Afghanistan ist gefallen – Taliban überzeugt: „Das islamische Recht wird weltweit Einzug halten“

„Islamisches Gesetz wird nicht nur in Afghanistan, sondern auf der ganzen Welt herrschen“, sagt der Kommandant Muhammed Arif Mustafa nach der Übernahme der Taliban. Und: Frauen würden unter der Taliban-Herrschaft so viele Rechte bekommen, wie der Islam es für sie vorgesehen hat.
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Ein Mitglied der Taliban steht Wache am Massoud-Platz in Kabul am 16. August 2021.Foto: WAKIL KOHSAR/AFP via Getty Images
Epoch Times17. August 2021

Angesichts der Taliban-Offensiven seit dem Abzug der US-Soldaten war der Fall der afghanischen Hauptstadt Kabul und damit die Machtübernahme der Islamisten in Afghanistan von den US-Geheimdiensten antizipiert worden. Nicht so von den Politikern der beteiligten NATO-Länder – sie wurden von der Geschwindigkeit, mit der die Taliban Provinz um Provinz einvernahmen, überrascht. Noch im Juli hielt es US-Präsident Joe Biden gar für unwahrscheinlich, dass die Taliban Afghanistan überrollen könnten – eine dramatische Fehleinschätzung.

Seit ihrer Ankunft in Kabul am Sonntag haben die Taliban behördliche Gebäude, Banken und Polizeistationen besetzt und Kontrollpunkte eingerichtet. Derzeit laufen auf politischer Ebene diverse Gespräche, während Soldaten, Botschaftsmitarbeiter, Übersetzer und Mitarbeiter anderer Organisationen am Flughafen auf ihre Ausreise warten. Teilweise kam es am Flughafen zu dramatischen Szenen, es gab mehrere Tote.

Der Präsident Afghanistans, Ashraf Ghani, hatte das Land kurz nach der Machtübernahme der Taliban verlassen. Medienberichten zufolge ist es unklar, ob er nach Uzbekistan, Tajikistan oder in den Oman gereist ist. Angeblich soll er mehrere Koffer mit Bargeld dabei gehabt haben.

Seine fluchtartige Abreise konnten nicht alle nachvollziehen. Viele Afghanen machten ihrer Wut über den geflüchteten Präsidenten in den sozialen Medien Luft. Er habe dem Land „jegliche Sicherheit genommen und dem Feind übergeben“, schrieb etwa die Sängerin Sedika Madadgar auf Facebook. Auch der Vorsitzende des Nationalen Rats für Versöhnung, Abdullah Abdullah, zeigte sich empört. Er meinte in einer Videobotschaft, dass Ghani dafür „von Gott und dem Volk“ zur Rechenschaft gezogen würde.

Taliban glauben an weltweiten Sieg

Die Taliban haben nach ihrer Machtübernahme die Millionenmetropole Kabul  besetzt. Derzeit sollen Gespräche zwischen Politikern und Vertretern der Islamisten stattfinden, teilte ein Sprecher des ehemaligen Präsidenten Hamid Karsei der „Deutschen Presse-Agentur“ (dpa) mit. Die Taliban ließen verlautbaren, dass sie an einer friedlichen Machtübergabe interessiert seien.

Thomas Fisler, ein Mitarbeiter des DEZA (Agentur für internationale Zusammenarbeit im Eidgenössischen Departement für auswärtige Angelegenheiten), beschrieb gegenüber der „Basler Zeitung“ vor seiner Evakuierung aus Kabul die Situation vor Ort. Aktuell gäbe es keine Anschläge, berichtete er, denn die Taliban wollten ihre Macht derzeit anders demonstrieren als nur mit Gewalt. Etwa, indem sie den Regierungspalast einnehmen. Die Taliban würden die Infrastruktur beschützen; Mobilfunknetz und Internet würden noch funktionieren.

Ob er mit dem Einmarsch der Taliban gerechnet habe, wollte die Zeitung von ihm wissen. Fisler antwortete, dass er dies definitiv erwartet hätte, aber nicht in diesem Tempo. Die Taliban waren offensichtlich der afghanischen Armee weit überlegen, trotz millionenschwerer Investitionen in Ausrüstung und Ausbildung durch die Amerikaner.

Die Taliban haben durch ihren schnellen Sieg enormes Selbstbewusstsein gewonnen. Gegenüber dem US-Nachrichtensender CNN machte Muhammed Arif Mustafa, ein Kommandant der Taliban, deutlich, dass die islamischen Gotteskrieger an ihren weltweiten Sieg glauben, nicht nur in Afghanistan.

Mustafa erklärte: „Wir glauben, dass die Mudschaheddin eines Tages den Sieg davontragen werden und das islamische Recht nicht nur in Afghanistan, sondern in der ganzen Welt Einzug halten wird. Wir sind nicht in Eile. Wir glauben, dass es eines Tages so weit sein wird. Der Dschihad wird nicht vor dem jüngsten Tag enden.“

Weiter sagte er: Frauen würden unter der Taliban-Herrschaft so viele Rechte bekommen, wie der Islam es für sie vorgesehen hat.

Ein gescheitertes Projekt – Ein Afghanistan für die Afghanen

Afghanistan-Experte Ahmed Rashid erklärt in einem Gespräch mit „T-Online“, dass die Amerikaner nie gedacht hätten, dass sie einmal 20 Jahre lang in Afghanistan bleiben würden. Der Abzug der Truppen bedeute für die Zivilbevölkerung einen herben Rückschlag.

