Morgen ist Premier-Wechsel in London: Boris Johnson haushoher Favorit
Im Rennen um die Nachfolge von Premierministerin Theresa May nimmt Boris Johnson Kurs auf Downing Street. Der 55-Jährige gilt als haushoher Favorit, Chef seiner Konservativen Partei und damit auch der Regierung zu werden. Nach einer jüngsten Umfrage unter Tory-Mitgliedern könnte der umstrittene Politiker mehr als 70 Prozent der Stimmen bekommen. Seinem Konkurrenten, Außenminister Jeremy Hunt, werden nur geringe Chancen eingeräumt.
Das Wahlergebnis wird am Dienstag in London bekanntgegeben, am Mittwoch wird Johnson bereits zum neuen Premierminister ernannt. Zwar sei die Befragung mit Unsicherheiten behaftet. Doch andere Umfragen seien zu ähnlichen Ergebnissen gekommen, heißt es auf der konservativen Webseite „Conservative Home“. Dies weise darauf hin, dass „Johnson mit überwältigender Mehrheit gewinnen wird“.
Die etwa 160.000 Parteimitglieder konnten sich noch bis zum späten Nachmittag entscheiden, ob sie Johnson oder Hunt als neuen Chef und damit auch als Premierminister haben wollen. Dabei ist der Ex-Außenminister und frühere Londoner Bürgermeister sehr umstritten. Er nimmt es mit der Wahrheit oft nicht so genau. Als Außenminister trat er in viele Fettnäpfchen auf internationalem Parkett. Viele Partei-Mitglieder trauen dem exzentrischen Politiker aber zu, enttäuschte Brexit-Wähler wieder ins Boot zu holen.
Iran wird der erste „diplomatische Test“ für Johnson
Der neue Premierminister dürfte es wie May sehr schwer haben: Die Regierung verfügt nur über eine Mehrheit von drei Stimmen. Der Premier-Wechsel kommt zudem mitten im Konflikt mit dem Iran, der einen britischen Tanker in der Straße von Hormus festsetzte. Der Sender BBC sprach schon vom ersten „diplomatischen Test“ für Johnson.
Britische Medien gehen davon aus, dass Johnson im Falle seines Wahlsiegs viele Regierungsposten neu besetzen wird. Zeitungen spekulierten etwa über ein Comeback des früheren Brexit-Ministers Dominic Raab, der das Justizministerium übernehmen könnte. Angeblich plant Johnson dem „Telegraph“ zufolge auch, Ex-Brexit-Minister David Davis zu reaktivieren und ihn zum Finanz- oder Außenminister zu machen. Kritiker halten Davis für inkompetent und faul.
Am Wochenende hatten bereits Finanzminister Philip Hammond und Justizminister David Gauke die Aufgabe ihrer Ämter angekündigt, sollte Johnson Regierungschef werden. Britische Medien rechnen mit weiteren Rücktritten von EU-freundlichen Ministern.
Britischer Außenstaatssekretär tritt aus Protest gegen Johnson zurück
Am Montag erklärte der proeuropäische Außenstaatssekretär Alan Duncan seinen Rücktritt. „Im Vorgriff auf den Wechsel am Mittwoch“ lege er sein Amt nieder, erklärte er in seinem Rücktrittsgesuch an die scheidende Regierungschefin. Am Wochenende hatten bereits Finanzminister Philip Hammond und Justizminister David Gauke ihren Rücktritt für den Fall von Johnsons Sieg bei der parteiinternen Wahl angekündigt.
„Es ist tragisch, dass wir genau in dem Moment, da wir die dominierende intellektuelle und politische Kraft in Europa und darüber hinaus sein könnten, jeden Tag unter der dunklen Wolke des Brexit arbeiten müssen“, erklärte Duncan.
Johnson will das Land aus der EU führen
Johnson will Großbritannien an Halloween, am 31. Oktober, aus der Europäischen Union führen, „komme, was wolle“. Dabei droht er Brüssel auch mit einem Austritt ohne Abkommen – das hätte erhebliche negative Folgen für die Wirtschaft und andere Lebensbereiche. May war drei Mal mit ihrem mit Brüssel ausgehandelten Deal im Parlament gescheitert.
Johnson betonte am Montag, dass ein geregelter EU-Austritt Ende Oktober mit „Willen und Tatkraft“ machbar sei. Wenn es vor 50 Jahren schon möglich gewesen sei, zum Mond und zurück zu fliegen, „dann können wir auch das Problem des reibungslosen Handels an der nordirischen Grenze lösen“, schrieb Johnson im „Telegraph“. Wie für den Flug zum Mond gebe es auch dafür technische Lösungen.
Johnson spielte damit auf den sogenannten Backstop an, den er strikt ablehnt. Diese Garantieklausel soll verhindern, dass zwischen dem britischen Nordirland und dem EU-Mitglied Irland wieder Grenzkontrollen eingeführt werden müssen. Denn das könnte den alten Konflikt zwischen katholischen Befürwortern einer Vereinigung Irlands und protestantischen Loyalisten wieder schüren.
Der Backstop sieht vor, dass Großbritannien so lange Teil einer Zollunion mit der EU bleibt, bis das Problem anderweitig gelöst ist. Für Nordirland sollen zudem teilweise Regeln des Europäischen Binnenmarkts gelten.
Johnson sieht in der Klausel ein „Instrument der Einkerkerung“ Großbritanniens in Zollunion und Binnenmarkt. Er will den Backstop streichen und die irische Grenzfrage erst nach dem Austritt in einem künftigen Freihandelsabkommen mit der EU lösen.
Am Mittwoch wird die Queen den neuen Premier ernennen
Mays Nachfolger wird am Dienstag in einer ersten Rede möglicherweise Details seiner Brexit-Pläne darlegen. Am Mittwoch folgt dann die Amtsübergabe. May wird sich mittags ein letztes Mal den Fragen der Abgeordneten stellen. Anschließend wird sie vor dem Regierungssitz Downing Street eine Abschiedsrede halten und dann bei Königin Elizabeth II. im Buckingham-Palast ihren Rücktritt einreichen.
Die 93-jährige Queen wird direkt danach den neuen Premierminister ernennen und ihn mit der Regierungsbildung beauftragen. Auch von ihm wird dann eine Rede vor seinem Amtssitz erwartet. Die Briten hatten sich vor drei Jahren, am 23. Juni 2016, in einem Referendum mit knapper Mehrheit für den EU-Austritt ausgesprochen. (dpa)
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