Algerien: Zu lange an der Macht festgehalten – Bensalah wird womöglich doch nicht Übergangspräsident
Der Politikwissenschaftler Claus Leggewie hält einen Zerfall Algeriens nach dem Rücktritt von Abd al-Aziz Bouteflika als Präsident des Landes für unwahrscheinlich. Die Demonstrierenden hielten ganz überwiegend an der nationalstaatlichen Souveränität Algeriens fest, sagte Leggewie am Sonntag im Deutschlandfunk. Es gebe zwar „eine sehr lebendige, seit Jahrzehnten aktive Opposition in den Berberregionen“, fügte er hinzu.
Aber auch hier wird nicht wirklich Algerien als Staat infrage gestellt, sondern mehr kulturelle und regionale Autonomie verlangt.“
Eine Gefahr könnten dagegen die Islamisten sein, „die in den 90er Jahren das Land mit einem blutigen Bürgerkrieg mit Hunderttausenden Toten überzogen haben“.
Von denen höre man aktuell wenig, aber es gebe sie noch, so Leggewie weiter. Sie seien allerdings derzeit nicht aktiv und hielten sich zurück. Zum Rücktritt Bouteflikas sagte der Politologe, dass dieser Schritt eine „Zäsur“ für Algerien bedeute.
Bouteflika habe viele Algerier zuletzt „in eine regelrechte Scham versetzt“. Der ehemals geschätzte Präsident habe mit seinem Festhalten an der Macht das „Fass zum Überlaufen gebracht“, sagte Leggewie: „Ich glaube nicht, dass man diesen Prozess anders als mit Gewalt wieder zurückdrängen könnte.“
Bouteflika war am Dienstag nach landesweiten Protesten mit sofortiger Wirkung zurückgetreten. Er war seit April 1999 Präsident von Algerien.
Es soll ein Übergangspräsident ernannt werden
Der langjährige Vorsitzende des algerischen Nationalrats, Abdelkader Bensalah, wird womöglich doch nicht zum Übergangspräsidenten des Landes ernannt. Die Zeitung „El Mudschahid“, Sprachrohr der Regierung, positionierte sich am Sonntag in einem Leitartikel gegen den in der Bevölkerung umstrittenen Bensalah. Der Nationalrat hatte sich zuvor für ihn ausgesprochen. Das Parlament will nach dem Rücktritt von Staatschef Abdelaziz Bouteflika am Dienstag einen Übergangspräsidenten ernennen.
Als Vorsitzender des Nationalrats führt Bensalah seit Bouteflikas Rücktritt die Amtsgeschäfte kommissarisch. Das sieht die algerische Verfassung so vor. Noch am Samstag hatte ein Sprecher des Nationalrats der Nachrichtenagentur AFP gesagt, Bensalah solle am Dienstag offiziell zum Übergangspräsidenten ernannt werden.
Dass „El Mudschahid“ diesem Plan nun widerspricht, ist vor allem deshalb bedeutsam, weil Algeriens Regierung das Blatt traditionell nutzt, um ihre politischen Positionen zu verbreiten. In den turbulenten Tagen seit Bouteflikas Rücktritt hat sich „El Mudschahid“ deutlich als der Armee nahestehend positioniert und unterstützt deren einflussreichen Anführer Ahmed Gaïd Salah.
Der Leitartikel spricht sich dafür aus, Bensalah als Nationalratsvorsitzenden abzusetzen. Damit wäre er dann auch nicht mehr der naheliegende Interimspräsident. Es gehe darum, „möglichst bald“ einen geeigneten Kandidaten zu finden, weil die Person, die das Amt derzeit innehabe, „von der Bürgerbewegung nicht akzeptiert“ werde, heißt es weiter. Dabei sei es „nicht unmöglich“, einen Übergangspräsidenten zu benennen, auf den sich alle einigen könnten. (dts/afp)
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