Analyse: Schäuble am Pranger

Titelbild
Finanzminister Schäuble in Brüssel.Foto: Olivier Hoslet/dpa
Epoch Times13. Juli 2015
An geschmacklose Karikaturen als SS-Scherge und KZ-Aufseher hat sich Wolfgang Schäuble in der mehr als fünf Jahre dauernden Griechenland-Krise beinahe schon gewöhnt.

Dass selbst diese durch menschenverachtende Bilder noch übertroffen werden können, zeigt die Hasswelle, die sich nach der vorläufigen Einigung über neue Milliarden-Hilfen über den Finanzminister in sozialen Netzwerken zusammenbraut: Schäuble, samt Rollstuhl an einem Baum aufgehängt oder als blutrünstiger IS-Terrorist.

Solche Bilder dürfte der 72-jährige CDU-Politiker noch als krankhafte Hirngespinste abtun. Dagegen wird ihn die harsche Kritik manch renommierter US-Ökonomen und des ein oder anderen europäischen Staats- und Regierungschefs durchaus ärgern. Deren Vorwurf: Der glühende Europäer habe überzogen und sei ein Spaltpilz, der der europäischen Idee und der Währungsunion letztlich genauso schade wie die Links-Rechts-Regierung von Griechen-Premier Alexis Tsipras.

Denn ausgerechnet vor dem entscheidenden Wochenende in Brüssel lanciert Schäuble ein knappes, aber umso brisanteres Papier, in dem Athen auch der zeitweise Euro-Austritt nahelegt wird – als Option im Falle einer Nichteinigung. Zeitweise deshalb, weil Griechenland gar nicht aus dem Euro hinausgedrängt werden kann und bei einem Scheitern der Gespräche ein Chaos verhindert werden soll.

Der „Auszeit“-Vorstoß des überzeugten EU-Anhängers Schäubles landet zwar vorerst in der Plan-B-Schublade. Aber an das Papier wird man sich in Athen und Rest-Europa ebenso erinnern wie in Berlin. Die SPD fühlt sich – zu Unrecht – böse gefoult. Der Grünen-Politiker Reinhard Bütikofer wetterte: Der „herzlose, herrische und hässliche Deutsche hat wieder ein Gesicht und das ist das von Schäuble“.

Schäubles „Grexit-auf-Zeit-Variante“ – zuvor abgestimmt mit Kanzlerin Angela Merkel und SPD-Chef Sigmar Gabriel – kam nicht wirklich überraschend. Zumal die Rollenverteilung seit Monaten klar schien: Schäuble, der ein Ausscheiden Griechenlands aus dem Euroraum in Kauf nimmt. Und Merkel, die das große Ganze im Auge hat.

Der Unmut über Tsipras, der die Geldgeber seit Monaten an der Nase herumführte, ist groß in der Euro-Gruppe. Selten gab es eine so geschlossene Front der anderen 18 Finanzminister. Schäuble musste nicht einmal den Wortführer geben. Dennoch bleiben Sätze des deutschen Ministers hängen wie der Badisch-Englisch-Mischmasch Ende Februar: „Am 28., 24.00 Uhr, isch over.“ Gemeint war das zweite Hilfsprogramm, das dann noch einmal verlängert wurde. Oder einer dieser Schäuble-Scherze: Er habe seinem Freund, US-Finanzminister Jack Lew, angeboten, Puerto Rico in die Eurozone zu übernehmen, wenn die USA Griechenland in die Dollar-Zone aufnehmen.

Ein krawalliger Sprücheklopfer, der nur provozieren will, ist der Politprofi aber nicht. Der Jurist Schäuble ist auch ein geschickter Verhandler. Da legt er den „Fünf-Jahre-"Grexit"“ auf den Tisch und fordert die Griechen auf, nachzulegen. Es hagelt Proteste, auch aus anderen Euro-Ländern. Der harte Kurs kostet Schäuble und Deutschland sicher Renommee. Am Ende aber setzt Berlin einen von Athen lange abgelehnten Treuhandfonds von 50 Milliarden Euro durch, der sich aus Privatisierungserlösen und Staatsvermögen zusammensetzt. Quasi als Sicherheit für die Gläubiger und als Druckmittel, Privatisierungen voranzutreiben und Geld für Wachstum zu mobilisieren.

Das Hilfspaket fällt nicht nur schärfer aus, als der vor einer Woche von den Griechen per gefeiertem Referendum abgelehnte Spar- und Reformkatalog. Es wird mit 86 Milliarden Euro frischem Geld auch weit teurer als vor Wochen gedacht – wenn es bis 2018 reicht.

Wofür auch Schäuble und Merkel noch in den eigenen Reihen werben müssen. Ob sich der harte Kurs auszahlt und die Kanzlerin im Bundestag eine eigene Mehrheit zusammenbekommt, wird sich zeigen. Etwa jeder zehnte Abgeordnete von CDU und CSU hatte zuletzt eine Verlängerung des zweiten Griechenland-Paketes abgelehnt. Andere Unionspolitiker stellten damals klar: Das war das letzte Mal.

In Deutschland ist der Finanzminister so beliebt wie nie zuvor ein Kassenwart. In einer Umfrage rangierte Schäuble zuletzt sogar vor der Kanzlerin. Im Deutschlandtrend der ARD sagten Anfang Juli 70 Prozent der Befragten, sie seien mit Schäubles Arbeit zufrieden oder sehr zufrieden – was der bisher beste Wert für Schäuble überhaupt war. Und die Union selbst profitiert von der harten Linie Schäubles in der Griechenlandkrise: CDU und CSU haben nach einer Umfrage in der ersten Juli-Woche in der Wählergunst deutlich zugelegt.

(dpa)


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