Angst vor Aussterben frankophoner Kultur belastet Multikulturalismus in Quebec
Schon seit langem fühlen die frankophonen Quebecer, die eine Minderheit in Nordamerika sind, daß ihre Kultur und Sprache Gefahr zu verschwinden drohen. Ist das einer der Gründe dafür, warum Multikulturalismus in Quebec nicht mit der gleichen Begeisterung aufgenommen wird wie im Rest von Kanada?
Laut Daniel Weinstock, Professor für Philosophie an der Universität von Montreal, gebe es „ein wenig Schizophrenie“ in Quebec zwischen dem offiziellen kanadischen Multikulturalismus und der derzeitigen Umsetzung in die Praxis. Offizieller Multikulturalismus bekommt in Quebec eine sehr schlechte Presse. Multikulturalismus wird nicht von dieser Aura der politischen Korrektheit umgeben, die es in anderen Teilen Kanadas gibt; die Menschen fühlen sich sozusagen berechtigt, etwas zu sagen, was sie woanders vielleicht nicht sagen würden. Dies wurde während der sinnvollen Anhörungen im vergangenen Jahr deutlich, als zeitweise, vor allem in ländlichen Gegenden, ein regelrechtes Vorurteil gegenüber nicht-frankophonen Kulturen zum Ausdruck kam.
Unangenehme Dinge „eher die Ausnahme“?
Weinstock, der im Beratungskomitee für die Anhörungen saß, sagt, daß es sicherlich unannehmbare Dinge gab, die aber „eher die Ausnahme als die Regel“ waren. In einigen Medien seien die Debatten allerdings verdreht worden, indem sie einen irreführenden Eindruck der Situation gaben und die Kommission möglichst negativ darstellten. „Ich glaube, die Medien machten daraus wirklich eher ein Zirkusstück oder ein Sportereignis, sodaß es mehr zu einer Art merkwürdigem Phänomen wurde, wobei manche Menschen nur deshalb [zu den Anhörungen] gingen, um ins Fernsehen zu kommen.“
Weinstock fügt hinzu, daß es infolge der Terrorangriffe vom September 2001 auf die USA in vielen westlichen Demokratien mit Einwanderern aus muslimischen Ländern Randgruppen der Bevölkerung gibt, die wesentlich stärker für eine Art offene fremdenfeindliche Anti-Immigrations-Rhetorik empfänglich wurden. Ein typisches Beispiel ist das Gesetz zum Umgang mit Einwanderern in der Stadt Hérouxville, das auf Moslems abzielte, obwohl die Stadt keine bedeutende Einwanderergemeinde hat.
Lucie Lequin, die als Professorin einen Lehrstuhl für das Französisch-Studium an der Universität von Concordia hat, sagt, daß viele ländliche Gegenden um Quebec niemals eine Einwanderergemeinde hatten. Daraus folge ein Kenntnismangel und eine Angst vor dem Unbekannten.
„Viele negative Kommentare, die wir hören, entstehen aus der Angst der Menschen, die nicht in Montreal leben und die das Stadtleben nicht kennen,“ so Lequin.
Seit der Stillen Revolution Anfang der 60er Jahre hat die Provinz eine tiefgreifende gesellschaftliche Veränderung erfahren. Die Abtreibungsraten stiegen und Eheschließungen fielen in Ungnade, was zu einem starken Geburtenrückgang bei französischen Kanadiern führte. Die Regierung sah in der Immigration einen Weg, diesen Trend abzufangen und hatte die Vorstellung einer frankophonen Gesellschaft, in der verschiedene Kulturen auf verschiedene Weise zu Quebecern werden könnten. Dies hätte auch dazu beitragen sollen, die französische Sprache aufblühen zu lassen.
„Ein sehr großer Anteil der Einwanderer, die nach Quebec kamen, schloss sich den englisch-sprachigen Gemeinschaften an“, sagt Martin. „Während dies in vergangenen Jahrzehnten bis zu einem gewissen Grad in der Sprachgesetzgebung umgesetzt wurde, ist es trotzdem noch ein harter Kampf. Die Anzahl der Immigranten, die die französische Sprache annehmen, ist proportional kleiner als der Anteil der französisch-sprachigen Bevölkerung in Quebec.“
Quebec sieht sich nicht als fremdenfeindlich
Die sei auf die Unsicherheit im Umgang mit dem Thema Einwanderung zurückzuführen, meint Martin, obwohl dies etwas ausbalanciert worden sei durch die Tatsache, dass auch Leute, die nicht französisch-sprachigen Ursprungs sind, im Berufsleben Französisch sprechen können. Dadurch könne ein dramatischer Rückgang der Sprache im öffentlichen Umgang verhindert werden. Martin glaubt, dass Anhörungen der Bouchard-Taylor-Kommission in allen ländlichen Gebieten Kanadas dieselben Emotionen hervorrufen würden, wie sie im ländlichen Quebec zum Ausdruck kommt.
Vor hundert Jahren war in Quebec die Hauptsorge, ob die Neuankömmlinge mit ihren Gastgebern dieselben katholischen Wurzeln teilen, sagt Valerie Raoul, Professorin für Frauenforschung und Französisch an der Universität von British Columbia in Vancouver.
Heutzutage hegen jedoch viele Französisch-Quebecer die Befürchtung, dass Leute mit offensichtlich starker Religiosität eine Bedrohung für den hart erkämpften weltlichen Lebensstil der Provinz sein könnten. Raoul glaubt, das viele Englisch-Kanadier außerhalb Quebecs ihren eigenen Rassismus gerne auf die Französich-Quebecer projizieren. „Meine Vermutung ist, dass Englisch-Kanada oft die Haltung einnimmt, Quebec wäre rassistischer oder fremdenfeindlicher als sie selbst. Alles, was in Quebec passiert, das rassistisch oder fremdenfeindlich sein könnte, bekommt von den englischsprachigen Medien viel Aufmerksamkeit.“
Quebecer, sagt sie, halten die Einstellung, dass sie rassistischer als der Rest Kanadas seien, für eine Art Spiel um Herabsetzung oder Macht, sowie einen Beweis für die englische Scheinheiligkeit. Weinstock, der gleichermaßen in Englisch- und Französisch Kanada lebt, meint, „der Grad von gegenseitigem Unverständnis und wechselseitiger Verdächtigung zwischen den beiden Kulturen ist deprimierend hoch.“
Quebecer betrachten English-Kanada als „den Feind“
In Englisch-Kanada versteht man nicht, was die Bedrohung der eigenen sprachlichen und kulturellen Basis bedeutet, während viele Quebecer Englisch-Kanada immer noch als „den Feind“ betrachteten.
„Wenn man in einen politischen Konflikt verwickelt ist oder in einer Situation ist, in der man Kompromisse schließen muss, ist es sehr einfach, die andere Seite als unvernünftig abzustempeln; denn auf diese Weise muss man nicht im Ansatz daran denken, nachzugeben.“
Text erschienen in Epoch Times Deutschland Nr. 14/08
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