„Als die Russen Afghanistan verließen, hinterließen sie eine Regierung, die noch mehrere Jahre lang hielt, bevor die Mudschaheddin sie vertrieb“, erläutert Rashid. Amerika hingegen lasse in Afghanistan eine Regierung zurück, die den Taliban „nicht mal ansatzweise widerstehen“ könne. Damals wollten die Mudschaheddin, heute die Taliban, die komplette Kontrolle über Afghanistan übernehmen.

Als die Amerikaner die Taliban in Afghanistan und Saddam Hussein im Irak besiegt hatten, waren sie wohl als „Befreier“ einmarschiert, aber ohne einen guten Plan für die Zeit danach vorbereitet zu haben, so Rashid weiter. Als sich alles auf den Irakkrieg konzentrierte, konnten sich die Taliban neu formieren und in die Offensive gehen.

Zuletzt hatte der ehemalige US-Präsident Barack Obama versucht, den „endgültigen Sieg“ zu erlangen, was nicht gelang. Sein Nachfolger, Präsident Donald Trump, vereinbarte mit den Taliban den Rückzug der US-Armee aus Afghanistan bis zum 1. Mai 2021. Im Gegenzug sagten die Taliban zu, keine US-Soldaten mehr anzugreifen. Der Waffenstillstand erweckte wohl den Eindruck, wonach 2.500 amerikanische Soldaten genügen würden, die Taliban in Schach und die Regierung an der Macht zu halten. Das war ein Irrtum.

Präsident Biden war chancenlos

US-Präsident Joe Biden hatte während der letzten Wochen mehrfach betont, dass die Afghanen jetzt „für sich selbst kämpfen“ müssten und dass die USA nicht „jedes einzelne interne Problem in der Welt lösen“ könnten. Biden, so schreibt die „Welt“, sagte: „Ein weiteres Jahr oder fünf weitere Jahre US-Militärpräsenz hätten keinen Unterschied gemacht, wenn das afghanische Militär sein eigenes Land nicht halten kann oder will“.

Als Biden verkündete, dass er die Soldaten bis zum 11. September heimholen wolle, geriet er von allen Seiten in die Kritik. Hätte Biden die Abmachung von Trump aufgehoben, wäre der Krieg wohl weiter gegangen, schreibt „Watson“. Es ist der US-Führung während der letzten zwanzig Jahre nicht gelungen, ein Land aufzubauen, das den Taliban widerstehen könnte – ein Afghanistan für Afghanen, wie gerne gesagt wurde.

Präsident Biden sagte auch: Er sei bereits der vierte Präsident, der eine US-Präsenz in Afghanistan leite. Er werde „diesen Krieg nicht an einen fünften Präsidenten weitergeben“.

Fehleranalyse

Entsprechend stellte die „Neue Zürcher Zeitung“ (NZZ)die Frage: Zwanzig Jahre lang hat der Westen an Afghanistan gebaut. Innerhalb weniger Tage bricht alles zusammen. Wie konnte das passieren? Am 6. August hatten die Taliban die erste Provinzhauptstadt erobert, zehn Tage später erreichen sie Kabul.

Was hat den Aufbau dieses Afghanistan nun verhindert, fragt die „Basler Zeitung“ DEZA-Mitarbeiter Thomas Fisler. Dieser gibt zu bedenken, dass das Land seit Jahrhunderten von Warlords und Drogenbaronen regiert werde. Als Land zwischen Europa und Asien war es auch immer wieder den Kräften von Großmächten ausgesetzt.

Sicherlich hätte die Korruption der afghanischen Regierung einerseits und Fehler seitens des Westens andererseits ein Gelingen verhindert. Ein Mangel sei etwa auch die fehlende Investition in die Bildung der Landbevölkerung gewesen, welche die ländlichen Gebiete hätte eigenständiger werden lassen können.

Der Afghanistan-Experte sieht den Fehler auch im Nichterkennen, dass die afghanische Bevölkerung aus Volksstämmen bestehe, die ihre Unabhängigkeit mit allen Mitteln verteidige. Der Versuch, Afghanistan zu modernisieren, sei nicht gelungen, weil keine vernünftige Führungsschicht etabliert wurde. Die gebildeten und reichen Afghanen hätten das Land bereits verlassen und wären nicht bereit gewesen, unter diesen Bedingungen zu investieren, so Rashid. Eine normale Wirtschaft hätte nicht aufgebaut werden können, da der Drogenhandel nicht gestoppt wurde. Der Drogenhandel ermöglicht den Stämmen erst ihr Einkommen.

War alles umsonst?

Afghanistan hat die USA mehr als 2.000 Soldatenleben und Billionen US-Dollar gekostet. Wofür bloß? – fragen viele Amerikaner.

Auf die Frage von „T-Online“ nach der Bilanz der US-Außenpolitik in Afghanistan antwortete Rashid, dass es nur als „Desaster“ bezeichnet werden könne. Nichtsdestotrotz würden sich ältere Afghanen noch an die Rote Armee erinnern und Russisch sprechen. „Die Russen hatten Universitäten und andere Bildungseinrichtungen gegründet. Die Amerikaner lassen ebenfalls eine Generation gebildeter Afghanen zurück, aber ob sie unter dem nächsten Taliban-Regime überleben werden, ist die große Frage“, so der Experte.

Die USA waren nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001 in Washington und New York an der Spitze einer internationalen Militärkoalition in Afghanistan einmarschiert und hatten die dort herrschenden Taliban von der Macht vertrieben. Begründet wurde der Einsatz damit, dass Afghanistan ein Rückzugsort für Extremisten des Terrornetzwerks Al-Kaida war, das die Anschläge verübt hatte. (nw)



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