Afrikas banger Blick auf die indische Corona-Krise
Die Corona-Krise in Indien bereitet Gesundheitsexperten in Afrika Kopfzerbrechen. Sie fürchten nicht nur, dass sich die indische Virus-Mutante auf dem Kontinent ausbreiten könnte. Die kritische Lage in Indien gefährdet auch die Versorgung der zumeist armen afrikanischen Staaten mit Corona-Impfstoff, der bislang vor allem von dem südasiatischen Schwellenland geliefert wurde.
Um die Krise in Indien ging es am Samstag auch bei einem Krisentreffen der Gesundheitsminister der Afrikanischen Union (AU) zur Strategie des Kontinents gegen die Pandemie. Bislang wurden in Afrika offiziell mehr als 4,5 Millionen Corona-Infektionen sowie gut 123.000 Todesfälle registriert. Und auch wenn die Dunkelziffer unklar ist: Verglichen mit anderen Weltregionen ist das wenig.
„Aber was sich in anderen Teilen der Erde ereignet, kann sich in Afrika wiederholen, wenn wir in unserer Wachsamkeit nachlassen“, warnte der Chef der Weltgesundheitsorganisation (WHO), Tedros Adhanom Ghebreyesus, zur Eröffnung der Krisensitzung. „In vielen Ländern hat das Auftreten von Varianten in Verbindung mit einer verfrühten Lockerung der Maßnahmen ebenso wie die ungerechte Verteilung von Impfstoffen tragische Konsequenzen.“
Indien ist für die afrikanischen Länder ein mahnendes Beispiel. Aus dem 1,3-Milliarden-Einwohner-Land werden seit Wochen immer neue Höchststände bei den täglichen Infektionszahlen und Corona-Toten gemeldet. Der Leiter des afrikanischen Zentrums für die Kontrolle und Vorbeugung von Krankheiten, John Nkengasong, warnt, dass es seit Monaten bei der Corona-Pandemie „erstaunlich ähnliche“ Entwicklungen in Afrika und Indien gebe.
Mega-Städte und fragile Gesundheitssysteme
Zu den Parallelen zwischen Indien und dem afrikanischen Kontinent zählen nicht nur eine ähnlich hohe Bevölkerungszahl, sondern auch die vielen dicht besiedelten Mega-Städte und fragilen Gesundheitssysteme. Nkengasong wirbt daher für einen entschiedeneren Kampf gegen die Pandemie mit drei wesentlichen Ansatzpunkten: mehr Tests, intensivere Vorbeugung sowie Versorgung mit Impfstoffen und medizinischem Sauerstoff.
Die indische Virusvariante, die womöglich ein Faktor für die Krise in Indien ist, wurde in Afrika bislang nur jeweils ein Mal in Uganda und Kenia nachgewiesen. Bei den Corona-Impfstoffen sieht es in Afrika allerdings düster aus.
Das als „Apotheke der Welt“ bekannte Indien produzierte eigentlich den Großteil des Corona-Impfstoffs von Astrazeneca, der im Rahmen der Covax-Initiative an afrikanische Länder ging. Ende März kündigte Indien allerdings an, dass es die Impfdosen für Afrika später ausliefere, um zunächst die zweite Pandemie-Welle im eigenen Land einzudämmen. Die Impfkampagnen in Afrika gerieten dadurch stark in Verzug. Es gibt zwar noch Impfstofflieferungen, allerdings nicht so häufig und nicht so viele wie ursprünglich geplant.
Laut Sierra Leones Gesundheitsminister Austin Ndemby sind die Impfkampagnen wegen der ungewissen Liefertermine schwer planbar. Die Behörden stünden vor dem „moralischen Dilemma“ zu entscheiden, wer die raren Impfdosen erhält.
Verbreitete Impfskepsis in Afrika
Nkengasong sagt, Afrika schaue „mit Schrecken und Fassungslosigkeit“ nach Indien und erwarte aus dem Land „nicht so bald“ Corona-Impfstofflieferungen. Er rät, mit den vorhandenen Dosen nun zunächst Gesundheitspersonal und besonders anfällige Menschen zu impfen. Die Lage auf dem Corona-Impfstoffmarkt werde sich hoffentlich im dritten Quartal entspannen. „Ende Juli, Anfang August“ werde es möglicherweise auch Lieferungen im Rahmen der AU-Impfstoffbeschaffungsinitiative Avatt geben.
WHO-Chef Tedros warnt die reichen Industrieländer immer wieder, die ungerechte Verteilung von Corona-Impfstoffen auf der Welt sei „nicht nur ein moralischer Skandal, sondern auch wirtschaftlich und epidemiologisch selbstzerstörerisch“. Dennoch wurden in Afrika bislang erst 19,6 Millionen Dosen Corona-Vakzin verimpft. Das sind gerade einmal zwei Prozent der Corona-Impfungen weltweit.
Und selbst wenn Afrika endlich genügend Corona-Impfstoff bekommt, müssen die Gesundheitsbehörden noch ein anderes Problem überwinden: Auf dem Kontinent gibt es eine verbreitete Impfskepsis. So gab die arme Demokratische Republik Kongo Ende April gut 1,3 Millionen Dosen ungenutzten Astrazeneca-Impfstoff an fünf andere Länder weiter, da die Haltbarkeit des Vakzins bald abgelaufen wäre. (afp)
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