppe von Politikern gegen eine andere auszuspielen.
Die jungen weltlichen Initiatoren der Straßendemonstrationen erkennen jetzt die große Lücke zwischen ihren Erfolgen bei der Versammlung von Menschenmengen und der Gründung politischer Parteien, die auf einer praktischen Ideologie mit einem landesweiten Netzwerk basiert. Zu ihrer Enttäuschung stellen sie fest, dass sie sich nicht mit der Muslim-Bruderschaft messen können. Diese wurde im Jahre 1928 gegründet und ist trotz langer Zeiten der Unterdrückung weiterhin tief in der Gesellschaft verwurzelt.
Diejenigen, die auf ein Bündnis zwischen der Bruderschaft und dem SCAF spekulieren, übersehen die Tatsache, dass es das Militär in Algerien war, das die Islamische Heilsfront brutal zerschlug, nachdem sie im ersten Wahlgang im Dezember 1991 vier Fünftel der Sitze im Parlament gewonnen hatte. Im Bewusstsein des nachfolgenden jahrzehntelangen blutigen Kapitels in der algerischen Geschichte beschlossen die Führer der Bruderschaft, sich bei Wahlen um weniger als 50 Prozent der Parlamentssitze zu bewerben.
Der letzte Test eines demokratischen Systems ist die Unterordnung des Militärs gegenüber der gewählten zivilen Autorität. Politiker aller Schattierungen stehen vor einem langen Kampf, um dieses Ziel zu erreichen.
Die Revolutionäre entdecken, dass Diktatoren zu stürzen vielleicht noch der leichteste Teil eines langen Kampfes war.
Dilip Hiro ist der Autor von „The Essential Middle East: A Comprehensive Guide.“ Sein neuestes Buch heißt: „After the Empire: The Birth of a Multipolar World.“
Artikel auf Englisch englisch: Arab Spring Stalls in Long Struggle
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